Beim Remis gegen Real Madrid zeigt Borussia Dortmund noch einige Kinderkrankheiten. Die junge Truppe begeistert aber gleichzeitig auch durch ihre aufregende Art. Das Spiel war wie ein Ausrufezeichen an die Konkurrenz: Mit diesem BVB ist zu rechnen!
Eines der Schlagwörter an diesem aufwühlenden Abend war "Mut".
Die Partie gegen Real Madrid war für Borussia Dortmund eine Standortbestimmung. Die teilweise famosen Auftritte in der Bundesliga, das lockere 6:0 gegen Warschau - geschenkt. Das war die Königsklasse und es war der Titelverteidiger - die größtmögliche Herausforderung.
Der BVB hat sie gemeistert, so muss man ein 2:2 nach zweimaligem Rückstand wohl einschätzen. Die Borussia hat sich zurückgemeldet unter den Großen Europas, hat mal angeklopft und vorgefühlt - und eine Marke hinterlassen für den weiteren Verlauf dieser Champions-League-Saison.
Der BVB mit seiner besten Leistung
Er wolle in diesem Spiel noch mehr über seine Mannschaft erfahren, hatte Tuchel im Vorfeld gehofft. Sein Team tat ihm den Gefallen. Dortmund zeigte wieder das Beste, wozu diese Mannschaft in der Lage ist. In der ersten Halbzeit spielte der BVB so flüssig und mit einem Selbstverständnis, dass man sich schon fragen musste, welches Team hier neu formiert und erst seit ein paar Wochen zusammen trainiert und welches seit Jahren eingespielt und über die Maßen erfahren ist.
Die Borussia bespielte den Gegner in allen Bereichen, war stark über die Flügel und hatte genügend Verbindungen durchs Zentrum. Die Mannschaft spielte mal schnell tief, mal über viele Stationen, um den Gegner auseinanderzuziehen. Da war alles zu sehen, was das Lehrbuch an Offensivstrategien so hergibt.
Die Absicherung im Gegenpressing war aber phasenweise auch naiv. Das hatte gefährliche Konter zur Folge und letztlich auch das 0:1. Dem 1:2 ging eine kurz ausgeführte Ecke des Gegners voraus, die zwar am Flügel fachgemäß verteidigt wurde, die Spieler im Zentrum aber nicht wach in der Aktion waren und gleich zwei Gegenspieler im Rücken übersahen.
Dem BVB fehlt noch die Abgeklärtheit
Wie wenig abgeklärt die Mannschaft auf diesem Niveau noch ist, zeigte sich vor dem eigenen und dem gegnerischen Tor. "Wir hatten viele Situationen um den Sechzehner, haben aber viele Angriffe in den 20 Metern vor dem gegnerischen Tor nicht sauber und gut ausgespielt, um noch mehr Torchancen zu bekommen", sagte Tuchel.
Nach der Pause verlor seine Mannschaft schnell den Zugang zum Spiel, Real hatte plötzlich mehr Ballbesitz und damit auch die Kontrolle erlangt. "In dieser Phase haben wir den Zugriff verloren und mit zunehmender Spieldauer auch nicht mehr daran geglaubt, das noch drehen zu können", so Tuchel weiter. "Wir hatten etwas den Mut verloren. Wir hatten in der Mittelfeldzone kein gutes Rhythmusgefühl mehr und den Ballbesitz leicht weggeschenkt."
Der Trainer selbst sorgte von der Bank aus für die entscheidenden Impulse, um der Partie doch noch eine andere Wendung zu geben. Tuchels Wechsel schlugen sofort voll ein. Christian Pulisic, Emre Mor und André Schürrle gaben dem Spiel eine neue Geschmacksrichtung und es war schon erstaunlich, dass gerade diese Verjüngung des ohnehin schon jungen Teams der entscheidende Faktor war.
Aber gerade jungen Mannschaften haften Leistungsschwankungen innerhalb einer Partie an und Spieler wie Julian Weigl, Ousman Dembele, Pulisic oder Mor werden unheimlich viel mitnehmen aus diesen 90 Minuten gegen Real Madrid. Tuchel hat gesehen, wie sein Team auf Unwägbarkeiten oder Rückschläge reagiert.
Nicht zufrieden mit dem Remis
Anders als bei der bisher einzigen Niederlage in einem Pflichtspiel in Leipzig, als nach dem entscheidenden Tor kaum noch Zeit war, das Ergebnis positiver zu gestalten, fand seine Mannschaft jeweils wieder gut zurück nach den beiden Rückständen. "Das war schwer, das haben wir gut gemacht", befand Tuchel.
So klar und analytisch der Trainer die 90 Minuten sezierte, so schwer tat er sich sichtlich mit der Einordnung der Partie in einen größeren Kontext. "Wir nehmen das Ergebnis gerne mit, das fühlt sich gut an. Aber wir hätten das auch besser auflösen können. Es gibt uns das Gefühl, dass mehr drin gewesen wäre. Wir denken, dass wir das noch besser können."
Es gehört zu dieser neuen Borussia, dass sie sich mit einem Remis gegen Real Madrid zu Hause nicht zufrieden geben will. Die Mannschaft hat angedeutet, was sie zu leisten imstande ist und wie schnell sie aus Fehlern lernen kann.
Und so war es am Ende vielleicht gar nicht (nur) Borussia Dortmund, das wichtige Lehren aus diesem Abend ziehen konnte. Sondern auch Real Madrid. "Wir haben gelitten", sagte Gonzalo Castro. "Aber Real hat auch leiden müssen." Prägnanter hat es niemand auf den Punkt gebracht.
Auch die übrige, hochkarätige Konkurrenz der Champions League dürfte erkannt haben: Mit dem BVB ist in dieser Saison zu rechnen, da kommt eine hungrige, ambitionierte, talentierte und aufregende Truppe auf das Establishment zu.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.