- ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann wird bei EM-Spielen übel angefeindet und beleidigt.
- Ein Medienpsychologe erklärt, was hinter den Anfeindungen stecken könnte und warum Kommentatoren und Kommentatorinnen generell oft zur Zielscheibe von vehementer Kritik werden.
- Außerdem schildert er aus seiner Sicht einen guten Umgang mit dem Hass im Netz, auch Neumann hat dafür bereits ein Rezept.
"Lasst bitte wieder nur Männer ran."
"In der idealen Welt wäre
"Darum schicken wir unsere Frauen extra weg beim Fußball."
Diese drei Sätze sind vermeintlich harmlosere Beispiele für Kommentare in den sozialen Medien in Richtung von ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann.
Neumann ist im Rahmen der Europameisterschaft für den Mainzer Sender als Kommentatorin von Fußballspielen im Einsatz und wird dabei im Netz massiv beleidigt und angefeindet, oft auch mit Worten, die deutlich unter die Gürtellinie gehen.
Medienpsychologe: "Frauen werden oft verbal attackiert, wenn sie sich in Männermetiers äußern"
"Hier haben wir einen Spezialfall, weil wir eine Frau als Kommentatorin in einem typisch männlichen Bereich haben. Dass eine Frau heutzutage Männerfußball kommentiert, gefällt einigen eigenartigen Männern nicht", erklärt Medienpsychologe Frank Schwab im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Die Wissenschaft kennt das auch aus anderen Studien. Frauen werden oft verbal attackiert, wenn sie sich in Männermetiers äußern", nennt Schwab die Ursache für den Hass auf Neumann, der zumeist von männlichen Usern öffentlich kundgetan wird.
Das ZDF reagierte am Dienstag in den sozialen Medien auf die Hassnachrichten gegen Neumann. "Der Austausch mit euch ist uns wichtig! Vor allem während eines Großereignisses wie der Fußball-Europameisterschaft. Leider nutzen einige die Anonymität hier für Hassbotschaften, Beleidigungen und Sexismus. Das ist für uns ein No-Go", schrieben die Mainzer.
Dazu posteten sie ein "Bullshit-Bingo" mit den häufigsten Kommentaren der "Neumann-Hasser" in den sozialen Medien.
Einige Verfasser von Hassbotschaften sind verloren
Schwab bewertet die Aktion des Senders positiv: "Für die Kommentatorin ist es eine gute Sache, dass sich der Arbeitgeber auf ihre Seite stellt und Farbe bekennt. Gleichzeitig wird eine Öffentlichkeit hergestellt, um den Fall nicht als Lappalie darzustellen."
Er ergänzt: "Indem man die Anfeindungen zeigt, hofft man auf eine Solidarisierung der 'Vernünftigen', die sich dann gegen die Beleidigungen stellen und somit die Verfasser der Hasskommentare mitbekommen, dass nicht alle so denken wie sie."
Der Medienpsychologe betont aber auch, dass einige der Verfasser von Hassbotschaften gegen Neumann bereits verloren seien "und nicht in der Lage sein werden, über ihre Worte zu reflektieren".
Das lässt sich auch beobachten unter dem Post des "ZDF", wo dem Sender teilweise vorgeworfen wird, nicht mit Kritik umgehen zu können. Doch handelt es sich bei Neumann in vielen Fällen nicht um fachliche Differenzen, sondern um persönliche, oftmals sexistische, Angriffe.
"Psycho-Hooligans geht es um Aufmerksamkeit"
Schwab charakterisiert diese Personen als "Psycho-Hooligans", denen es in erster Linie um verbale Angriffe gehe. "Sie wollen vor allem ihre negative Meinung im Netz platziert sehen, ihnen geht es nicht um den Fußball, es geht ihnen eher um Aufmerksamkeit."
Warum aber werden gerade Kommentatoren und Kommentatorinnen – auch Neumanns männliche Kollegen werden teilweise übel beleidigt – zur Zielscheibe? "Ein Sportgeschehen ist hochdynamisch und nicht schnell erschließbar. Die Dinge, die dort passieren, werden subjektiv gesehen", erklärt Schwab.
"Dazu ist alles flüchtig, die Szenen passieren innerhalb von Sekunden. Gleichzeitig werden diese Abläufe unterschiedlich bewertet, je nach Wunschvorstellung des Einzelnen. Sport ist hochemotional und daher eine ideale Projektionsfläche für unterschiedliche Zuschauer."
In den vergangenen Jahren haben immer mehr Frauen den Sprung als Berichterstatterinnen in die Sportwelt geschafft - zumeist als Moderatorinnen. Beispiele wie Neumann oder Christina Graf und Stephanie Baczyk zeigen aber, dass Frauen auch als Kommentatorinnen von Männersport arbeiten können.
"Hater mit der Mehrheit konfrontieren, die vernünftig ist"
Sorgt die Hass-Welle nun für ein Umdenken bei den Verantwortlichen der TV-Sender? "Ich würde vermuten, dass die meisten Sender, vor allem die öffentlich-rechtlichen, sagen würden: 'Jetzt erst recht!' Bei den nicht gebührenfinanzierten Sendern ist es wirtschaftlich immer ein Thema hinsichtlich der Einschaltquote und anderen Faktoren", meint Schwab.
Er vermutet, "dass diese Auseinandersetzung eventuell sogar einen kleinen positiven Effekt auf die Quote hat, da bei vielen die Neugier da sein wird und dadurch eine erhöhte Aufmerksamkeit entsteht".
Doch die grundsätzliche Skepsis und Ablehnung gegenüber Kommentatorinnen wird nur schwer auszurotten sein, ungeachtet aller Aufklärung und Fortschritte hinsichtlich der Gleichberechtigung im 21. Jahrhundert. Medienpsychologe Schwabs Gegenrezept: "Es muss gelingen, die Hater mit der großen Mehrheit zu konfrontieren, die vernünftig ist."
Es habe solche Personen bereits vor dem Internet-Zeitalter gegeben, damals aber dann an den Kneipen-Stammtischen. "Jetzt sind die Hass-Kommentare online und werden dort wahrgenommen und gelesen."
Neumann verrät persönliches Rezept gegen Hass-Kommentare
Schwab warnt aber auch davor, den ganzen Hass-Kommentaren zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. "Man muss sich immer vor Augen führen, dass es sich bei diesen Personen und Kommentaren um eine kleine Minderheit handelt. Es ist nicht die Mehrheit der Zuschauer, die auf diese Art und Weise kommuniziert. Würde man die Zahl ausrechnen, wäre es wohl unter einem Prozent."
Wie auch in anderen Bereichen der Welt erhalte diese Gruppe, "die lautstark und widerlich ihre Ansichten vorträgt, ein Stück weit zu viel Aufmerksamkeit", erklärt Schwab.
Allerdings könnten vor allem die beleidigenden und sexistischen Kommentare natürlich nicht kommentarlos hingenommen werden. Das beste Rezept gegen all die Wut und den Hass gegenüber ihrer Person hat sich übrigens Neumann selbst zugelegt.
"Ich lese nach wie vor nichts, nur wenn mich jemand darauf anspricht, bekomme ich Kenntnis. Der Reflex, nach Spielen ins Netz zu schauen, ist mir wirklich fremd. War er immer schon, heute sogar in 100-prozentiger Konsequenz", verriet sie unlängst im Interview mit der "Deutschen Presse-Agentur". Die Verfasser von Hasskommentaren wird das aber kaum bremsen.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. Frank Schwab
- ZDF-Sportstudio-Tweet
- Stern.de: DPA-Interview mit Claudia Neumann
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