- Der SV Werder Bremen fühlt sich vom Stuttgarter Wamangituka verhöhnt als dieser den entscheidenden Treffer erzielt.
- Wamangituka läuft aufs leere Tor zu, bleibt kurz vor der Torlinie stehen und wartet einige Sekunden, bevor er den Ball ins Netz befördert.
- Doch das Tor ist regelkonform, auch wenn der Schiedsrichter anschließend die Gelbe Karte zeigt.
Ist das die kurioseste Szene der gesamten bisherigen Saison? In der Partie von Werder Bremen gegen VfB Stuttgart (1:2) läuft schon die Nachspielzeit, als die Schwaben, die mit 1:0 in Führung liegen, den Ball hoch und weit in Richtung des gegnerischen Strafraums schlagen.
Dort geht der Bremer Abwehrspieler
Die Rückgabe gerät allerdings etwas zu kurz, vielleicht kommt der Schlussmann auch ein bisschen zu spät. Der Stuttgarter Silas Wamangituka spritzt jedenfalls dazwischen und erobert den Ball, kurz bevor ihn Pavlenka aus der Gefahrenzone schlagen kann.
Während die beiden Bremer sich konsterniert ansehen, läuft Wamangituka aufs leere Tor zu. Aber er schießt die Kugel nicht einfach so ins Netz, sondern bleibt mit ihr mehrere Sekunden lang kurz vor der Torlinie stehen. Erst als sich Pavlenka nähert, befördert er den Ball mit dem Fuß zum 0:2 in die Maschen.
Selke findet Wamangituka "respektlos"
Doch warum gab es die Verzögerung beim finalen Torschuss? Um ein bisschen Zeit zu gewinnen? Oder um den Gegner zu ärgern? Ihn vielleicht sogar zu verhöhnen, zu demütigen?
Wamangituka zeigt nach seinem zweiten Tor an diesem Tag jedenfalls keine Emotionen und hebt abwehrend die Hände, als
Schiedsrichter Frank Willenborg erkennt den Treffer gleichwohl an – und zeigt beiden Spielern die Gelbe Karte. Wofür Selke sie bekommt, liegt auf der Hand. Aber Wamangituka? Für das aufreizende Hinauszögern des Torschusses vielleicht?
Schiedsrichter-Kolumne: Wamangitukas Tor ist regulär
Viele glauben es – aber regeltechnisch kann das nicht sein. Denn wenn das Vorgehen des Stuttgarters nach Ansicht des Unparteiischen eine Verhöhnung des Gegners dargestellt hätte, dann hätte er den Treffer wegen unsportlichen Verhaltens nicht anerkennen dürfen und auf indirekten Freistoß für Werder Bremen entscheiden müssen.
Doch er gab ihn, und zwar zu Recht, wie Lutz Wagner, der Schiedsrichter-Lehrwart des DFB erklärt. "Hätte sich der Spieler etwa auf den Boden gelegt oder hingekniet und den Ball dann mit dem Kopf über die Linie gebracht, wäre das etwas anderes gewesen."
Dann nämlich wäre die Grenze zur Demütigung überschritten gewesen, und das Tor hätte nicht gezählt. Diese Grenze sei nicht immer einfach zu ziehen, aber dort erreicht, wo der Abschluss erkennbar nicht nur dazu diene, einen Treffer zu erzielen, sondern auch, den sportlichen Gegner zu veralbern und zu verspotten.
"Das ist allerdings nicht der Fall, wenn einer, wie Wamangituka es getan hat, einfach noch einen Moment vor der Linie wartet, bevor er den Ball auf normale Art ins Tor schießt", so Wagner.
Kein Zeitspiel, nur Ergebnissicherung
Eine strafbare Spielverzögerung kam ebenfalls nicht in Betracht, weil es nur eine Situation gibt, in der auf "Zeitspiel" entschieden werden kann, wenn der Ball im Spiel ist: Kontrolliert der Torwart den Ball länger als sechs Sekunden mit den Händen, dann ist theoretisch ein indirekter Freistoß fällig.
Das wird von den Schiedsrichtern in der Praxis allerdings nur selten so gehandhabt, was auch auf allgemeine Akzeptanz trifft. Den Torschuss vor dem leeren Gehäuse zu verzögern, ist im Kern dagegen nichts anderes, als ein Ergebnis zu sichern, indem man den Ball an der Eckfahne festmacht und mit dem Po verteidigt.
Doch warum gab es dann die Gelbe Karte für Wamangituka? Rein regeltechnisch sei das schwierig zu begründen, erläutert Wagner, schließlich habe sich der 21-Jährige nach der Torerzielung bedeckt gehalten, anders als Selke.
Salomonische Lösung?
Die Schiedsrichter lösen Konflikte allerdings gerne salomonisch mit je einer Verwarnung hüben wie drüben, wenn es der Deeskalation und der Beruhigung des Spiels dient, so etwa auch bei "Rudelbildungen".
Allerdings müssen die Verwarnten sich dann auch wirklich etwas zuschulden kommen lassen haben, und das ist bei Wamangituka eigentlich nicht der Fall. Natürlich: Hätte er seinen Torschuss nicht so lange verzögert, dann hätte sich Selke wohl auch nicht beschwert.
Wamangituka hat sich provokativ verhalten, ohne die Grenze zum unsportlichen Verhalten zu überschreiten. Er hat gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen, aber nicht gegen die Fußballregeln.
Die Gelbe Karte stand deshalb nicht im Einklang mit dem Regeltext, dürfte aber trotzdem zur Beruhigung der Bremer Gemüter und damit des Spiels beigetragen haben. Das war Frank Willenborg im Zweifelsfall wichtiger.
Historisches Vorbild
Ein ähnliches Tor fiel im deutschen Profifußball übrigens zuletzt vor etwas mehr als 28 Jahren, nämlich im Zweitrundenspiel des DFB-Pokals zwischen Rot-Weiss Essen und dem FC Schalke 04 (2:0).
Damals, im September 1992, eroberte der Essener Jörg Lipinski ebenfalls in der Nachspielzeit nach einem Fehler des Schalker Torwarts Jens Lehmann den Ball und lief mit ihm aufs leere Schalker Tor zu.
Sekundenlang wartete er vor der Linie mit dem Torschuss, er kostete den vorfreudigen Jubel der Zuschauer voll aus. Dann schob er den Ball ins Netz. Auch Schiedsrichter Hans-Peter Dellwing aus Trier gab den Treffer. Zu einer Gelben Karte kam es allerdings nicht.
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