- Real Madrid und Carlo Ancelotti mussten sich im Vorjahr viel Kritik anhören, als der Italiener erneut als Trainer verpflichtet wurde.
- Ancelottis letzte Trainerstationen hatten angedeutet, dass seine Zeit auf höchstem Trainerniveau langsam abzulaufen schien.
- Wie Ancelotti eine Madrider Mannschaft im Umbruch binnen weniger Monate zurück auf Topniveau führte und erneut vom Gewinn der Champions League träumen lässt, verdient höchste Anerkennung.
"Nicht mehr zeitgemäß". "Seine besten Trainerjahre würden hinter ihm liegen". "Mehr Notnagel als Wunschlösung". Verunglimpfungen wie diese mussten sich sowohl Real Madrid als auch
Ancelotti wurde Nachfolger des zurückgetretenen Zinédine Zidane, der mit drei Champions-League-Titeln in Serie die gewohnt hohen Ansprüche der Madrilenen nochmals deutlich in die Höhe geschraubt hatte. Der Italiener übernahm jedoch eine Mannschaft, die nach sehr erfolgreichen Jahren erstmals seit 2010 keinen Titel gewinnen konnte und einen personellen Umbruch dringend nötig hatte.
Undankbarer hätte die Aufgabe für Ancelotti kaum ausfallen können. Erschwerend kam hinzu, dass die letzten Trainerstationen des "Maestro" eigentlich angedeutet hatten, dass seine Zeit auf höchstem Niveau ablaufen würde und er seine besten Jahre längst hinter sich zu haben schien.
Doch Ancelotti stellte sich der Aufgabe in Madrid, wo er einst einen seiner größten Erfolge feierte.
Carlo Ancelotti: Nach "La Décima" ging es schleichend bergab
In Ancelottis erster Amtszeit in Madrid gelang ihm als Nachfolger von
Es folgte der Schritt zum nächsten europäischen Schwergewicht, dem FC Bayern München. National sollte sich das Titelhamstern fortsetzen, aber wie schon sein Vorgänger bei den Bayern,
Ancelotti gönnte sich einige Monate Pause und zog 2018 weiter zum SSC Neapel, wo eine von zahllosen Titeln geprägte Trainerkarriere langsam ihrem Ende entgegenzugehen schien. Statt Meisterfeiern und Pokalsiegen schlossen die Neapolitaner mit Platz sieben sportlich solide in der Serie A ab. Ende 2019 folgte die nächste Entlassung. Ancelotti unterzeichnete diesmal bereits wenige Tage später beim FC Everton, mehr als zwei Saisonabschlüsse im Tabellenmittelfeld sollten nicht herausspringen. Der Italiener zeigte sich rückblickend aber nicht unzufrieden und wäre durchaus bereit gewesen, weiterhin in England zu arbeiten.
Als dann der Anruf aus Madrid kam und sich sowohl Experten als auch die Fans verwundert die Augen rieben, konnte Ancelotti seiner alten Liebe schlichtweg nicht nein sagen. "Ich denke, dass es bei Everton gut gelaufen ist. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, die Beziehung zum Verein war ausgezeichnet, aber dann rief Madrid an. Ich kann verstehen, dass einige Leute verärgert waren, aber ich konnte nicht nein sagen. Es war der einzige Verein, bei dem ich nicht nein sagen konnte, bei allen anderen hätte ich bei Everton bleiben können. Aber nicht Madrid", blickte Ancelotti vor wenigen Wochen auf einer Pressekonferenz zurück.
Ancelotti erfindet sich bei Real neu und optimiert seine Spieler
Ein knappes dreiviertel Jahr nach Ancelottis Rückkehr nach Madrid grüßt Real von der Tabellenspitze - der nationalen Konkurrenz weit enteilt. Der Gewinn der Meisterschaft ist nur noch reine Formsache. Und auch in der Champions League ist ein weiterer Titelgewinn möglich. Im Halbfinale trifft Real auf Manchester City und greift nach dem nächsten "Henkelpott".
Der Vater des Erfolgs ist Ancelotti, daran besteht kein Zweifel. Der "Mister" an der Seitenlinie erfindet sich auch im hohen Traineralter mal wieder neu und haucht einer Mannschaft Leben ein, die sich nach den Abgängen von Star-Spielern wie
Ancelottis bevorzugter Fußball in Madrid zeichnet sich durch seine Anpassungsfähigkeit aus. Das eigene System ist variabel, die Formation wird je nach Gegner und den Umständen entsprechend angepasst. Ballbesitz spielt eine eher untergeordnete Rolle, während der Fokus vermehrt auf Konterfußball liegt, eine der großen Stärken der Mannschaft.
"Wir können auf verschiedene Spielsysteme zurückgreifen. Das ist die Stärke dieser Mannschaft. Ich genieße es, die Mannschaft spielen zu sehen. Wir sind stark genug, um alle Wettbewerbe zu bestreiten, die uns noch bevorstehen", erklärte Ancelotti nach dem Gewinn des spanischen Supercups im Januar.
