Am drittletzten Spieltag der Saison gibt es erneut hitzige Diskussionen über das Thema Handspiel. Dabei räumt auch der DFB Fehler ein. Die Regelauslegung ist zu uneinheitlich. Aber schafft die Änderung zur nächsten Saison wirklich Abhilfe?
Wie hatte es Lutz Michael Fröhlich unter der Woche noch formuliert? Die Schiedsrichter in Deutschland setzten die vorgegebene Linie beim Handspiel "insgesamt sehr konsequent und berechenbar um", hatte der Schiedsrichter-Chef gesagt.
Deshalb könne er nicht verstehen, "wenn von 'wirrer' Regelauslegung gesprochen wird oder auch davon, dass 'keiner mehr weiß, was Handspiel ist'''.
Viele Spieler, Trainer, Berichterstatter und Fans sehen das allerdings anders. Und auch für Fröhlichs Kollege Jochen Drees ist der neuerliche Ärger rund um das Thema Handspiel nachvollziehbar.
"Grundsätzlich kann ich verstehen, dass man mit der Art, wie im Moment das Handspiel ausgelegt wird, ein Problem hat", sagte der Projektleiter des DFB für die Video-Assistenten am Samstagabend als Gast im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF. Zuvor hatte es teilweise heftige Proteste gegen die Auslegung und Anwendung der Regel gegeben.
So etwa beim Spiel zwischen dem FC Bayern München und Hannover 96 (3:1) kurz nach der Pause. Da flankte Linton Maina den Ball in den Strafraum der Bayern, wo sich Jérôme Boateng wegdrehte, um nicht getroffen zu werden.
Boatengs Handspiel nicht strafbar
Den rechten Arm hatte der Münchner dabei angewinkelt und eng am Körper. Zwar befand er sich durch die Drehbewegung schließlich in der Flugbahn des Balles und blockte die Kugel schließlich mit dem Oberarm ab.
Doch man durfte dem Ex-Nationalspieler zugutehalten, dass er versucht hatte, dem Ball auszuweichen und ein Handspiel zu vermeiden. Schiedsrichter Christian Dingert hatte den Vorgang selbst nicht wahrgenommen, sein Video-Assistent empfahl ihm deshalb ein On-Field-Review.
Als der Unparteiische sich die Bilder angeschaut hatte, entschied er auf Strafstoß für Hannover. Denn er sah in der Armbewegung eine Verbreiterung der Trefferfläche, wie er
Ein Fehler, wie Jochen Drees im "Sportstudio" einräumte. Zwar sei die Review-Empfehlung richtig gewesen, da der Referee das Handspiel auf dem Feld nicht gesehen und deshalb nicht beurteilt hatte. Aber die Entscheidung hätte, auch wenn sie in Dingerts Ermessen lag, nicht auf Strafstoß lauten sollen, so Drees.
Auch der Video-Assistent übersieht Rekiks Handspiel
Noch größeren Ärger gab es in Berlin. Dort schlug Herthas Innenverteidiger Karin Rekik im Spiel gegen den VfB Stuttgart (3:1) den Ball nach einem Eckstoß für die Gäste im Sprung mit ausgestrecktem Arm auf Kopfhöhe aus dem Strafraum.
Ein klares und eindeutig strafbares Handspiel, das Schiedsrichter Daniel Schlager jedoch nicht wahrnahm. Seinem Video-Assistenten Günter Perl entging die Szene ebenfalls. Das war so ungewöhnlich wie die Tatsache, dass auch andere nichts bemerkt hatten.
"Es gab seitens der Stuttgarter keinen Protest. Im Stadion und an den Bildschirmen gab es optisch zunächst keinen Hinweis auf ein Handspiel", wird Video-Assistent Günter Perl in der "Bild"-Zeitung zitiert. Er selbst habe außerdem zeitgleich ein mögliches Foul im Berliner Strafraum überprüft.
Deshalb sei ihm das Handspiel von Rekik entgangen. Diese Faktoren dürften jedoch "keine Ausrede sein", erklärte der frühere Bundesliga-Referee unumwunden. "Es war fahrlässig von mir."
