Nach dem 0:1 in Irland und dem Verpassen der vorzeitigen Qualifikation für die EM 2016 herrscht Frust beim DFB-Team. Jerome Boateng kritisiert die Offensive scharf, die vielschichtigen Schwächen alarmieren. Bis zum kommenden Sommer wartet noch viel Arbeit auf Joachim Löw.

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"Unerwartet, unnötig, fahrlässig!" Bundestrainer Joachim Löw ist sauer. Nach dem 0:1 in Irland muss das DFB-Team nun sogar um die direkte Qualifikation für die Fußball-EM 2016 in Frankreich bangen. Vor dem letzten Spiel in der Gruppe D am Sonntag in Leipzig gegen Georgien (20:45 Uhr, LIVE bei RTL und bei uns im Ticker) wiegt eine Erkenntnis aber noch schwerer: Deutschland offenbart reihenweise Schwachstellen. Probleme, die es mit Blick auf die erwartete Teilnahme an der EM-Endrunde schleunigst zu lösen gilt.

1. Schläfrige Defensive

Es ist eine Schwäche, wie sie bereits verbannt schien. Und wie sie sich eine Abwehrmitte mit zwei der mutmaßlich besten Innenverteidiger der Welt nicht erlauben darf. Doch beim Gegentor von Shane Long in Dublin waren die deutschen Stars reihenweise zu spät dran. Boateng, Hummels und der in solchen Situationen manchmal noch überforderte Kölner Linksverteidiger Jonas Hector. "Wir haben die langen Bälle vorher besprochen, es in dieser Situation aber falsch gemacht", meinte Löw. "Es betrifft alle."

Kritik zog aber vor allem Hummels auf sich. "Ich war nicht der Einzige, aber ich komme zu spät", sagte der Dortmunder. "Ich muss da zwei Schritte tiefer stehen."

2. Dauer-Problemposition Außenverteidiger

Nicht nur die Mitte macht Sorgen. Nach dem Rücktritt von Weltmeister Philipp Lahm sind die Außenverteidigerposition eine noch größere Baustelle als zuvor.

Löw probiert viel. Doch: Weder Sebastian Rudy noch Emre Can und nun auch Matthias Ginter beweisen sich als dauerhafte 1A-Lösung auf rechts. Auf links müht sich Hector. Das große Problem neben dem Umschaltspiel in die eigene Defensive ist der mangelhafte Druck von der Grundlinie.

Bezeichnend: In Dublin haut Hector den Ball bei einer Flanke aus bester Position ins Nirgendwo. In Benedikt Höwedes hat Löw immerhin noch eine routinierte Alternative für rechts. Vielmehr bleibt aber die Frage, warum er nicht den Schritt hin zu einem System mit Dreierkette wagt.

Löw sprach häufig darüber, verwarf die Idee aber ebenso häufig. Dabei kann genau das der Lösungsansatz sein. Holger Badstuber, dem wegen seiner Sicherheit am Ball der Part auf links zugetraut wird, ist bei Bayern im Rehatraining. Und Can bewies beim FC Liverpool, dass er die Rechtsverteidigerposition in einem 3-4-3 dank seiner dynamischen Spieleröffnung bravourös spielen kann. Ergo: Der Bundestrainer braucht mehr Mut zur Veränderung.

3. Kaltschnäuzigkeit ist verloren gegangen

Erinnern Sie sich noch an das 7:1 im WM-Halbfinale gegen Brasilien? In diesem Spiel war fast jeder Schuss ein Treffer. Doch von dieser Maxime ist das DFB-Team derzeit weit entfernt. "Wir haben fahrlässig die Tore liegen gelassen. Uns fehlte im letzten Drittel die letzte Konsequenz und der letzte Pass", meinte Löw und kritisierte: "Man muss am Ende die Kaltschnäuzigkeit und die Qualität haben, die Tore zu machen."

Richtig sauer war Abwehrboss Boateng. Er wetterte gegen die Offensive: "Da waren einige Hundertprozentige dabei. Dass wir hier ohne Tor wegfahren, ist eine Frechheit."

4. Ein Stoßstürmer á la Miroslav Klose fehlt

Dieser Spielertypus galt beim DFB als überholt, rückschrittlich. Doch vielleicht ist dieser Rückschritt genau der Weg nach vorn. "Wir müssen vorne mehr rumflanken und einer muss auch mal vor den ersten Pfosten gehen", meinte Towart Manuel Neuer nach der Partie.

Der Keeper spielte damit indirekt auf den fehlenden Stoßstürmer an. Dieses Manko monierte sogleich TV-Experte Jens Lehmann und verwies auf Alex Meier. Seit Wochen fordern Bundesliga-Größen eine Berufung des Torschützenkönigs der vergangenen Saison. Dann sind da noch der Hoffenheimer Kevin Volland sowie der derzeit verletzte Stuttgarter Daniel Ginczek. Und Mario Gomez schießt sich gerade bei Besiktas Istanbul den Frust der vergangenen Jahre von der Seele.

5. Joachim Löw muss an seinem Coaching arbeiten

Der Bundestrainer setzt vorne meist auf die Variante 4-2-3-1 mit "falscher Neun", alias Mario Götze. Als dieser in Irland verletzt runter musste, versuchte Löw es mit einem verkappten 4-4-2. Doch Müller kam nicht an den Fünfer, der eingewechselte André Schürrle ist bedenklich außer Form.

Es ist immer dasselbe Muster: Entweder bringt Löw trotzdem den Wolfsburger oder Karim Bellarabi. Während Thomas Tuchel beim BVB und Pep Guardiola beim FC Bayern gefühlt im Minutentakt ihre Systeme den Begebenheiten anpassen und Spieler wie auf dem Schachbrett verschieben, fehlt Löw diese Eigenschaft. Der Bundestrainer meinte jüngst, seine Mannschaft müsse sich weiterentwickeln. Das gilt auch für ihn.

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