Fußball ist weit mehr als nur ein Spiel. Er ist eine kulturelle Institution, die Menschen weltweit verbindet, aber auch untereinander trennt: durch Farben, in Traditionen, in Erinnerungen. In Deutschland hat es für die nostalgische Seite des Fußballs sogar einen eigenen Namen: Fußballromantik.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Petra Tabarelli (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wisst ihr noch, damals…? So beginnen unsere Erinnerungen an Anekdoten aus der Vergangenheit, die uns oft ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Nostalgie ist nicht nur im Fußball allgegenwärtig und dient dort wie hier vor allem als emotionaler Anker in der Vergangenheit. Eine emotionale Erinnerung, die wie ein Souvenir oder ein Familienerbstück aus der Vergangenheit in die Gegenwart mitgenommen wird, um auch in Zukunft Bestand zu haben.

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Emotionaler Anker der Fanidentität

Die Fußballromantik lässt uns magische Momente wieder aufleben, die in der Erinnerung oft idealisiert werden: Deutsche Meisterschaften, Pokalsiege, Erfolge gegen rivalisierende Vereine und anderes. Sie stärken die Identität der Fans und werden Teil des kollektiven Bewusstseins, wie ein unterbewusstes Denkmal für die Ewigkeit.

Historische Rückblicke in Form von Jubiläen, Ehrenmitgliedschaften und Retro-Trikots stärken die Identität und Tradition eines Vereins. Wenn der FC Barcelona an seine "Dream Team"-Ära Anfang der 1990er Jahre erinnert, wird nicht nur die alte Garde geehrt, sondern auch eine Brücke zu den neuen Fans geschlagen. Diese Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart fördert die Loyalität und schafft ein Zugehörigkeitsgefühl. Und auch im Marketing wird gerne mit Fußballromantik gespielt, etwa wenn Trikots aus einer besonders erfolgreichen Zeit als "Retro-Trikots" wieder verkauft werden.

Fußballromantische EM-Eröffnung

Und natürlich wird bei einer Europameisterschaft im eigenen Land die Fußballromantik genutzt - vor allem bei der Eröffnungsfeier vor dem ersten EM-Spiel zwischen Deutschland und Schottland in München.

Anfang des Jahres, am 7. Januar, verstarb Franz Beckenbauer, der 1972 erstmals eine Europameisterschaft gewonnen hatte und Kapitän der damaligen Nationalelf war. Es lag auf der Hand, dass bei diesem Spiel in seiner Heimatstadt seiner gedacht wurde.

Doch er war nicht der einzige Kapitän, der den Henri-Delaunay-Pokal gewinnen konnte und so trug das Trio der EM-Sieger-Kapitäne den Pokal ins Stadion - Jürgen Klinsmann (EM 1996), Bernard Dietz (EM 1980) und Heidi Beckenbauer für ihren verstorbenen Mann. Ein bewegender Moment für viele Fans im Stadion, vor dem heimischen Fernseher oder vor den Leinwänden von öffentlichen Übertragungen.

Verklärung statt Realität

Doch Nostalgie kann aber auch in negativer Form als Verklärung auftreten und nur eine idealisierte, romantisierte Sicht auf die Vergangenheit zulassen. Alles Negative, Unangenehme wird dann ausgeblendet. Das geschieht insbesondere beim Rückblick auf das Früher, als vermeintlich noch alles besser war und Fußball noch Spaß machte. Wie auch immer man diesen "Spaß" für sich definiert.

Oft sehnen wir uns nach dem Fußball zurück, wie wir ihn als Kinder kennengelernt haben: Voll von Freude über das Spiel und Emotionen, aber auch voller Naivität - ohne Erfahrungen wie Niederlagen, Abstiege und Krisen. Damals war alles noch gut, meinen wir, aber auch damals klagten Fans über den modernen Fußball und persönliche, enttäuschende Erfahrungen wie einen Abstieg des Lieblingsclubs.

Diskussionsthema "Tradition"

Unter dem Begriff der Tradition wird im Fußball der Männer viel darüber diskutiert, welche Clubs denn nun wirklich zum deutschen Fußball-Olymp gehören. Diejenigen, die vor 1900 gegründet wurden? Die Gründungsvereine der Bundesliga? Die Clubs, die besonders lange in der Bundesliga gespielt haben? Oder die, die eine besonders große Fangemeinde haben? Oder aber diejenigen, die in der Bundesliga spielten, als wir mit Fußball in Berührung kamen? All das können mögliche Indikatoren für eine Auflistung sein.

Dabei ist das einzig Wichtige an der Tradition, dass sie nicht in Stein gemeißelt ist und ewig als Monument die Zeiten überdauert, sondern dass dieses Monument bearbeitet werden kann. Sonst hat Tradition den negativen Beigeschmack, dass alles so bleibt, wie es immer schon war und nur ein sich selbst erhaltendes System ist, das nicht mit der Zeit gehen kann und daher zwangsläufig schnell veraltet.

In der Geschichtswissenschaft ist Tradition etwas, das bewusst aus der Vergangenheit bewahrt wurde - und so soll es auch bleiben: Eine Erinnerung, die in der Gegenwart Halt und Identität gibt, die aber kommende Generationen aufbauen und ihren Touch geben kann. Für eine zukunftsfähige Fußballromantik.

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