Die Zahl der Fußball-Schiedsrichter sinkt von Jahr zu Jahr. Der Hauptgrund dafür besteht nachweislich in fehlendem Respekt und mangelnder Wertschätzung gegenüber den Unparteiischen. Der DFB versucht nun, dieser Entwicklung mit einem Leuchtturmprojekt zu begegnen.
Die Zahlen sind alarmierend: Im Jahr 2008 gab es in Deutschland noch rund 80.000 Fußball-Schiedsrichter, heute sind es nur noch etwa 50.000 – ein besorgniserregender Rückgang. Jedes Jahr beenden mehr Unparteiische ihre Tätigkeit, als neue hinzukommen. In vielen Teilen des Landes können etliche Spiele in den unteren Ligen nicht mehr mit ausgebildeten Referees besetzt werden.
Corona hat die Lage noch einmal deutlich verschärft: Etliche Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen haben festgestellt, dass sie ihre Wochenenden auch anders verbringen können als auf dem Fußballplatz, und die Pfeife an den berühmten Nagel gehängt. Noch weniger als zuvor konnte der Verlust durch Neulingslehrgänge aufgefangen werden – denn die wurden aufgrund der Lockdowns zwangsläufig in viel geringerer Zahl angeboten.
Nun hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das "Jahr der Schiris" ausgerufen und unter das Motto gestellt: "Liebe den Sport. Leite das Spiel." Es ist ein sogenanntes Leuchtturmprojekt des Verbandes, das heißt, ihm wird ein ganz besonderes Gewicht beigemessen.
Die Unparteiischen seien "ein fester Bestandteil des Spiels und für den Fußball unverzichtbar", hält der DFB dazu auf seiner Website fest. Es sei die Aufgabe des gesamten Fußballs, die Entwicklung umzukehren, dass die Zahl der Referees im Amateurfußball seit Jahren rückläufig ist.
"Wie gelingt ein Bewusstseinswandel hin zu mehr Respekt und Wertschätzung gegenüber den Unparteiischen?", fragt der Verband. Und: "Wie kann der Fußball die Schiedsrichter*innen enger in die Fußballfamilie integrieren?"
Mangelnde Wertschätzung ist das größte Problem
Um sich möglichen Antworten zu nähern, muss man einen Blick auf die Gründe werfen, aus denen so viele aktive Unparteiische aufhören. Thomas Giel, der am Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln tätig ist, hat unlängst die Gründe für den Schiedsrichtermangel in Deutschland erforscht.
In einer Studie, über die vor einem Jahr die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, hat Giel die Ergebnisse vorgestellt. Wenig überraschend ist dabei: Je häufiger ein Schiedsrichter Beleidigungen erlebt hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Tätigkeit beendet.
Noch wichtiger sei jedoch etwas Grundsätzliches: "Vielen Schiedsrichtern fehlt es an Wertschätzung", so Giel. Damit sei keineswegs Geld gemeint, sondern vielmehr ein Austausch mit Kollegen, Weiterentwicklungsmöglichkeiten als Schiedsrichter und vor allem der Respekt und die Würdigung des eigenen Engagements im Fußball.
Angesprochen sind damit sowohl die Vereine als auch die Kreise, Bezirke und Verbände.
Wer zum wiederholten Mal schon vor einem Spiel behandelt wird wie ein notwendiges Übel und eine verschmutzte, unaufgeräumte Kabine vorfindet, dem Spielbericht hinterherlaufen muss, nicht einmal eine Flasche Wasser bekommt und keine Ansprechperson beim gastgebenden Verein hat, wird sich irgendwann fragen, warum er sich das noch weiter antun soll.
Fast 2.500 Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle gegen Referees in einer Saison
Eine aktuelle Umfrage im Auftrag des DFB (PDF zum Herunterladen) unter den Unparteiischen im Amateurlager bekräftigt Giels Recherchen. 85 Prozent nehmen einen Mangel an Respekt ihnen gegenüber seitens der Zuschauenden wahr. 79 Prozent vermissen Anerkennung und Wertschätzung auch bei den Spielern und Trainern. Das sind die beiden mit Abstand höchsten Werte bei der Frage, auf welche Probleme man als Referee trifft.
Gewalt gegen Schiedsrichter sehen 30,4 Prozent der Unparteiischen, die an der Umfrage teilgenommen haben, als Problem an. Einerseits ist das ein bedenklich hoher Wert, andererseits liegt er nur auf Platz 7 in der Liste der Unannehmlichkeiten, denen sich die Schiedsrichter ausgesetzt sehen. Dabei weist das jüngste Lagebild des DFB zum Amateurfußball insgesamt 2.399 Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle gegen Unparteiische in der Saison 2021/22 aus – ein neuer Höchststand.
Gleichzeitig antworten 84,2 Prozent der teilnehmenden Referees in der DFB-Erhebung auf die Frage, was sie motiviert, als Schiedsrichter tätig zu sein, die Tätigkeit bereite ihnen Spaß. Für 78,8 Prozent ist die sportliche Betätigung als solche wichtig, 75,1 Prozent sagen, ihre Motivation bestehe auch darin, Teil des Fußballs zu sein.
Unparteiische beklagen auch zu geringe Aufstiegsmöglichkeiten
Nicht wenigen Unparteiischen mangelt es allerdings auch an Wertschätzung vonseiten ihres Landesverbands und des DFB – 39,1 Prozent nennen das als Problem. 23 Prozent beklagen außerdem zu geringe Aufstiegsmöglichkeiten als Schiedsrichter. Dass die Chancen, in höheren Spielklassen zu pfeifen, begrenzt sind, hängt auch damit zusammen, dass die Verbände bei den Unparteiischen im Spitzenbereich auf eine deutliche Verjüngung gesetzt haben.
