Im Viertelfinale zwischen Frankreich und Portugal ließ Ronaldo all seine früheren Qualitäten vermissen. Die Reaktion eines Mitspielers gab Rätsel auf. Mbappé hingegen freute sich über das Ergebnis, wusste aber auch um die Defizite.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Oliver Jensen sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als Frankreich den entscheidenden Elfmeter verwandelte, wandte sich Cristiano Ronaldo ab und verließ enttäuscht das Spielfeld. Er selber wollte danach nicht reden, ließ sich in der Mixed Zone, wo Journalisten und Spieler aufeinandertreffen, nicht blicken und verschwand schnellstmöglich im Bus.

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Trainer Roberto Martinez hingegen fasste seine Emotionen in Worte: "Wir müssen stolz auf die Spieler sein, die gekämpft und sehr gut gespielt haben. Fußball ist grausam. Wir wollten den Portugiesen Freude bereiten. Und diese Mannschaft hat die Werte Portugals gut präsentiert."

Diese Mannschaft hat allerdings auch gezeigt, dass ein Umbruch unumgänglich ist. Der 39-jährige Ronaldo mag das Aushängeschild von Portugal sein. Auf dem Spielfeld lieferte er allerdings eine enttäuschende Vorstellung ab. In der ersten Halbzeit hatte er lediglich elf Ballkontakte.

Ronaldo hat seine Dynamik verloren

Defensivarbeit, die im modernen Fußball selbst von einem Stürmer erwartet wird, fand bei ihm nicht statt. War der Gegner im Ballbesitz, joggte Ronaldo lediglich locker hinterher. Er schonte sich für die Sprints, bei denen er früher kaum zu stoppen war. Doch selbst diese Dynamik ist komplett verloren gegangen.

Sinnbildlich dafür war eine Situation in der 37. Minute: Mitspieler Bruno Fernandes spielte einen tiefen Ball in den Lauf von Ronaldo. Der junge Ronaldo wäre in solch einer Situation nicht zu stoppen gewesen, hätte den Gegenspieler stehen gelassen und wäre zum Abschluss gekommen.

Doch das ist Vergangenheit: Der französische Innenverteidiger William Saliba war schneller am Ball, schirmte Ronaldo ab und klärte die Situation. Hilflos versuchte Ronaldo noch an den Ball zu kommen – vergeblich.

Merkwürdige Reaktion eines Mitspielers

Über die kompletten 120 Minuten hatte Ronaldo lediglich 40 Ballkontakte, bekam drei Torschüsse zustande und gewann nur 40 Prozent seiner Zweikämpfe. Seine Fehlpassquote lag bei 19 Prozent. Nur vereinzelt ließ er noch seine technischen Finessen durchblicken. Dass er seinen Elfmeter im Elfmeterschießen verwandelte, war das einzige echte Highlight.

Ronaldo hatte bereits vor dem Spiel angekündigt, dass dies seine letzte Europameisterschaft sein würde. Merkwürdig: Als Mitspieler Rúben Dias nach dem Spiel gefragt wurde, wie er über den EM-Abschied von Ronaldo denkt, antwortete dieser: "Könnt ihr bitte eine andere Frage stellen?" Nachdem er erneut nach Ronaldo gefragt wurde, brach er das Interview ab. Dies sprach nicht unbedingt für ein harmonisches Miteinander.

Frankreich hat nur ein Tor geschossen – und steht trotzdem im Halbfinale

Der Superstar der Franzosen, Kylian Mbappé, hatte mehr Grund zur Freude. Dass der Sieg nur glücklich im Elfmeterschießen zustande kam, sei nebensächlich. "Ich habe bereits vor den letzten Turnieren gesagt: Es ist egal, was passiert, das Wichtigste ist, dass wir gewinnen. Ich habe nur ein Tor geschossen, aber wir stehen im Halbfinale und ich bin sehr zufrieden", sagte er.

Dieses eine Tor, von dem Mbappé sprach, war sein Elfmeter beim 1:1 gegen Polen im dritten Vorrundenspiel. Unglaublich, aber wahr: Dieser Elfmeter ist das bislang einzige Tor der EM, das Frankreich selber geschossen hat. Die anderen beiden Tore der Franzosen resultierten aus Eigentoren des Gegners - einmal von Österreich, einmal von Belgien.

Mbappé war gegen Portugal zwar sehr dynamisch und bekam fünf Torschüsse zustande, ließ dabei aber jegliche Präzision vermissen. "Natürlich hoffe ich, dass ich der Mannschaft im Halbfinale mehr helfen kann", sagte er danach. "Aber vor allem freue ich mich sehr für die Mannschaft. Es liegt hoffentlich an mir, noch mehr auf Touren zu kommen."

Defensive Stabilität als Erfolgsschlüssel

Allzu schlecht wollte er die eigene Leistung allerdings nicht bewerten: "Es wäre noch schlimmer, wenn man gar nicht erst zum Abschluss kommt, weil man zu weit vom Tor entfernt ist." Nichtsdestotrotz kündigte er eine Aufarbeitung an: "Jetzt sind wir voller Euphorie. Aber es ist sicher, dass wir uns morgen etwas mehr mit der Leistung befassen werden. Wir werden das in den nächsten Tagen weiter analysieren."

Allerdings sei es wichtig, die Spielweise nicht komplett auf den Kopf zu stellen. "Wir müssen unsere defensive Stabilität beibehalten", sagte Mbappé. Tatsächlich ist die Defensive die große Stärke dieser Mannschaft. In fünf Spielen ließen sie nur einen einzigen Gegentreffer zu – und zwar per Elfmeter gegen Polen.

Viel Respekt vor Spanien

Dennoch dürfte im Halbfinale gegen Spanien eine Steigerung notwendig sein. "Das ist ein tolles Team. Ich habe mir ein bisschen was von dem Spiel angesehen, habe aber nicht alles gesehen", sagte Mbappé über den Sieg der Spanier gegen Deutschland. "Das ist eine Mannschaft, die über viele hochkarätige Spieler verfügt. Diese Mannschaft ist es gewohnt, im Halbfinale zu stehen und ihre Spiele unter großem Druck zu bestreiten."

Dennoch ist Mbappé voller Zuversicht: "Wir haben jetzt im Viertelfinale ein großes Spiel gemacht und werden im Halbfinale ein weiteres großes Spiel machen und hoffentlich gewinnen."

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