Die Spanier gehören nach dem 1:0 gegen Italien zu den heißen Turnierfavoriten. Bereits im Viertelfinale könnte es zum Duell mit Deutschland kommen. Was macht die "Furia Roja" so stark?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Luis de la Fuente musste kurz überlegen. Der Nationaltrainer Spaniens wusste natürlich, dass er mit seiner Antwort Druck und Erwartungen ein Stück weit mitbestimmen kann. Nicht viel, aber zumindest ein bisschen. Doch ihm war auch klar, dass seine Mannschaft vorgelegt hatte und er die Rolle seines Teams nicht mehr kleinreden konnte. Weshalb er erklärte, das 1:0 gegen Italien im zweiten EM-Gruppenspiel sei die "kompletteste Leistung" seiner Mannschaft seit seiner Amtsübernahme nach der WM 2022 gewesen.

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Bei nunmehr 13 Siegen in 16 Spielen unter dem 63-Jährigen ist das ein Hinweis darauf, wo die Reise hingeht: Spanien hat sich nach dem zweiten Sieg bei diesem Turnier zum Top-Favoriten gemausert, neben der deutschen Nationalmannschaft. Beide könnten bereits im Viertelfinale aufeinandertreffen. "Je weiter es geht, desto besser kennen unsere Gegner uns, desto stärker werden die Gegner", sagte de la Fuente, "aber kein Team ist besser als wir." Punkt.

Nein, Ausrufezeichen. Mehr noch: "Es ist wichtig, die Qualität dieser Generation von Spielern hervorzuheben. Die Spieler, die es in diesen Kader geschafft haben, sind meiner Meinung nach die besten Spieler der Welt."

Eine neue Ära einleiten?

Diese Sätze werden ihre Wirkung sicher noch entfalten. Sie werden in der Heimat die Hoffnungen noch mehr anheizen, dass die "Furia Roja", die rote Furie, eine neue Ära einleiten kann. Dass die aktuelle Mannschaft möglicherweise in die Fußstapfen des Teams treten kann, das von 2008 bis 2012 den Weltfußball dominierte, in der Zeit Weltmeister und zweimal Europameister wurde.

Heißt nämlich auch: Der letzte Titel ist schon etwas länger her, zwölf Jahre, um genau zu sein. Lange war die "Seleccion" in einer Sinnkrise, in einer Findungsphase. Doch die aktuelle Generation ist auf einem guten Weg, die Erfolge zurückzubringen. Die Mannschaft hat zwar nicht mehr die ganz großen Superstars im Kader, dafür aber einen "perfekten Mix", wie es Linksverteidiger Marc Cucurella nach dem 1:0 gegen Italien sagte.

So sieht der "perfekte Mix" aus

Es sind junge und hungrige Spieler, die hochtalentiert und möglicherweise kommende Superstars sind. Pedri, Lamine Yamal, Fermin Lopez, Alex Baena oder Nico Williams zum Beispiel, allesamt ausgestattet mit jeder Menge Potenzial. Dazu kommen routinierte und erfahrene Leute, teilweise mit allen Wassern gewaschen und abgezockt, wie Rodri, Dani Carvajal, Alvaro Morata oder Joselu, um nur ein paar zu nennen. Als Kollektiv funktionieren sie im Moment hervorragend.

Das bekam auch Titelverteidiger Italien zu spüren. Spanien zeigte sich dominant, agierte mit viel Ballbesitz und kombinierte sich ansehnlich über das Feld, bekam von den Italienern aber auch die nötigen Räume großzügig angeboten. Torhüter Gianluigi Donnarumma und die fehlende spanische Effizienz sorgten dafür, dass es ein knappes Ergebnis blieb. Verdient war der Sieg allemal. "Italien hat so schwach ausgesehen, weil wir so gut waren", sagte de la Fuente.

Spanien spielt zwar nicht mehr so überragend-dominant und zerstörerisch wie in der Tiki-Taka-Ära, dafür ist man pragmatischer und variabel, dabei nicht automatisch auf mehr Ballbesitz aus, sondern setzt auch auf Elemente des Kombinationsfußballs. Schwächephasen hat diese Mannschaft allerdings immer noch, so auch gegen Italien.

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Die Früchte der eigenen Arbeit

De la Fuente erntet im Moment die Früchte seiner eigenen Arbeit, wenn man so will, denn bevor er die A-Nationalmannschaft nach der WM 2022 übernahm, hatte er fast zehn Jahre lang die Nachwuchsteams trainiert. "Ich kenne sie sehr gut, und sie kennen mich sehr gut. Sie wissen, wie ich mich verhalte und ich weiß, wie sie sich verhalten", sagte er.

Deshalb weiß er auch, was sein Team leisten, was er erwarten kann. "Keine Mannschaft ist besser als wir, aber wir müssen weiter hart arbeiten und weiter so spielen wie bisher. Wir müssen uns verbessern, wir müssen mit den Füßen auf dem Boden bleiben und dürfen nie nachlassen", sagte er.

Der Gewinn der Nations League 2023 hatte seinem Team bereits Rückenwind verliehen, mit den beiden überzeugenden Siegen gegen Kroatien und Italien wird der unter de la Fuente eingeschlagene Weg nun auf ein neues Level gehoben. Und wenn er sagt, dass es immer noch Raum für Verbesserungen gebe, dann ist das korrekt, klingt aber auch wie eine Warnung an die Konkurrenz.

"Spanien ist reine Kunst"

Wie kommen die Ergebnisse und die Leistung in der Heimat an? "Spanien trägt Armani", schrieb die Sportzeitung Marca, "ein sensationelles Spiel mit Persönlichkeit, Autorität und Chancen auf einen komfortablen Sieg." Und die AS schwärmte: "Spanien ist reine Kunst."

Man habe wunderbare Aussichten, aber der Fußball könne auch sehr grausam sein, erklärte de la Fuente: "Wir müssen daher vorsichtig, bescheiden und respektvoll sein und die richtige Balance finden. Denn wir haben noch nichts erreicht." Die Euphorie ist aber längst entfacht.

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