Das bedeutet: Schon wer Ende 20 ist, hat nur noch begrenzte Aufstiegsmöglichkeiten; die Regionalliga ist dann normalerweise nicht mehr zu erreichen. Hier wirken sich letztlich die Vorgaben der internationalen Verbände wie der Fifa aus, die ebenfalls einer Verjüngungspolitik folgen. Will der DFB weiterhin Referees im internationalen Spitzenbereich stellen, dann kommt er nicht umhin, diese Linie zu übernehmen.
Zugleich sind die Regional- und Landesverbände, aber auch die Bezirke und Kreise gefordert, nach Möglichkeiten zu suchen, um auch Schiedsrichtern jenseits der 30 wieder mehr sportliche Anreize zu verschaffen. Denn die Zahl derjenigen Unparteiischen bis etwa Mitte 40, die ihre Tätigkeit beenden, hat zuletzt vielerorts zugenommen.
Was die Vereine tun können
Doch was könnten die Vereine tun, um dem Mangel an Respekt und Wertschätzung entgegenzuwirken, den eine große Mehrheit der Referees bei ihren Spielen spürt? Schließlich ist es dramatisch, dass eine Vielzahl von neuen Unparteiischen nicht zuletzt deshalb schon in den ersten drei Jahren nach ihrer Schiedsrichterprüfung wieder aufhört. Die Unparteiischen bei der Stange zu halten, ist längst eine größere Herausforderung, als neue zu gewinnen.
Bereits kleine Änderungen können viel bewirken. So berichtet beispielsweise der Drittliga-Schiedsrichter Tom Bauer aus Mainz, dass er vor einer Weile dem kleinen Amateurverein, dem er als Unparteiischer angehört, geraten habe: "Legt den Schiris vor euren Heimspielen einen Müsliriegel und eine Banane in die Kabine, stellt eine Flasche Wasser und eine Apfelschorle dazu. Damit zeigt ihr, dass ihr um sie bemüht seid."
Der Verein tat, was ihm empfohlen wurde, und konnte ein halbes Jahr später gegenüber Bauer vermelden: "Nun kommen die Schiris alle gerne zu uns." Aber auch im Bereich der Prävention muss sich mehr tun. Die Vereine müssen ihren Spielern klarmachen, dass sie den Schiedsrichter zu achten und zu respektieren haben. Wer sich nicht daran hält, sollte auch vereinsintern sanktioniert werden.
Zudem täte es den Klubs gut, wenn sie sich – auch mit Hilfe und Unterstützung durch die Unparteiischen – mehr mit den Fußballregeln auseinandersetzen würden. Dann entfiele so mancher vermeintliche Grund für einen Protest. Die Regeln des Sports, den man betreibt, sollte man schließlich gut kennen. Und weil sich vor allem zwischen 2016 und 2019 vieles am Regelwerk verändert hat, besteht hier auch ein großer Nachholbedarf.
Ein Fortschritt könnte es darüber hinaus sein, wenn alle Vereine einen Schiedsrichter-Beauftragten hätten, der an Spieltagen für die Unparteiischen da ist und sich um ihre Belange und Wünsche kümmert. Auch vereinsintern wäre das ein Zeichen, dass die Schiedsrichter nicht bloß ein notwendiges, geduldetes Übel sind, sondern Menschen und Sportler, die für den Fußball unerlässlich sind.
Der Profifußball hat eine Vorbildfunktion
Ein wichtiges Zeichen ist es zudem, dass die Bundesliga-Schiedsrichter vor dem Beginn dieser Saison und noch einmal in der Winterpause angewiesen wurden, wieder konsequenter gegen Unsportlichkeiten vorzugehen, sprich: gegen Rudelbildungen, das Ballwegschlagen, das Vor-den-Ball-Stellen, um eine schnelle Spielfortsetzung zu blockieren, das Anlaufen des Referees, das ständige Protestieren und Abwinken.
Wenn im Profibereich diesbezüglich entschlossen vorgegangen wird, strahlt das aufgrund der Vorbildwirkung in den Amateurbereich ab und macht es den Unparteiischen etwas einfacher. Zeigen die Spieler mehr Respekt gegenüber den Schiedsrichtern in der Bundesliga, dann wirkt sich das auch auf die unteren Klassen positiv aus.
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Derzeit gibt es etwa jede vierte Gelbe Karte wegen unsportlichen Verhaltens. Zuletzt musste Ozan Kabak von der TSG 1899 Hoffenheim sogar mit Gelb-Rot vorzeitig das Feld verlassen, weil er im Spiel beim SC Freiburg nach einem Freistoßpfiff für die Freiburger den Ball wegwarf und so eine schnelle Spielfortsetzung verhinderte. Der Mainzer Trainer Bo Svensson und sein Freiburger Kollege Christian Streich wurden auf die Tribüne verwiesen, weil sie sich gegenüber dem Referee ungebührlich verhalten hatten.
Es gibt nicht das eine Patentrezept, um das Projekt "Jahr der Schiris" zu einem Erfolg werden zu lassen. Aber es gibt viele kleine Schritte, die zu diesem Ziel führen können. Das ist in der Tat die Aufgabe des gesamten Fußballs und aller an ihm Beteiligten.
Verwendete Quellen:
- faz.net: Jannik Müller: Die Gründe für den Schiedsrichter-Mangel in Deutschland (Bezahlinhalt)
- dfb.de: Amateurfußball-Barometer: Schiri-Situation (PDF)
- dfb.de: DFB-Lagebild Amateurfußball: Anstieg an Spielabbrüchen
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