Erneut geht die Debatte um den Videobeweis los. Direkt im ersten Bundesligaspiel der Saison wird nach einer strittigen Szene per VAR in der 90.+10 Minute auf Elfmeter entschieden. Diesen verwandelte Florian Wirtz im Nachschuss zum 3:2-Endstand für Bayer Leverkusen.
Im Eröffnungsspiel der Bundesliga sahen wir: ein rasantes Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Bayer Leverkusen, mit fünf Toren, mit wechselnden Spielständen und vorher, mit einer atemberaubenden Choreografie auf den Rängen. Am Ende: ein 3:2 für den Meister.
Ein bekanntes Problem
Worüber wir heute reden: über den Videobeweis und seine Einflussnahme auf das Spielgeschehen. Zum wiederholten Mal. Der bemitleidenswerte Schiedsrichter Robert Schröder konnte nichts dafür. Er kann nicht ignorieren, was ihm der Kölner Keller über Ohrstöpsel zuruft.
Wir Deutschen kennen das: Der Schiri trifft auf dem Rasen Entscheidungen, die er dann nach einem Eingreifen von seinem VAR (Video-Assistent-Referee) revidiert. Dazwischen liegen manchmal Minuten, bis die Korrektur vollzogen wird.
In dieser Spielphase weicht alle Emotion aus dem Match: Spieler und Zuschauer starren auf den Schiedsrichter, der Szene für Szene auf einem Monitor am Rasenrand seziert. Jede Eigendynamik des Spielverlaufs: plötzlich futsch.
Ist das im Sinne des Fußballs?
Bei der Heim-EM im Sommer dachten wir noch: Der VAR-Wahnsinn sei ausgestanden. Im deutschen Spanien-Spiel ignorierte Anthony Taylor sogar Marc Cucurellas offensichtliches Handspiel im eigenen Strafraum, weil er die Szene so und nicht anders gesehen hatte.
Die Botschaft lautete: Wir Schiedsrichter entscheiden, was Sache ist - und nicht der VAR. Auch bei einem nicht gegebenen Handelfmeter. Auch bei Protest. Es ist: eine Tatsachen-Entscheidung - und zumindest keine krass falsche. Die ist Voraussetzung für den Videobeweis.
Anders in der Bundesliga. Beim Eröffnungsspiel hätte - wahrscheinlich - kein Mensch Protest eingelegt, wenn Schiedsrichter Robert Schröder einfach nach dem Kleindienst-Treffer bei seinem ursprünglichen Urteil geblieben wäre.
Und keiner hätte vorm Wirtz-Elfmeter bemerkt, dass im Gladbacher Strafraum ein elfmeterreifer Kontakt stattgefunden hat. Die Entlarvung passierte erst durch den VAR in Millimeter-Arbeit.
Der Videobeweis als Selbstzweck: Das kann nicht im Sinn der Erfinder sein
Oder doch? Manchmal wird man das Gefühl nicht los, dass die Schiedsrichter, die den Videobeweis Spieltag für Spieltag orchestrieren, eine Existenzberechtigung für Technik und Aufwand nachweisen wollen. Das artet in Detektivarbeit aus.
Aber der Preis ist zu hoch. Ein schönes Spiel leidet und wird hinterher zerredet, weil der VAR nicht nur eingegriffen, sondern am Ende das Spiel entschieden hat. Sogar die Leverkusener sagen: So will man nicht gewinnen. Man tut es trotzdem.
Der Videobeweis war mal eingeführt worden, um glasklare Fehlentscheidungen zu eliminieren. Die Grenze, wann ein Fehler offensichtlich ist, gerät zur Willkür. Dazu die Warterei. Wir wiederholen es ungern: Aber so macht der VAR keinen Sinn.
Über den Autor
- Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
- Fever Pit'ch ist der tägliche Fußball-Newsletter von Pit Gottschalk. Jeden Morgen um 6:10 Uhr bekommen Abonnenten den Kommentar zum Fußballthema des Tages und die Links zu den besten Fußballstorys in den deutschen Medien.
Verwendete Quellen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.