Er hat das Wort und den Zeitrahmen genannt, als die Enttäuschung über das vorzeitige EM-Aus am größten war: direkt nach der Niederlage gegen Spanien. Dabei verzichtete Bundestrainer Julian Nagelsmann auf jeden Konjunktiv: Man müsse jetzt zwei Jahre warten, bis man "Weltmeister wird". Weltmeister 2026! Geht das überhaupt?

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Deutschland spielte eine unerwartet starke Europameisterschaft, gar keine Frage. Zur Wahrheit gehört aber auch: Noch nie schnitt die deutsche Nationalmannschaft schlechter ab bei einem Turnier im eigenen Land. Immer erreichte die DFB-Elf zumindest das Halbfinale.

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1974: Weltmeister. 1988: EM-Halbfinale. 2006: WM-Dritter. Und jetzt, 2024: EM-Aus im Viertelfinale.

Kein Grund zum Optimismus

Niemand macht Nagelsmann deswegen einen Vorwurf. Jeder Fan weiß, wo seine Mannschaft herkommt. Zwei WM-Blamagen 2018 und 2022, das Aus im EM-Achtelfinale 2021: Die Leistung in diesem Sommer war die beste seit acht Jahren.

Darum, nochmals: Kein Vorwurf! Aber direkt danach Weltmeister? Die DFB-Geschichte liefert keinen Grund für diesen Optimismus.

Wenn Deutschland Weltmeister wurde, gab das Turnier davor immer Hinweise, dass Großes heranwächst. Bei dem EM-Sieg 1972 ebenso wie bei den EM-Dramen 1988 und 2012. Die einzige Ausnahme bildete der Weltmeistertitel 1954. Aber der war ja auch ein Wunder und kam in Bern aus dem Nichts. Die Frage ist jetzt: Ist der deutsche EM-Kader schon titelreif für die WM?

Drei Pro-Argumente fallen mir sofort ein: Teamgeist, Willen, Lernkurve – hier hat der DFB-Kader riesige Fortschritte gemacht. Bravo!

Bei drei Themen schwanke ich: Trainer, Spielerqualität, Konkurrenz – die Nationalmannschaft muss es hinkriegen, entscheidende Spiele zu gewinnen. Am Ende beschäftige ich mich am meisten mit zwei Kontrapunkten: Kroos-Nachfolger und Mittelstürmer.

Deutschland sucht den Kroos-Nachfolger

Wie sehr die Mannschaft von Toni Kroos’ Fähigkeiten abhängig ist, sah man in den zwei, drei Jahren ohne ihn: Es fehlte jede Stabilität. Gäbe es einen, der ihn ganz schnell ersetzen könnte, hätte er womöglich gespielt und die Kroos-Rückkehr verhindert. Da war aber niemand. Und zum Sturm: Niclas Füllkrug ist gut – aber halt nicht sehr gut.

Wäre er sehr gut gewesen, hätte er gegen Spanien aus seinen drei Torchancen mindestens einen Treffer produziert. Hat er aber nicht. So einen Killer brauchst du aber vorne drin, um Weltmeister zu werden. Man kann ihn sich nicht schnitzen. Auch dafür kann man niemanden verantwortlich machen, schon gar nicht den Bundestrainer. Das ist die Realität: Wir haben keinen Miro Klose mehr.

Nagelsmanns WM-Prognose für 2026 ist deshalb gut für die Seele, er hat ja die richtigen Worte gefunden, um Deutschland nach dem EM-Schock aufzurichten.

Jetzt lässt der Schmerz ein wenig nach, und wir können uns der Realität nähern. Die langweiligen Briten, oft gescholten, sind mit ihrem Antifußball im EM-Halbfinale weiter. Wir mit unserem Hurra-Fußball leider draußen.

Über den Autor

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