- Der FC Bayern München will sich der internationalen Spitze annähern.
- Dafür wurde nicht nur der Kader auf einigen Positionen verstärkt, sondern mit Alexander Straus auch ein offensiv denkender Trainer verpflichtet.
- Der Saisonstart wird entscheidend sein.
Es war ein turbulentes letztes halbes Jahr, das der FC Bayern erlebt hat. Nach der Hinrunde sah es danach aus, als ob man den Erfolg aus dem Vorjahr womöglich bestätigen, vielleicht sogar ausbauen kann.
Mit dem Champions-League-Viertelfinale gegen Paris Saint-Germain hatten die Münchnerinnen ein großes Highlight vor Augen. Das Heimspiel sollte auf der größten Bühne stattfinden, die München zu bieten hat. Die Allianz Arena.
Doch das Jahr 2022 verlief wie im Drama. Corona stoppte den FC Bayern sowohl national als auch international. Trainer Jens Scheuer konnte kaum einen fitten Spieltagskader zusammenstellen. Das Aus gegen PSG tat auch deshalb so weh, weil das Team aufopferungsvoll gegen die Umstände ankämpfte. National zahlte der Rumpfkader dafür den Tribut: Eine 0:6-Packung gegen Wolfsburg begrub die letzten Hoffnungen auf die Verteidigung der Meisterschaft. Im Pokal war ebenfalls gegen die Wölfinnen Schluss.
FC Bayern: Darum musste Jens Scheuer gehen
Man hätte sich dieses halbe Jahr beim FC Bayern auch so zurechtlegen können, wie es eben in ein möglichst positives Narrativ passen würde. Verletzungen, Corona, gebrochener Rhythmus, starke Gegnerinnen zum falschen Zeitpunkt – all das sind legitime Gründe dafür, dass man unter dem Strich keinen Titel gewinnen konnte.
Doch am Campus entschied sich die sportliche Leitung dafür, keine Ausreden suchen zu wollen. Scheuer und der FC Bayern gingen getrennte Wege. Es war eine harte Entscheidung, aber eine nachvollziehbare. Obwohl es dem Ex-Freiburger 2021 gelang, die Dominanz des VfL Wolfsburg in der Bundesliga zu brechen, fehlte die spielerische Entwicklung.
Bayern wirkte gegen die besten europäischen Teams oft zu passiv und zu träge. Es schien fast so, als würden die Spielerinnen zu großen Respekt haben. Scheuers defensivfokussierter Ansatz passte auf diesem Niveau nicht mehr zu den eigenen Ansprüchen.
FC Bayern: Neuer Anspruch an sich selbst
Mit Lineth Beerensteyn und Viviane Asseyi wurden im Sommer zudem zwei hochklassige Spielerinnen abgegeben – aber auch diese Entscheidungen sprechen für den gewachsenen Anspruch des FC Bayern. Beide waren an den guten Tagen Top-Spielerinnen, die den Unterschied machen können. Aber beide zeigten diese Top-Form zu selten.
Neu verpflichtet wurden dafür die pfeilschnelle Emelyne Laurent, die auf beiden Flügeln eingesetzt werden kann, und Georgia Stanway. Die Engländerin war eine der besten Spielerinnen bei der Europameisterschaft im Sommer. Sie ist der Königinnentransfer des FC Bayern. Auch deshalb, weil sie auf unterschiedlichen Positionen spielen kann. Im offensiven wie im defensiven Mittelfeld.
Wirklich geschmerzt haben dürfte aber der Abgang von Marina Hegering. Die Innenverteidigerin hat bei der EM gezeigt, dass sie nach wie vor zu den besten der Welt auf ihrer Position zählt. Ihre Qualitäten im Aufbauspiel und ihre Ruhe werden den Münchnerinnen fehlen.
Geholt wurden dafür die 20-jährige Emilie Bragstad und die Brasilianerin Tainara. Die 23-Jährige gewann im Sommer die Copa America mit der Nationalelf. Dennoch ist unklar, wie schnell sie sich an das neue Niveau und die Kultur anpassen kann. In der Vorbereitung hinterließ sie einen athletischen und guten Eindruck.
