Kabinenpartys und Teamrituale: Wer den Fußballerinnen derzeit auf den sozialen Netzwerken folgt, bekommt einen ganz anderen Blick auf die laufende Europameisterschaft in England.

Tamara Keller
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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"I tell you what you want, what you really really want!" – die österreichischen Spielerinnen umringen Sarah Zadrazil und singen munter in die Selfie-Kamera. Nach ihrem Sieg gegen Norwegen und dem Einzug ins Viertelfinale stürmen sie nicht nur die Pressekonferenz, sondern feiern auch mit einer ausgiebigen Kabinenparty. Da darf natürlich "Wannabe" von den Spice Girls nicht fehlen.

Dass die sozialen Medien ein wichtiges Instrument für die Profispielerinnen sind, ist kein neues Phänomen. Aber eins, das als Followerin immer wieder Spaß macht, vor allem bei dieser Europameisterschaft: Die Uefa hebt das Teamritual der Deutschen hervor – das wirklich komisch aussieht, zudem wird zu "Cotton Eye Joe" in der Kabine getanzt:

...oder Laura Freigang entlarvt in Comedy-Manier die "Probleme" ihrer Mitspielerinnen auf Tiktok (1,8 Millionen Views). Der Teamspirit ist online noch mehr zu spüren als vor dem Fernseher.

Der Stellenwert von Social Media für Profispielerinnen

Der ein oder andere wird jetzt direkt sagen: "Hä, das ist doch bei den Männern genauso?" und das mag auch zutreffen. Auf mich wirken die Frauen – die natürlich mittlerweile auch Medientrainings bekommen – oft realer oder so, als würden sie öfters in privaten Momenten mal auf den Aufnahmeknopf drücken. Unvergessen für mich zum Beispiel als Linda Dallmann in ihrer SGS-Essen-Zeit mithalf, den eigenen Teambus wieder zu reparieren. Oder als die Schweizer Nationalspielerin Rachel Rinast sich als Komikerin ausprobierte. Es gibt aber noch weitere Gründe, warum Social Media für die Profispielerinnen noch mal eine andere Relevanz hat.

Mittlerweile wird zwar ziemlich viel über Equal Pay gesprochen und auch in der Öffentlichkeit diskutiert – so wies sogar Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem Spiel gegen Spanien auf eine angebrachte faire Bezahlung hin:

Doch dieses Thema war nicht immer so breit in der Öffentlichkeit. Und digitale Präsenz ist nun mal auch eine Währung: So hat zum Beispiel die Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann (die sich dieses Jahr aus privaten Gründen dazu entschied, nicht an der EM teilzunehmen) 7,7 Millionen Follower und Followerinnen auf Instagram, 5,8 Millionen auf Tiktok. Profisportlerinnen sämtlicher Sportarten können so auch neue Werbepartnerschaften anziehen. Ein wichtiger Baustein, um das eigene Einkommen zu verbessern und der fehlenden Präsenz der eigenen Sportart zum Beispiel durch fehlende Medienberichterstattung entgegenzuwirken. Ein großes Turnier wie die EM kann dann zusätzlich verstärkend wirken. So konnte Giulia Gwinn vergangene Woche die 300.000 Follower*innen-Marke knacken.

Werbung und wichtige Botschaften

Klar kann Werbung auf einen selbst trotzdem komisch wirken: So postete Lea Schüller vor dem letzten Gruppenspiel des deutschen Teams aus ihrer Quarantäne ein Werbe-Reel für einen Fernseher. Ich dachte mir zuerst: Muss das jetzt sein? Aber beim genaueren Betrachten fiel mir auf: Ja, das muss so sein. Denn dieser Spielerin wurde durch die Erkrankung mit Corona gerade eine der größten Bühnen der Welt gestohlen, auf der sie sich und ihre Leistung nicht präsentieren kann. Ein Karriere-Stopper sozusagen, warum dann nicht dem strukturell mit Werbung entgegnen?

Auch für politische Anliegen und Botschaften werden die sozialen Medien für die Spielerinnen immer wichtiger oder auch, um für eigene Anliegen Bewusstsein zu schaffen: So sprach die Torhüterin Carina Schlüter vor drei Monaten offen über ihre Depression – ein Thema, das unter deutschen Profispielerinnen in der Öffentlichkeit so zuvor noch nicht behandelt wurde und auch ein sehr bewegender Moment war:

Natürlich hat das Ganze auch Schattenseiten: So berichtet die Deutsche Welle, dass Sportlerinnen viel mehr Hass und Häme entgegen schlägt. Auch die Spielerinnen selbst haben schon öfters darauf hingewiesen, was sie alles online aushalten müssen und wehren sich dagegen.

Social Media schafft eine Nähe zu den Fußballerinnen

Auch während dieser EM war das wieder zu spüren: Erstmals befindet sich auch sehr viel Europameisterschafts-Content auf der umstrittenen und viel kritisierten Plattform Tiktok. Das Unternehmen ist offizieller Werbepartner der EM, machte in den ersten Tagen des Turniers mit einem großen Werbebutton auf die verschiedenen EM-Videos aufmerksam. Besonders auffällig in dieser Sparte: Während unter den Beiträgen zur englischen und italienischen Nationalmannschaft Anfeuerungsrufe der Fans zu finden waren, befand sich unter den deutschen Beiträgen viel Klischee-Sexismus. Immerhin: Nachdem das deutsche Team das erste Spiel souverän gewonnen hatte, änderte sich die Tonalität. Schade, dass Sportlerinnen zuerst Bestleistungen erbringen müssen, um online als Profisportlerin anerkannt zu werden.

Und trotzdem: Für mich sorgt Social Media in diesem Sommer vor allem für Spaß und Fußballstimmung. Sei es wegen der süßen Babybilder des Enkelkinds von Martina Voss-Tecklenburg im Deutschlandtrikot, live dabei zu sein, wenn die Spielerinnen Quatsch bei der Regeneration machen oder wenn Laura Freigang einen eigenen Filter bespielt, der sogar von der Komikerin Parshard aufgegriffen wird. Social Media schafft eine Nähe zu den Fußballerinnen. So nah, dass man sich fast wie ein Teil des Teams fühlt.

Verwendete Quellen:

  • dw.com: Die andere Seite der Medaille: Sportler und Social Media
  • netzpolitik.org: Tag TikTok


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