- Der Finaleinzug der deutschen Frauen-Nationalmannschaft ist eng verknüpft mit dem Namen Martina Voss-Tecklenburg.
- Wer ist diese Frau, die Deutschland zurück an die Weltspitze geführt hat – und wie hat sie das geschafft?
Den größten Sieg wird der Deutsche Fußball Bund wohl erst in ein paar Monaten davontragen. Dann dürften die Vertragsverhandlungen mit
"Wenn ich weiter ein Teil davon sein darf, dann wäre das ein großes Geschenk und Privileg. Ich glaube, diese EM hilft schon, wenn wir uns Ende des Jahres zusammensetzen, um zu besprechen, wie es weitergeht", sagte Voss-Tecklenburg neulich in einem Interview mit der "Sport-Bild". "Ich hätte richtig Lust darauf!" Voss-Tecklenburgs aktueller Vertrag ist abgeschlossen bis Sommer 2023, bis nach dem WM-Turnier in Australien und Neuseeland.
Und auch beim DFB wäre man offenbar hoch erfreut, die Zusammenarbeit mit der 54-Jährigen noch ein paar Jahre länger fortzusetzen. Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, bekräftigt jedenfalls die Absicht, mit Voss-Tecklenburg zu verlängern. Am besten bis zur möglichen Weltmeisterschaft 2027 im eigene Land: Der DFB, sowie die Nationalverbände der Niederlande und Belgiens bewerben sich für deren Ausrichtung.
"Wir haben im DFB grundsätzlich die Philosophie, Zwei-Jahres-Verträge abzuschließen, weil wir dann von Turnier zu Turnier denken können. Ich kann Martinas Vision von einer möglichen Heim-WM mit ihr 2027 teilen", sagte Chatzialexiou ebenfalls der "Sport Bild".
Martina Voss-Tecklenburg: Reflektiert und selbstkritisch
Die deutsche Nationalmannschaft hat einen regelrechten Boom im eigenen Land ausgelöst. Mit ihrer Spielweise, ihrem bescheidenen Auftreten und natürlich mit ihrem Erfolg: Am Sonntag wird Voss-Tecklenburgs Auswahl im Londoner Wembley-Stadion vor dann 75.000 Fans gegen Gastgeber England um die Krone Europas spielen.
Ein Erfolg, der ganz unabhängig vom Ausgang des Finales noch vor drei, vier Wochen undenkbar erschien. Und den nicht nur Insider zu großen Teilen der Arbeit Voss-Tecklenburgs zuschreiben. Noch im Frühjahr lag die Mannschaft fußballerisch und emotional am Boden. In der WM-Qualifikation gab es ein peinliches 2:3 gegen die allenfalls zweitklassigen Serbinnen.
Danach erfolgte eine offenbar ebenso schonungslose wie reinigende Aussprache. Die Voss-Tecklenburg nicht nur in Ansprache mit einigen Spielerinnen initiiert hatte, sondern in der sie auch eigene Fehler klar und deutlich zur Sprache und ein paar sehr entscheidende Dinge im Umgang miteinander auf den Weg brachte.
Überragende Empathie und Zugewandtheit
Voss-Tecklenburg gilt als große Kommunikatorin. Damit steht sie ihrem nicht minder prominenten Vorgänger in nichts nach. Horst Hrubesch hatte die deutschen Frauen nach den Misserfolgen in den Jahren davor übernommen und der Mannschaft eine neue Haltung und einen Geist eingehaucht.
Diese besondere Mischung aus Zugewandtheit und Empathie, sowie rhetorischem Geschick und einer guten Portion Leidenschaft und Emotionalität kommt offenbar herausragend gut an bei ihren Spielerinnen. Diese soften Faktoren sind es, die eine Gemeinschaft durch so ein Turnier trägt, an denen sie sich auch bei Rückschlägen immer wieder neu aus- und aufrichten kann und die am Ende - in engen Spielen wie zuletzt im Halbfinale gegen Frankreich - den Unterschied machen können.
Die deutsche Mannschaft jedenfalls macht neben ihren fußballerischen Fähigkeiten in den Tagen der EM in England auf alle Beteiligten den Eindruck, dass da eine verschworene Einheit auf dem Platz steht, in der jede für die andere kämpft und arbeitet und jeder jeder den größtmöglichen Erfolg gönnt. Und das ist das Ergebnis einer zwar bestimmten und in der Sache und Ansprache auch mal harten Auseinandersetzung der Trainerin mit ihren Spielerinnen - und auf der anderen Seite aber auch unglaublich empathischen, offenen Debattenkultur, die genug Raum lässt für andere Meinungen und Ansichten.
Ein Teil deutscher Fußballgeschichte
Voss-Tecklenburg wuchs mit vier Geschwistern in Duisburg auf, der Vater war Schichtarbeiter bei Thyssen und hat in einer Gärtnerei noch ein paar Mark zusätzlich verdient, die Mutter war Hausfrau und im Nebenjob Putzhilfe in einem Kindergarten. Eine Familie aus dem Arbeitermilieu, deutscher Mittelstand.
Dass Fußball etwas für kleine Mädchen sein könnte, dachte damals niemand. Als Kind musste sich Martina deshalb immer heimlich auf den Bolzplatz der Jungs schleichen - damit bloß die Mutter davon nichts mitbekam. Dann hatte sich aber offenbar recht schnell herausgestellt, dass Fußball sehr wohl etwas für kleine Mädchen sein konnte, zumindest durfte Martina Voss dann ihrem ersten Klub beitreten, der DJK Lösort Meiderich.
Der Rest ist ein Stück deutscher Fußballgeschichte: Sechs Deutsche Meisterschaften, vier Pokalsiege, sowie vier EM-Titel mit der Nationalmannschaft als Spielerin. Voss war Teil jener Mannschaft, die den ersten von insgesamt acht EM-Titeln für Deutschland errang, das war im Jahr 1989.
Aufsichtsratsposten bei Fortuna Düsseldorf
Nebenbei baute sie ihr Abitur und schloss ein Studium als Diplom-Sozialarbeiterin ab. Nach der aktiven Karriere probierte Voss einiges aus, war unter anderem auch Chefredakteurin des FF-Magazins, einer Zeitschrift für Frauenfußball. 2009 heiratete sie den Bauunternehmer Hermann Tecklenburg, drei Jahre später übernahm sie das Amt als Schweizer Nationaltrainerin und führte die Schweiz 2015 erstmals zu einer WM.
2018 folgte sie dem Ruf des DFB und übernahm die Frauen-Nationalmannschaft, fast zeitgleich wurde sie Mitglied des Aufsichtsrats bei Fortuna Düsseldorf - ein Posten, den ihr Ehemann zuvor inne hatte. Die WM 2019 in Frankreich verlief sportlich noch eher durchwachsen, danach läutete Voss-Tecklenburg den großen Umbruch ein - der nun in England erste Früchte tragen könnte.
Der deutsche Frauen-Fußball hat auf Verbandsebene den Umschwung geschafft, die Leitplanken für die nächsten Jahre sind gesetzt und die Talente da, um wieder in die absolute Weltspitze vorzudringen. Und auch auf der Position der Trainerin hat Deutschland wieder eine der Besten in seinen Reihen. Wahrscheinlich wird das auch noch ein paar Jahre so bleiben und wer weiß: Vielleicht taucht diese Frau ja eines Tages auch als Trainerin einer Männer-Mannschaft auf…
Verwendete Quellen:
- Sport Bild: Neuer Vertrag für Voss-Tecklenburg
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