Auch Jochen Drees räumte ein, es gebe "überhaupt keine Diskussion", dass der VfB Stuttgart einen Elfmeter hätte zugesprochen bekommen müssen. Die Situation sei jedoch unscheinbar gewesen, niemand habe das Handspiel bemerkt. Es war also kein Anfangsverdacht gegeben.
Dennoch dürfe die Fehlentscheidung "nicht passieren", so Drees, aber letztlich seien eben "Menschen und keine Maschinen" am Werk. Günter Perl, dem erfahrensten Video-Assistenten von allen, sei "einfach ein Fehler unterlaufen".
Götze ist keine Absicht zu unterstellen
Bei einer anderen Situation konnte Drees dagegen mit Recht eine gelungene Kooperation zwischen Schiedsrichter und Video-Assistent feststellen, nämlich in der Partie zwischen Werder Bremen und Borussia Dortmund (2:2).
Da war
Sein Video-Assistent riet ihm deshalb zu einem Review. Dass der Referee nach dem Betrachten der Bilder nicht auf Elfmeter erkannte, nannte Drees aus gutem Grund ein "fachlich richtiges Ergebnis".
Auf den Einwand der Bremer Trainers Florian Kohfeldt, im "Kontext dieser Saison" habe "ein glasklares Handspiel" vorgelegen, erwiderte Drees, der Coach wolle einen solchen Strafstoß auf der anderen Seite gewiss auch nicht gegen sich gepfiffen bekommen.
Schon 30 Handelfmeter - mehr als je zuvor
Was bleibt, ist die unbefriedigende Situation, dass bei Handspielen vielen nicht klar ist, wann sie strafbar sind und wann nicht. Und dass sich auch die Unparteiischen gelegentlich nicht sicher zu sein scheinen oder selbst nach Ansicht der Videobilder eine zumindest zweifelhafte Entscheidung treffen.
30 Handelfmeter sind in dieser Spielzeit bislang verhängt worden, mehr gab es in keiner anderen Bundesliga-Saison. Das hängt mit den Eingriffen der Video-Assistenten zusammen und gleichzeitig mit einer überaus strengen Regelauslegung infolge überaus strenger Vorgaben.
Eigentlich ist weiterhin ausschließlich die Absicht maßgeblich. Doch die Distanz zwischen Ball und Hand spielt dabei kaum noch eine Rolle. Dabei kann ein Spieler kaum absichtlich handeln, wenn der Ball aus ganz kurzer Entfernung auf ihn zukommt.
Auch Bewegungen mit den Armen, die der Fortbewegung oder dem Halten des Gleichgewichts dienen, werden dem betreffenden Spieler zum Verhängnis, wenn der Arm vom Körper absteht und es dann zum Kontakt mit dem Ball kommt.
Der neue Regeltext zementiert die bestehende Praxis
Die Regeländerung beim Handspiel zur kommenden Saison dürfte daran nicht unbedingt etwas ändern, sondern eher die bestehende strenge Praxis zementieren.
Denn im neuen Regeltext wird der Position und Haltung der Arme mehr Beachtung geschenkt als der Frage der Absicht. Es wird also auch offiziell stärker nach rein technischen Kriterien entschieden.
Was den Schiedsrichtern die Arbeit einerseits erleichtern kann, ist andererseits immer noch auslegungsbedürftig. Und ob die Neuformulierung auch wirklich Akzeptanz findet, ist zweifelhaft.
Allerdings müssen sich auch diejenigen, die monoton eine "klare Regelung" und "weniger Grau" beim Handspiel fordern, fragen lassen, wie denn die Praxis aussehen soll. Schwarz und weiß gäbe es nur, wenn ausnahmslos jedes Handspiel geahndet werden würde.
Das würde dazu führen, dass gezielt die Arme und Hände des Gegners angepeilt würden, um Freistöße und Strafstöße herauszuholen. Keine schöne Vorstellung.
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