Kader des FC Bayern hat einen wunden Punkt
Trotzdem dürfte die Innenverteidigung der einzige wunde Punkt des Kaders sein. Mit Glodis Perla Viggosdottir, Saki Kumagai und Tainara haben die Bayern nur drei gestandene Spielerinnen für diese Positionen. Danach kommt mit Bragstad schon ein Talent.
Zumal der neue Trainer auf eine Dreierkette setzt. Alexander Straus präferiert eine 3-4-3-Grundordnung. Fällt also eine Innenverteidigerin aus, gibt es schon ein großes Problem. In der Vorbereitung hatte Tainara bereits mit einer kleinen muskulären Verletzung zu tun.
Abseits dieser Sorgenfalten ist der Kader aber bestens aufgestellt. Auch wenn der VfL Wolfsburg mit seinen Transfers für mehr Aufsehen gesorgt hat, muss sich der FC Bayern qualitativ nicht vor den großen Konkurrentinnen verstecken. Zumal mit Straus nun jemand an der Seitenlinie steht, dessen Ideen womöglich eher dazu taugen, die Stärken des Kaders hervorzuheben.
Alexander Straus: Das hat er mit dem FC Bayern vor
Die Grundidee des 46-Jährigen ist oberflächlich betrachtet eine dominante und offensive. Er will von seinem Team viel Ballkontrolle und ein dynamisches wie auch flexibles Offensivspiel sehen. In Norwegen gelang ihm mit einer mutigen Spielweise Historisches. Erstmals in der Geschichte wurde der Sandviken TF norwegischer Meister.
Anschließend übernahm der größere SK Brann den Klub. In der Meistersaison gewann das Straus-Team 17 von 18 Partien und holte ein Remis – norwegischer Rekord. Straus mag in Deutschland ein unbeschriebenes Blatt sein, aber seine Vorstellungen vom Fußball versprechen mit den Möglichkeiten, die er beim FC Bayern hat, viel.
Um das Spiel zu dominieren, setzt Straus auf eine gute Besetzung der Spielfeldmitte. Vor den drei Innenverteidigerinnen staffeln sich meist zwei Sechserinnen, die sehr mobil und ständig darum bemüht sind, sich in den Zwischenräumen freizulaufen. In der Offensive gibt es wiederum keine klassischen Außenspielerinnen, sondern Halbraum-Zehnerinnen.
Linda Dallmann, Klara Bühl, Sydney Lohmann, Georgia Stanway, Lina Magull – sie alle sind prädestiniert für diese beiden Positionen, weil sie spielstark sind und auch in engen Räumen gute Entscheidungen treffen können. Auf der Neunerposition dürfte Lea Schüller gesetzt sein – aber mit Jovana Damnjanovic hat Straus eine sehr hochwertige Alternative.
FC Bayern: Hauptkonkurrent des VfL Wolfsburg
Die Breite wird durch die beiden Flügelverteidigerinnen hergestellt, die mitunter sehr weit nach vorne schieben. Straus verspricht sich vom Zentrumsfokus einerseits ein gutes Gegenpressing, weil immer viele Spielerinnen in Ballnähe sind. Auf der anderen Seite erhofft er sich dadurch Räume für die schnellen Außenspielerinnen.
In der Vorbereitung sah das Kombinationsspiel der Bayern schon sehr gut aus. Dennoch wird es Zeit benötigen, bis die Abläufe und die Abstimmung greifen. Schon der Saisonstart könnte darüber entscheiden, wie erfolgreich die erste Spielzeit unter Straus wird.
Mit dem Auftaktspiel in Frankfurt haben die Bayern gleich eine komplizierte Aufgabe zu lösen. Die SGE verteidigt für gewöhnlich kompakt, aggressiv und ist sehr stark in offensiven Umschaltmomenten. Selbes gilt für Real Sociedad, auf die der FC Bayern in der Champions-League-Qualifikation treffen wird. Diese beiden Duelle werden zeigen, was man von den Münchnerinnen erwarten kann.
Die bisherigen Eindrücke sind aber positiv. Ein bisschen Aufbruchstimmung ist zu spüren. Das Drama des Kalenderjahres scheint sein retardierendes Moment erreicht zu haben. Die Frage wird sein, was die Bayern aus diesem Momentum machen können – und ob sie schon stark genug sind, um Wolfsburg zu stoppen. Die Erwartungshaltung in München ist eine andere als noch vor zwei Jahren. Für die Bundesliga kann das nur gut sein.
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