Der 1. FC Köln trifft gegen Schalke 04 spät und scheint den direkten Abstieg zu vermeiden. Doch in den Jubel hinein platzt der VAR. Die Angelegenheit ist regeltechnisch kompliziert, doch der Unparteiische annulliert den Treffer zu Recht. Die Aufregung ist groß – aber kurz vor Schluss erzielen die Kölner noch ein reguläres Tor.
An dieser Stelle kann man kaum anders, als sich des Konjunktivs zu bedienen: Wenn Sebastiaan Bornauw dem 1. FC Köln im Spiel gegen den FC Schalke 04 (1:0) mit seinem Treffer in der 86. Minute nicht den Sieg und damit den Sprung auf den Relegationsplatz gesichert hätte, wäre es wohl beim torlosen Unentschieden geblieben.
Das hätte für die Domstädter den direkten Abstieg aus der Bundesliga bedeutet. Und es hätte, so viel ist sicher, zu erregten Diskussionen über eine Entscheidung von Schiedsrichter Daniel Siebert eine Viertelstunde vor dem Tor des Tages geführt.
Da nämlich annullierte der Unparteiische den Treffer des Kölners Sebastian Andersson nach einem On-Field-Review, zu dem es auf Anraten des Video-Assistenten gekommen war. Und diese Szene war regeltechnisch durchaus kompliziert.
Der Torerzielung vorausgegangen war ein Freistoß rund 30 Meter vor dem Kasten der Gäste.
Özcan ist im Abseits und blockiert den Lauf von Sané …
Zunächst gab der Referee den Treffer, doch dann intervenierte der VAR. Denn bei der Freistoßausführung war es an der Strafraumgrenze in zentraler Position zu einem Zweikampf zwischen
Das geschah nicht unbedingt durch ein Foul, aber durch ein Blockieren des Laufweges mit den Armen und dem Oberkörper – und zwar aus einer knappen Abseitsposition heraus. Aber war dieses Abseits auch ahndungswürdig?
Dazu ist ein Blick in die Regel 11 hilfreich. Dort heißt es: "Wenn sich ein Spieler, der sich aus einer Abseitsstellung bewegt oder in einer Abseitsstellung befindet, im Laufweg eines Gegners befindet und die Bewegung des Gegners zum Ball beeinträchtigt, ist dies ein Abseitsvergehen, wenn es die Möglichkeit des Gegners, den Ball zu spielen oder einen Zweikampf um den Ball zu führen, beeinflusst."
Kein Zweifel: Özcan befand sich im Abseits und auch im Laufweg von Sané, der dadurch nicht in den Strafraum und somit auch nicht in die Nähe des Balles kommen konnte.
... doch nimmt er ihm auch die Möglichkeit, an den Ball zu gelangen?
Aber beeinflusste der Kölner auch die Möglichkeit des Schalkers, den Ball zu spielen? Das ist entscheidend, denn ohne diese Möglichkeit ist das bloße Im-Weg-Sein nicht als Abseitsvergehen zu bestrafen. Die Frage ist allerdings nicht leicht zu beantworten, weil Sané von Özcan schon beim Loslaufen blockiert wurde und dann zu Boden ging.
Berücksichtigt man jedoch, dass Becker und Mustafi bei der Freistoßausführung links und rechts von Sané positioniert waren und beide in die Mitte des Strafraums liefen, wo sie dann auf Höhe der Strafstoßmarkierung den Ball verpassten, ist es wahrscheinlich, dass sich auch Sané dorthin begeben wollte und hätte.
Damit kann man tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass Özcan die Möglichkeit von Sané beeinflusst hat, an den Ball zu gelangen – und dass deshalb eben ein strafbares Abseits vorlag.
Das ist nicht nur abgehobene Theorie: Hätte Sané seine beiden Teamkollegen beim Verteidigen der Freistoßflanke von Hector unterstützen können, dann wären die Schalker im Zentrum des Strafraums zu dritt gewesen, und es wäre weniger wahrscheinlich gewesen, dass Andersson getroffen hätte.
