Offen wie noch nie zerlegt Aki Watzke die Reformen im Kinder- und Jugendfußball. Was seine Kritik so brisant macht: Er ist selbst DFB-Vizepräsident.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Der BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, genannt "Aki", darf mit seinen 64 Jahren auf eine lange Karriere als Fußballfunktionär und Unternehmer zurückblicken. Er weiß also, was Leistung bedeutet. Und vor allem: was nicht.

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Mit Sorge blickt er auf die Vorgänge, die beim DFB im Kinder- und Jugendfußball passieren. 2024 werden neue Spielformen eingeführt, die ein Ziel haben: den Leistungsdruck minimieren, um beim Nachwuchs Spaß am Fußball zu fördern.

Watzke hält die DFB-Reform im Kinderfußball für "unfassbar und für mich nicht nachvollziehbar", wie er am Mittwoch auf dem Unternehmertag in Essen in aller Deutlichkeit sagte. Jeder Watzke-Satz war eine Klatsche für die DFB-Bosse.

  • "Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen."
  • "Wenn wir Angst haben, dass ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das auch sehr viel über die deutsche Gesellschaft aus."
  • "Es gab ja auch die Diskussion, nicht mehr auf Tore zu spielen. Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft."

Watzke ist gleichzeitig DFB-Vizepräsident

Was die Watzke-Aussagen so brisant machen: Als Aufsichtsratsvorsitzender der Bundesliga-Vereinigung DFL ist er gleichzeitig DFB-Vizepräsident. Bisher hat er sich zum neuen Nachwuchskonzept des Verbandes nicht öffentlich geäußert.

Aber er ist da auf einer Linie mit seinem Berater Matthias Sammer, der früher selbst DFB-Sportdirektor war und eine Kurskorrektur einfordert. "Es gibt im DFB und in der Gesamtgesellschaft viele Leute, die sagen: Wir müssen weniger Leistungsdruck und Stress am Arbeitsplatz und lieber ein bisschen mehr Home Office haben", fasste Watzke zusammen.

Sein Spott über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland war unüberhörbar: "Wir müssen alle fröhlich und friedlich sein und uns alle gut vertragen und am Ende gucken, dass wir noch einen finden, der das Ganze bezahlt. Und das ist schon weit auch in den Jugendfußball eingedrungen, das darfst du nicht unterschätzen."

Seine Conclusio: "Und ich halte es für völlig falsch."

Die Leute aus der Praxis melden sich viel zu spät

Man fragt sich nur: Wo war Watzke, als die DFB-Reformen auf dem Tisch lagen und zur Abstimmung standen? Warum erfolgte damals nicht sein öffentlicher Aufschrei, dass die Veränderungen eine falsche Richtung gehen?

An den DFB-Reformen gibt es reichlich zu kritisieren, ja. Und wenn nicht in der Sache, dann an der Signalwirkung. Denn ohne Gewinner und Verlierer lernt man beides nicht: Wie man mit Siegen umgeht und wie mit Niederlagen.

Doch die Diskussion hätte man führen müssen, als weltfremde Theoretiker beim DFB die perfekte Welt am Reißbrett malten. Da liegt das eigentliche Problem: Die Leute aus der Praxis melden sich nicht zu spät. Sondern: viel zu spät.

Verwendete Quellen:

  • presseportal: BVB-Boss und Verbands-Vize spricht von "grundsätzlich falschem Ansatz"
  • sueddeutsche.de: "Seien wir doch mal ehrlich: Wir liegen am Boden!"
Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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