Die Slowakei geht gegen Deutschland als krasser Außenseiter ins EM-Achtelfinale. Aber auch wenn der Underdog auf so ziemlich jeder Position schlechter besetzt ist, muss sich das DFB-Team vor einigen Dingen doch sehr in Acht nehmen.
Es wäre unfair, die slowakische Nationalmannschaft lediglich auf einen Spieler zu reduzieren. Es gibt schließlich Martin Skrtel, das hünenhafte Abwehrraubein. Ein Mann wie ein Baum, eisenhart, ein echter Anführer.
Es gibt Vladimir Weiss und Miroslav Stoch. Beide zwar schon ein bisschen über ihren sportlichen Zenit hinaus, trotzdem aber immer noch begnadete Dribbler und eine ständige Gefahr für gegnerische Abwehrreihen.
Aber einen wie ihn hat die Slowakei schon lange nicht mehr hervorgebracht: Marek Hamsik ist eine Naturgewalt, ein Spieler von absolutem Weltklasseformat.
Eine Anekdote, die alles sagt
Es gibt unzählige Anekdoten und Geschichtchen über Hamsik, aber diese eine erklärt seine Beharrlichkeit und den unbedingten Willen, es zu schaffen, wohl am besten - und ist gleichzeitig auch ein Leitbild für die slowakische Nationalmannschaft in diesen Tagen: Hamsik war 15, als er seinen Heimatklub Jupie Podlavice verlassen wollte. Sparta Prag hatte den Deal verschlafen, als andere Option blieb nach Slovan Bratislava.
5.000 Euro Ausbildungsentschädigung rief Jupie auf. Zu viel für den Hauptstadtklub. Also kratzte Hamsiks Vater Richard das Geld auf Drängen des Sohnes selbst zusammen. Zwei Freunde bettelte er an, den Rest erzielte er mit dem Verkauf des geliebten Skoda Felicia.
400 Kilometer fuhr die Familie von da an zum Training nach Bratislava. In einem Auto mit nur zwei Sitzen: Die Mutter und der Sohn vorne, Vater Richard hinten. Die Zeit der Entbehrungen ist längst vorbei. Das Exempel, dass man es mit Mut, Willen und dem nötigen Biss schaffen kann, ist nicht nur für die kickende Jugend der Slowakei bis heute stilbildend.
Wenn die deutsche Nationalmannschaft am Sonntag im EM-Achtelfinale auf den Außenseiter aus dem Osten trifft, bekommt es Joachim Löws Mannschaft vor allen Dingen mit diesen Grundtugenden zu tun. Die Slowakei hatte den Start in das Turnier gründlich verpatzt, sich aber nach dem 1:2 gegen Wales wieder auf das Wesentliche konzentriert.
Der Sieg über die Russen war ein Meisterstück dessen, zu was diese Mannschaft imstande ist. Als geschlossene Einheit überrumpelten die Slowaken die Sbornaja, fußballerisch eine Klasse besser und in den entscheidenden Situationen auch eiskalt. Gegen England war beim 0:0 auch eine gute Portion Glück dabei - aber eben auch ein starker Torhüter.
Keine große individuelle Klasse
Matus Kozacik hält im richtigen Leben für den FC Viktoria Pilsen Bälle fest. Kozacik ist ein ordentlicher Keeper, kann an guten Tagen aber durchaus auch über sich hinaus wachsen. Und wie entnervend ein starker Torhüter sein kann, hat Deutschland ja erst gegen Nordirland erfahren müssen. Im Mittelfeld räumt Viktor Pecovsky auf, im bevorzugten 4-3-2-1 ist er die bestimmende Figur im Defensivzentrum.
Weiss auf der linken und der ehemalige Nürnberger Robert Mak auf der rechten Seite bringen Geschwindigkeit ins Spiel, dazu sind beide gute Dribbler und schlagen durchaus gefährliche Flanken. Ondrej Duda ist im Spielsystem von Trainer Jan Kozak der einzige nominelle Angreifer. Fixpunkt und Anlaufstelle so ziemlich aller Angriffe ist aber Hamsik.
Der Napoli-Star dürfte schon jetzt zu den prägendsten Figuren der EM zählen. Sein Solo gegen Wales, sein Auftritt gegen die Russen, die Beharrlichkeit, mit der er sich in der Defensivschlacht den englischen Angriffen erwehrte: Das alles lässt Hamsik herausragen aus einer Mannschaft, die ansonsten durch eine hohe Homogenität verfügt.
Wo Deutschland sich bessern muss
Das individuelle Potenzial ist mit dem der Deutschen trotz Hamsik aber noch nicht mal ansatzweise zu vergleichen. Auf den anderen zehn Positionen dürfte der Weltmeister dem krassen Außenseiter turmhoch überlegen sein. Aber: Die Slowakei hat einige Waffen, mit denen sie gerade der deutschen Elf gehörig wehtun könnte.
Das 3:1 im Testspiel vor wenigen Wochen in Augsburg hat dabei kaum Aussagekraft. Zu lasch war der Gastgeber unterwegs, zu irregulär waren die Bedingungen. Trotzdem konnte man da sehen, wie die Slowakei der deutschen Mannschaft Probleme bereiten kann. Das gilt in der Defensive für ein kollektives, schnelles Rückzugsverhalten nach Ballverlust. Die Slowaken bewegen sich dabei im Block und flink und bekommen so recht zügig immer wieder genügend Spieler hinter den Ball.
Als hervorragende Kontermannschaft findet das Team schnell und zielsicher Lücken in aufgerückten Verbunden des Gegners. Deutschland hat im Laufe des Turniers zwar seine defensive Stabilität verbessert, die Absicherung bei schnellen Konterattacken des Gegners ist aber immer noch verbesserungswürdig.
Hamsik wie Bale oder CR7
Im eigenen Ballbesitz forciert die Slowakei besonders das Spiel über die Flügel, um so bis zur Grundlinie durchzubrechen. Besonders kreativ ist das nicht. Angesichts der deutschen Außenbahnspieler Joshua Kimmich und Jonas Hector, der in erster Linie offensiv denken, aber vielleicht nicht die schlechteste Idee, diese Gemengelage zu nutzen.
Und wenn gar nichts mehr geht, fädelt Hamsik den Angriff hinten ein, um dann wenige Sekunden später im Angriffsdrittel aufzutauchen und selbst abzuschließen. Auf kaum einen anderen Spieler der EM trifft die Erkenntnis, er sei wirklich überall auf dem Feld zu finden, so zu wie auf ihn. Hamsik verkörpert die Slowakei so, wie Cristiano Ronaldo Portugal oder Gareth Bale Wales. Das passt wohl ganz gut, weil Hamsik auch in der Lage ist, Standards in etwa so zu schießen wie die beiden Mega-Stars von Real Madrid.
Es gibt nicht ausufernd viele Dinge, mit denen der Außenseiter dem großen Deutschland Angst machen könnte. Die wenigen aber haben es durchaus in sich. Und das DFB-Team hat sich seit dem WM-Titel vor rund zwei Jahren auch immer mal wieder gegen vermeintlich kleinere Gegner ungewohnt schwer getan.
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