Daniel Siebert hat richtig entschieden
Ob Sané auch wirklich an den Ball gekommen wäre, ist dabei von untergeordneter Bedeutung – wesentlich ist, dass ihm die Möglichkeit dazu genommen wurde, die Kugel zu erreichen.
Das hatte der Schiedsrichter auf dem Rasen nicht wahrgenommen, deshalb empfahl ihm der Video-Assistent ein Review am Monitor. Allerdings nicht zur Überprüfung der Abseitsstellung als solcher, denn dazu bräuchte es den Blick des Referees nicht.
Sondern vielmehr, um zu beurteilen, ob Özcan die Möglichkeit von Sané, den Ball zu spielen, beeinflusst hat. Das hat Daniel Siebert zu Recht bejaht, und deshalb hat er richtigerweise den Treffer annulliert und den Schalkern einen indirekten Freistoß wegen Abseits zugesprochen.
Dennoch wird er wahrscheinlich froh gewesen sein, dass es nicht an dieser Entscheidung hing, ob die Gastgeber am Ende auf Platz 16 oder Rang 17 landen. Durch Bornauws späten Treffer war das aberkannte Tor letztlich nebensächlich.
Abstieg und Abschiede - was sonst noch wichtig war:
- In den anderen beiden Spielen, die sich um den Klassenerhalt drehten, waren die Referees nach dem Abpfiff ebenfalls kein Thema. Felix Brych brachte in seinem 300. Bundesligaspiel die Partie zwischen Werder Bremen und Borussia Mönchengladbach (2:4) gewohnt souverän über die Bühne. Sein Kollege Tobias Stieler hatte derweil das Spiel des VfB Stuttgart gegen Arminia Bielefeld (0:2) voll unter Kontrolle. Auch der Elfmeter, den die Gäste aus Ostwestfalen zum Führungstor verwandelten, war absolut korrekt: Naouirou Ahamada hatte über mehrere Meter hinweg Masaya Okugawa am Trikot gehalten und ihn erst im Strafraum losgelassen. Als der Bielefelder zu Boden ging, gab es folgerichtig einen Strafstoß. Denn bei einem Haltevergehen ist es nicht von Bedeutung, wo es anfängt, sondern vielmehr, wo es endet: "Wenn ein Verteidiger einen Angreifer außerhalb des Strafraums zu halten beginnt und ihn bis in den Strafraum weiter festhält, entscheidet der Schiedsrichter auf Strafstoß", heißt es in Regel 12.
- Drei Unparteiische leiteten an diesem 34. Spieltag ihre letztes Bundesligaspiel, weil sie die Altersgrenze von 47 Jahren erreicht haben und es nicht so aussieht, als zöge die sportliche Leitung der Schiedsrichter in Erwägung, den Appellen zum Überdenken dieser Regelung zu folgen. Guido Winkmann verabschiedete sich mit der Leitung der Partie 1. FC Union Berlin – RB Leipzig (2:1), Markus Schmidt war in der Begegnung FC Bayern München – FC Augsburg (5:2) im Einsatz, Manuel Gräfe beaufsichtigte das Spiel Borussia Dortmund – Bayer 04 Leverkusen (3:1). Und alle werden ihr Finale in besonderer Erinnerung behalten: Bei Winkmanns Spiel waren immerhin 2.000 Zuschauer zugelassen, die Unions Qualifikation für den Europapokal frenetisch feierten. Schmidt sprühte mit seinem Freistoßspray ein Herz auf den Rasen der Münchner Arena und veranstaltete gemeinsam mit den 250 Zuschauern eine La-Ola-Welle. Als Gräfe das Feld verließ, standen beide Mannschaften sogar für ihn Spalier. Das dürfte noch nicht vielen Unparteiischen widerfahren sein.
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