Vor dem Mönchengladbacher Führungstor gegen Wolfsburg gibt es ein Handspiel. Trotzdem zählt der Treffer – und das zu Recht. Denn der Fall liegt anders als bei zwei annullierten Toren am vergangenen Wochenende. In Bremen und Leipzig ärgert man sich unterdessen über das Schweigen des Video-Assistenten.
Als am Dienstagabend in der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem VfL Wolfsburg (3:0) nach zehn Minuten der Führungstreffer für die Hausherren fiel, dürften sich bei den Niedersachsen viele an den vergangenen Spieltag erinnert haben.
In der Begegnung gegen den SC Freiburg war ihnen nämlich ein Tor aberkannt worden, weil ihrem Angreifer Daniel Ginczek zuvor ein Handspiel unterlaufen war. Vor dem ersten Tor im Borussia-Park war nun ebenfalls eine Hand im Spiel, nämlich die von
Doch diesmal zählte der Treffer, denn anders als am Wochenende verzichtete der Video-Assistent auf eine Intervention. Wie konnte das sein?
Das entscheidende Wort bei der Antwort auf diese Frage lautet: unmittelbar. Wenn einem Tor oder einer Torchance unmittelbar ein Handspiel der betreffenden Mannschaft vorausgeht, dann muss der Schiedsrichter dieses Handspiel in jedem Fall ahnden.
"In jedem Fall" heißt: auch dann, wenn der Spieler rein gar nichts dafür konnte, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, wenn sein Handspiel also ohne den Zusammenhang mit dem Tor nicht strafbar gewesen wäre.
Neuhaus‘ Handspiel geschah nicht unmittelbar vor Hofmanns Tor
So war es bei Ginczek, und so war es zum Beispiel auch beim Treffer des Dortmunders
Denn die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) haben festgelegt: Wenn zwischen dem Handspiel und dem Tor oder der Torchance mehrere Spieler am Ball waren, eine gewisse Zeit vergangen ist oder eine große Entfernung lag, kann von einem unmittelbaren Zusammenhang nicht gesprochen werden.
Beim Gladbacher Führungstreffer durch
Sinn und Zweck der Unmittelbarkeits-Regelung
Das Kriterium der Unmittelbarkeit ist eingeführt worden, damit es nicht zu Entscheidungen kommt, die dem Sinn und Geist der Regeln vollkommen widersprechen würden.
Ein Beispiel: Angenommen, ein Verteidiger spielt im eigenen Strafraum den Ball gänzlich schuldlos und unabsichtlich mit dem Arm, begeht also ein nicht strafbares Handspiel. Anschließend drischt dieser Spieler den Ball in hohem Bogen nach vorne.
Dort erläuft ihn ein Mannschaftskollege, der allein auf weiter Flur ist, weil alle Gegner inklusive Torwart weit aufgerückt sind.
Wenn er den Ball nun ins Tor schießt, dann dürfte der Treffer ohne die erwähnten Kriterien nicht zählen – und es müsste auf der anderen Seite einen Elfmeter geben, obwohl das Handspiel ansonsten nicht strafbar war. Um das zu vermeiden, müsste der Stürmer am leeren Tor vorbeischießen. Das wäre natürlich grotesk.
Deshalb entschied das Ifab, bei einem Handspiel vor einem Tor den besagten unmittelbaren Zusammenhang zur Voraussetzung für die Strafbarkeit zu machen und dabei neben der Zahl der Zwischenstationen auch die Entfernung und die Zeit als Faktoren zu betrachten. Für das Beispiel heißt das: Ein so erzieltes Tor wäre gültig.
Das Handspiel selbst war ebenfalls nicht strafbar
Die Bewertung der Szene in Mönchengladbach ist damit allerdings noch nicht abgeschlossen. Denn die Regularien sehen vor, dass der VAR sich einschalten muss, wenn sich in der Angriffsphase vor einem Treffer ein Vergehen der angreifenden Mannschaft ereignet hat, das der Unparteiische jedoch nicht bemerkt oder irrtümlich nicht geahndet hat.
Mit Neuhaus‘ Handspiel begann aber eindeutig die Angriffsphase, die die Borussen als schnellen und direkten Konter vortrugen. Wenn das Handspiel also strafbar gewesen wäre, dann hätte der VAR dem Referee ein Review empfehlen müssen.
Doch es war nicht strafbar: Neuhaus hatte bei Maximilian Arnolds Pass aus kurzer Distanz seinen Arm eng an den Körper gezogen, ihn sogar ein Stück hinter den Rücken gebracht und damit versucht, ihn aus der Flugbahn des Balles zu nehmen.
Daher war es richtig, dass der auch ansonsten sehr souverän leitende Schiedsrichter Robert Schröder weiterspielen ließ und der Video-Assistent nach der Überprüfung der Szene keine Einwände hatte. Es handelte sich um ein reguläres Tor.
Was sonst noch wichtig war:
- In der 79. Minute des Spiels SV Werder Bremen – FC Bayern München (0:1) musste Alphonso Davies wegen eines taktischen Fouls mit Gelb-Rot das Feld verlassen. Damit kam es zu jener Überzahl für die Bremer, die eigentlich viel früher fällig gewesen wäre: Eine Stunde zuvor hatte Davies ziemlich eindeutig gegen Leonard Bittencourt nachgetreten, Schiedsrichter Harm Osmers hatte ihn dafür jedoch nur verwarnt. Der Unparteiische dürfte die Szene dabei höchstens im Augenwinkel wahrgenommen haben, schließlich hatte er sich kurz abgewandt, um den Lauf des Balles zu verfolgen. Schon deshalb wäre ein Eingreifen des VAR angebracht gewesen. Doch dazu kam es nicht, obwohl die Bilder klare Argumente für eine Rote Karte lieferten – und letztlich keine für die getroffene Entscheidung.
- In der Begegnung zwischen RB Leipzig und Fortuna Düsseldorf (2:2) hätten sich die Hausherren ebenfalls gewünscht, dass der VAR eingreift, und zwar gleich zweimal. Zum einen nach acht Minuten, als Kevin Kampl nach einem Tackling des Düsseldorfer Torwarts Florian Kastenmeier im Strafraum der Fortuna zu Boden ging, Schiedsrichter Manuel Gräfe jedoch weiterspielen ließ. Der Schlussmann hatte den Leipziger leicht in der Wade getroffen und ebenso leicht den Ball gespielt. Ob der Kontakt ursächlich für den Sturz war, ist fraglich. Eine Intervention des Video-Assistenten war jedenfalls nicht zwingend vonnöten und hätte auch nicht zur großzügigen Zweikampfbeurteilung von Gräfe gepasst. Deutlicher war da schon der Schubser des Düsseldorfers Kenan Karaman gegen Dayot Upamecano vor dem Anschlusstor der Rheinländer, im Fußbereich gab es ebenfalls einen Kontakt. Gräfe winkte aber auch diesen Körpereinsatz durch, und der VAR griff erneut nicht ein. Gegen diese Entscheidung kann man begründete Einwände formulieren – hier ging die Großzügigkeit des Unparteiischen zu weit.
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