Portugal setzte sich im Achtelfinale der EM im Elfmeterschießen 3:0 gegen Slowenien durch. Zuvor vergab die Mannschaft zahlreiche Chancen, allein drei Ronaldo-Freistöße gingen ins Leere. Der Kapitän ist aber weiterhin zentrale Anspielstation – mit fatalen Folgen im Viertelfinale gegen Frankreich?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Victoria Kunzmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als die Mannschaft in der kurzen Pause zwischen den beiden Hälften der Verlängerung zusammenstand und eine Einheit heraufbeschwor, kamen ihm doch die Tränen.

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Kurz darauf sah das ganze Stadion, sahen die Millionen Menschen vor den Fernsehern, wie Cristiano Ronaldo emotional wurde. Minuten zuvor hatte der mit Abstand größte Star seines Teams einen Elfmeter verschossen.

"Zuerst war ich wahnsinnig traurig, jetzt bin ich glücklich."

Christiano Ronaldo, portugiesischer Nationalspieler

Einer, der die Entscheidung hätte sein müssen. "Ich habe diesen Elfmeter verschossen, das ist mir selten passiert", erklärte er später selbstbewusster denn je. "Zuerst war ich wahnsinnig traurig, jetzt bin ich glücklich." Die Show, die Theatralik, sie durften nie fehlen.

Die Portugiesen zogen gestern dank dreier sicherer Elfmeterschützen ins Viertelfinale der EM ein, 3:0 n.E. gewann die Mannschaft von Roberto Martinez. Slowenien gelang kein einziger Treffer vom Punkt. In den 120 Minuten zuvor waren die Portugiesen zwar spielerisch überlegen, die Tore fielen aber nicht. Das lag auch an Cristiano Ronaldo.

Eine neue Rolle für Ronaldo?

Mit 39 Jahren, sagte man ihm zuletzt nach, sei der von der Insel Madeira stammende Weltstar reifer geworden, ein Teamplayer. Das war er in den vergangenen Jahrzehnten gewiss nicht immer. Er ist mit 211 Einsätzen Rekordspieler und mit 130 Toren Rekordtorschütze seines Landes. Einige seiner Treffer gingen in den vergangenen Jahren zulasten seiner Mitspieler, die nicht unbedingt schlechtere Torjäger waren als er. Sie hatten nur nicht sein Standing.

Dasselbe Muster beobachtete man – mehr oder weniger erstaunt – auch gegen Slowenien. Cristiano Ronaldo war bei den allermeisten Angriffsaktionen der Portugiesen der Schlusspunkt. Nicht immer suchten sie ihn, aber wenn der Ball zu ihm gelangte, war dort oft Endstation.

Direkt vor dem Tor stehend konnte er sich nicht mehr in höchste Höhen schrauben wie in vergangener Zeit, das passierte allein in der ersten Halbzeit zweimal (13., 31.). Auch die Flanken seiner Mitspieler, etwa Vitinha in der 36. Minute, traf er nicht richtig. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit hatte der Stürmer, der bei Al-Nassr FC unter Vertrag steht, die Führung auf dem Fuß. Mitspieler Diogo Jota hatte den Ball erobert und auf Ronaldo durchgesteckt, der frei auf Sloweniens Keeper Jan Oblak zulief. Doch der routinierte Oblak hatte keine Mühe, den Ball abzufangen (89.).

Ronaldos Freistöße: Fast immer harmlos

Die Abschlüsse aus dem Spiel heraus waren zu unpräzise, das Timing passte häufig nicht. Auch das Stellungsspiel war ein Grund, weshalb Ronaldos Torschüsse nicht in den Kasten gingen. Der Stürmer behauptet von sich selbst aber auch, bei ruhenden Bällen die beste Option zu sein – anders lässt sich nicht erklären, weshalb immer wieder CR7 zu den Freistößen antritt. Und immer wieder verschießt. So geschehen dreimal gegen Slowenien.

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Dabei waren die Schüsse – denen immer seine breitbeinige, selbstbewusste Pose voranging – nicht einmal eine Herausforderung für Torhüter Oblak. Denn Ronaldos Schüsse gingen über oder neben das Tor, mit zu viel Wucht und zu wenig Feingefühl getreten. Seine Mitspieler mussten tatenlos zusehen.

Ronaldo macht nichts, die anderen schauen zu

Hierin liegt das womöglich größte Problem: Seine Mitspieler müssen zusehen, wie der 39-Jährige flucht, schimpft, die Hände gen Himmel reckt – und es beim nächsten Mal wieder genauso macht. Hoch veranlagte und gegen Slowenien engagiert spielende Profis wie Rafael Leão kamen praktisch nie zum Abschluss. Auch die offensiven Mittelfeldspieler Bruno Fernandes und Bernardo Silva, die ein brillantes Duo bilden, würden Torgefahr ausstrahlen, wenn sich der Abschluss nicht immer bloß auf Ronaldo beschränken würde. Beide trafen im Elferschießen vom Punkt.

Nach 120 Minuten hatte Ronaldo gerade einmal 36 Ballkontakte. Ins Spiel eingebunden war er kaum, lediglich für die Abschlüsse war er Anspielstation – und nicht einmal eine zuverlässige, wie die verspielten Chancen zeigen.

Trainer Martinez müsste im Viertelfinale gegen Frankreich das Offensivspiel – und die Rolle seines Spielführers überdenken. Doch Kritik übte er bislang nicht – zumindest nicht öffentlich: "Er ist ein Vorbild für uns. Ich danke ihm, dass er so ist wie er ist", sagte der Trainer nach dem Spiel. "Wir sind sehr stolz auf unseren Kapitän."

Immerhin einen Lichtblick gab es für Ronaldo gegen Slowenien: Seinen zweiten Elfmeter, den ersten im Elferschießen, verwandelte er.

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