Ungeschlagen und als Gruppensieger marschiert die deutsche Nationalelf ins EM-Achtelfinale. Allerdings ist die Leistung gegen die Schweiz - trotz der Last-Minute-Erlösung - nicht dazu angetan, übermütig zu werden. Das Trainerteam um Julian Nagelsmann muss nun die richtigen Schlüsse ziehen. Besonders die Abwehr bereitet Sorgen.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Niemand darf sich beschweren, die deutsche Nationalmannschaft hat ihre Arbeit bisher vortrefflich erledigt. Sieben Punkte aus drei EM-Spielen, Gruppensieg mit 8:2 Toren, Achtelfinale erreicht: Besser geht’s kaum.

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Es geht um den weiteren Verlauf der EM

Trotzdem kommt man an einer wichtigen Frage nicht vorbei, und vielleicht entscheidet die Antwort sogar über den weiteren Turnierverlauf.

Diese eine Frage lautet: War das 1:1 gegen die Schweiz ein Dämpfer oder eine Erlösung für die deutsche Nationalmannschaft?

  • Ein Dämpfer, weil das Unentschieden im dritten EM-Vorrundenspiel die Siegesserie mit immer derselben Startelf beendet hat und der Ausgleich quasi in allerletzter Minute gelang?
  • Eine Erlösung, weil das Team nun weiß, dass es Rückstände aufholen und entscheidende Spieler (Flankengeber David Raum und Torschütze Niclas Füllkrug) von der Ersatzbank reinwerfen kann?

Bundestrainer Julian Nagelsmann verweist auf die Überlegenheit im Spiel: Seine Mannschaft hat mehr Torschüsse (19:4) abgegeben, mehr Zweikämpfe gewonnen (58 Prozent) und mehr Ballbesitz verzeichnet (70 Prozent).

Die guten Zahlen dürfen Fußball-Deutschland nicht blenden

Doch die Zahlen sind trügerisch. Erstens weil niemand im Stadion das Gefühl hatte, dass Deutschland den Gegner im Griff hatte. Der Rasen war glitschig und machte einen geordneten und zielgerichteten Spielaufbau unmöglich. Zweitens, weil die Schweizer ein probates Mittel gegen das deutsche Flügelspiel mit Florian Wirtz und Jamal Musiala fanden, indem sie immer wieder einen Abwehrblock in Überzahl bilden konnten. Der war unüberwindbar.

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Beides ist nicht schlimm. Wenn es einen passenden Zeitpunkt zum Überdenken der bisher erfolgreichen Strategie gibt, dann bei diesem dritten Gruppenspiel, wo vielleicht Platz eins in Gefahr war, aber nicht der Einzug ins Achtelfinale.

Julian Nagelsmann muss umbauen

Nagelsmann hat diese Woche im EM-Quartier in Herzogenaurach mehr zu tun, als die Daten aus der Statistik auszuwerten. Jetzt beginnt die Zeit der Anpassungen. Das Gute ist: Er hat die Qual der Wahl. Das war beim DFB nicht immer so.

Bis zum ersten K.o.-Spiel am 29. Juni in Dortmund muss die Innenverteidigung nach Jonathan Tahs Gelbsperre neu sortiert werden. Vermutlich rückt jetzt Nico Schlotterbeck rein. Dabei wird es nicht bleiben.

David Raum macht Boden gut

Links ist David Raum bei Flanken gefährlicher als Maximilian Mittelstädt, der seinen Freiraum in der ersten Halbzeit nicht nutzen konnte. Raum punktet, weil er das Ausgleichstor perfekt vorbereitet hat.

Fraglich ist auch, ob Kai Havertz wirklich als Stürmer beginnen sollte. Füllkrug hat sein zweites EM-Tor erzielt. Man kann jetzt sagen: Als Joker ist er unersetzbar. Aber vielleicht schießt er auch die Tore von Anfang an.

Die deutschen Gegner werden immer schwerer

Was diese Woche nicht passieren darf: Dass man sich vormacht, wie gut man in Wirklichkeit war. Die Schweiz war der erste Brocken bei der EM. Die nächsten Gegner werden ungleich schwerer.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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