Unter Ancelotti bildet Stürmer
Ancelotti holt das Maximum aus den Real-Stars heraus
Kleinere taktische Nuancen, die angepasst werden, sowie gezielte personelle Verstärkungen, anstatt dem ganz großen Umbruch, dafür steht Ancelotti.
Was der Trainer aber aus dem einen oder anderen in der Vergangenheit viel kritisierten Spieler an Leistungsfähigkeit herausgekitzelt hat, verdient höchsten Respekt. Vinicius war in der Vorsaison ein Schatten seiner selbst. Nach weitgehend enttäuschenden Leistungen drohte der 21-Jährige an den hohen Erwartungen zu zerbrechen. Ancelotti gelang es, die Selbstzweifel des Brasilianers zu zerstreuen und endlich Konstanz in sein Spiel zu bekommen. Vinicius ist das gewonnene Selbstvertrauen in seinen Aktionen anzusehen und der Spieler dankte es seinem Trainer mit 17 Toren und 18 Assists in 45 Saisonspielen.
Stärkere Zahlen legt nur sein kongenialer Sturmpartner auf. Benzema, der über die Jahre häufig abgeschrieben wurde, ist der Star des Teams und hat in der laufenden Saison wettbewerbsübergreifend in 40 Spielen bereits 39 Tore erzielt und 13 Assists aufgelegt. Ancelotti lobte seinen Goalgetter nach dem Dreierpack im Viertelfinalhinspiel gegen den FC Chelsea in höchsten Tönen: "Er wird von Tag zu Tag besser, wie ein guter Wein." Und ging noch einen Schritt weiter: "In dieser Saison haben sich zwei Stürmer besonders hervorgetan: Vinicius und Benzema. In der Vergangenheit hatten wir Cristiano (Ronaldo, Anm. d. Red.) oder Bale. Zu sagen, dass wir von Benzema abhängig sind, ist die Wahrheit. Es gibt keinen Grund, das zu verheimlichen. Ich bin sehr glücklich, von Benzema abhängig zu sein."
Quasi ein Ritterschlag. Und die Wertschätzung ist nicht nur einseitig.
Carlo Ancelotti: Spieler schwärmen in höchsten Tönen vom "Maestro"
Die Spieler lieben ihn wegen seiner umgänglichen und unkomplizierten Art. Ancelotti scheint nichts aus der Ruhe zu bringen. Beispielsweise als Kroos im Rückspiel des Viertelfinales der Champions League gegen Chelsea ausgewechselt wurde. Der Spieler würdigte seinen Trainer keines Blickes und klatschte nur widerwillig ab.
Eskalationspotenzial bei anderen Trainern? Sehr hoch. Unter dem Italiener? 0 Prozent. "Das wurde weggelächelt, es wurde nicht mehr besprochen", erklärte Kroos im gemeinsamen Podcast mit seinem Bruder Felix, "Einfach mal Luppen". Es gebe "auch auf dem Level viele Trainer, die viel mehr persönlich nehmen als ein Carlo zum Beispiel. Der weiß das definitiv mit seiner Erfahrung und Gelassenheit einzuschätzen, außerdem haben wir sowieso ein überragendes Verhältnis."
Damit steht Kroos bei weitem nicht alleine. Flügelspieler Vinicius kam im Interview mit "Uefa.com" kürzlich gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus: "Er ist ein großartiger Trainer, der schon so viele Titel gewonnen hat und er setzt immer auf junge Spieler. Er vertraut uns und gibt uns das nötige Selbstvertrauen. Er spricht sehr viel mit uns, das alleine ist oft schon viel wert. Wir sehen unter ihm viele Videos und er gibt Spielern wie mir, Militão, Rodrygo und Camavinga immer wieder eine Chance."
Ob erfahrene Spieler wie Kroos, die seit Jahren das Spiel der "Königlichen" prägen, oder Youngster, die schrittweise an die Startelf herangeführt werden. "Carletto" hat sich auch nach über 20 Jahren im Trainerbusiness stets weiterentwickelt und erneut eine Mannschaft auf Top-Niveau geformt.
Im Halbfinale der Champions League gegen die "Citizens" greift Ancelotti nun nach seinem insgesamt vierten Titel im höchsten europäischen Vereinswettbewerb. Wundern sollte es nach der Neuausrichtung des Teams binnen kürzester Zeit und den beeindruckenden Leistungen jedenfalls keinen mehr.
Verwendete Quellen:
- sport1.de: Kroos wehrt sich gegen Kritik
- de.uefa.com: Interview: Real Madrids Vinícius Júnior über Carlo Ancelotti, Karim Benzema und die Macht der Zahlen
- apnews.com: Ancelotti’s Real Madrid showing its dominance in Spain
- news.euro-24.com: Transfers, train Italy, titles… Carlo Ancelotti reviews Real Madrid news
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