Die derzeit lauter werdende Forderung nach einer Frauenquote im Fußball ist gut und wichtig. Aber sie kann nur der Anfang sein hin zu einem besseren Fußball für alle.
In der oftmals hitzig geführten Diskussion um Quoten im Fußball und anderswo lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen, worum es im Kern geht. Schließlich erfüllen Quoten keinen Selbstzweck, vielmehr geht es darum, die Gesellschaft dort, wo Verantwortung für ihre Belange liegt, abzubilden.
Der Fußball hat in diesem Thema auch deshalb eine wichtige Funktion, weil er Fix- und Orientierungspunkt ist und ein Beispiel dafür sein kann, wie unsere Gesellschaft idealerweise aussehen könnte, wenn alle ihren Platz darin haben.
Echte Vielfalt geht über Frauenquote hinaus
Meist dreht sich die Diskussion um eine Frauenquote, im Fußball hat sie kürzlich neue Fahrt aufgenommen dank der Initiative "Fußball kann mehr". Unter diesem Slogan fordern neun Frauen um Fußballerin Almuth Schult, Katja Kraus (Geschäftsführerin Jung von Matt Sports) und Sandra Schwedler (Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli) unter anderem verbindliche Frauenquoten in Verbänden und Aufsichtsräten sowie Gehaltstransparenz.
Der Vorstoß der neun ist wichtig, entbindet aber nicht davon, erneut die Frage zu stellen: Welche Gesellschaft wollen wir im Fußball abbilden – und wie erreichen wir das idealerweise?
Denn Cis-Frauen sind längst nicht die einzige Gruppe, die hier unterrepräsentiert ist. Wer über Quoten und Repräsentanz nachdenkt, darf nicht den Fehler wiederholen, bei dem sich Frauen einfach immer mitgemeint fühlen sollen.
Sprich, für echte Vielfalt im Fußball müssen die Forderungen weit über diese eine Quote hinausgehen. Sprechen wir über geschlechtliche und sexuelle Identitäten, ist es wichtig, nicht-binäre, trans und inter Personen ebenso mitzudenken wie alle queeren Menschen.
Sieben Kerndimensionen von Diversität auch in Führungs- und Aufsichtspositionen
Das Argument, es sei doch egal, wie Leute sich hinsichtlich dieser Kategorien identifizieren, ist keines und es zeigt eine sehr privilegierte Denke: Unsere Gesellschaft ist für heterosexuelle Cis-Menschen ausgelegt, umso wichtiger ist es, dass andere Gruppen repräsentiert sind und in entscheidenden Positionen vertreten.
Die Charta der Vielfalt legt sieben Kerndimensionen von Diversität fest. Diese sind Geschlecht und geschlechtlichen Identität, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft und Nationalität, Alter, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung sowie die soziale Herkunft. Niemand würde vermutlich widersprechen, dass beim Fußball auf dem Platz längst Menschen mit verschiedenen Backgrounds in all den Dimensionen zusammenkommen.
Wieso also sollte etwas, das für Spieler*innen vollkommen normal ist, nicht in den Vorständen und Verbänden, Aufsichtsräten und Führungspositionen ebenso üblich sein? Und wie klein muss man denken, um nicht zu erkennen, welche Vorteile diese Diversität allen bringen würde, weil Menschen unterschiedlicher Hintergründe gemeinsam viel größer und bunter denken?
Kompetenz in hohen Positionen obliegt nicht nur weißen Cis-Männern
Geht es um die Frauenquote, so wird gerne argumentiert, bei der Besetzung von Posten solle Kompetenz im Vordergrund stehen. Das wird gerade wieder jenen entgegengeschmettert, die fordern, der DFB solle über eine Präsidentin des Verbandes nachdenken, nachdem die letzten Präsidenten allesamt krachend im Amt gescheitert sind.
Glauben jene, die so argumentieren ernsthaft, all die weißen Cis-Männer in hohen Positionen seien automatisch besser in ihren Jobs, als es Frauen, BiPocs, queere, be_hinderte und nicht-binäre Personen, Menschen mit Einwanderungshintergrund, nicht-christliche oder andere wären?
Wie sehr kann eine Gruppe von der eigenen Überlegenheit überzeugt sein, deren Angehörige sich umschauen, feststellen, alle anderen haben exakt dieselben Grundvoraussetzungen und Merkmale – und die ernsthaft denken, es liege daran, dass Mitglieder dieser Gruppe automatisch kompetenter seien? Fehlt da nicht vielleicht ein bisschen Reflexionsvermögen über gesellschaftliche Verhältnisse?
Bewusstseinswandel der Verantwortlichen im Fußball nötig
Natürlich wird der Fußball am Ende nicht durch Quoten für alle Vielfaltsdimensionen gerettet, speziell dann nicht, wenn an den entscheidenden Positionen vorerst weiter Menschen sitzen, die eine queere BiPoC mit Einwanderungshintergrund nur einstellen würden, um so gleich drei Quoten auf einmal abhaken zu können.
Worum es geht, ist ein Bewusstseinswandel, damit die Verantwortlichen begreifen, wie sehr auch sie von Vielfalt profitieren können. Quoten können auf dem Weg dahin aber eine Hilfestellung sein – und müssen mehr als nur Frauen benennen. Der DFB unternimmt derzeit mit Programmen zur Förderung von Frauen und Menschen mit Einwanderungshintergrund zunächst im Ehrenamt zarte Schritte in die richtige Richtung.
Der Fußball kann und darf sich seiner Verantwortung hier nicht entziehen. Längst begriffen haben das die Fans, die sich seit geraumer Zeit für Vielfalt, Offenheit und eine Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen einsetzen.
Es liegt deshalb nicht nur emotional eine sehr große Hoffnung auf der Rückkehr der Fußballanhänger*innen in die Stadien, sie wäre auch deshalb zeitnah wünschenswert, weil die Fans von den Rängen wieder lautstark für wichtige Werte im Sport einstehen könnten. Denn ja, Fußball kann mehr. Und ist an der Basis längst divers.
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