Mit Franz Beckenbauer ist ein Fußballer gestorben, der den Sport nicht nur geprägt, sondern mit neuen Ideen weiterentwickelt hat - auf sowie neben dem Platz.
"Der deutsche Rekordmeister trauert um
Als der gerade 18-jährige Franz Beckenbauer im Sommer 1964 beim Aufstiegsrundenspiel gegen den FC St. Pauli sein Debüt im Seniorenbereich gab, war die Bayern-Welt noch eine kleine. Der aufstrebende Verein der Stadt hieß 1860 München und schickte sich an, die deutsche Meisterschaft zu gewinnen und in Europa um Titel mitzuspielen. Die Bayern wiederum waren bei der Nominierung für die neugegründete Bundesliga ein Jahr zuvor übergangen worden und mühten sich jetzt darum, überhaupt in der höchsten Spielklasse mitspielen zu dürfen. Der FC Bayern war damals einer unter vielen, der einzige nationale Titel zu diesem Zeitpunkt über 30 Jahre her. Und wer den Rekordmeister spielen sehen wollte, musste sowieso nach Nürnberg fahren.
14 Jahre später, als Beckenbauer den Klub in Richtung USA verließ, hatte der FC Bayern München alles gewonnen, was zu gewinnen war - von vier weiteren Meisterschaftstiteln bis hin zum Weltpokalsieg 1976. Daran hatte nicht nur, aber besonders Beckenbauer einen Anteil. Und zwischendurch hatte der Kaiser, wie ihn bis dahin schon viele nannten, auch noch eine Position im Fußball ganz neu erfunden.
Franz Beckenbauer bekam die Position, die er brauchte
Lange Zeit war die Arbeitsverteilung auf dem Fußballfeld bis in den Profibereich hinein eine klare. Angriff und Abwehr waren zum Großteil verschiedene Welten. In der Abwehr waren gerne Typen von grober Natur gefragt, die sich hartnäckig an Gegenspieler klammern konnten und zur Not auch die Grätsche auspackten. Und Stürmer sollten vor allem schnörkellos den Weg zum Tor finden. Beckenbauer aber wollte sich auf dem Feld weder in die Rolle des klassischen Verteidigers noch des Offensivstrategen pressen lassen. Er holte sich seine Bälle oft selbst, setzte im Mittelfeld kreative Akzente und schloss Angriffe hin und wieder auch selbst ab.
Bald wurde klar: Mit Beckenbauer war ein Spieler auf die Fußballbühne gekommen, so vielfältig begabt, dass es für ihn eine eigene Position brauchte. Und er bekam sie: Als Libero wirkte er zwar an der Verteidigungsarbeit mit, musste aber selbst keinen Mann decken. Beckenbauer nutzte diesen Vorteil, um die Position offensiver zu interpretieren als je zuvor.
Für einen modernen Innenverteidiger spielte er zu offensiv, als Taktgeber im Mittelfeld war er nur zeitweise zuständig. Und für einen klassischen Angreifer holte er sich die Bälle sowieso viel zu tief aus der Defensive. Das war Beckenbauers Trumpf: Anders als andere Spieler konnte er auf jedem Teil des Platzes seine Akzente setzen. Die Position des Liberos, in der er sich umringt von einer Gruppe zuverlässiger Spezialisten - allen voran dem als Vorstopper absichernden "Katsche" Schwarzenbeck - als fußballerischer Freigeist entfalten konnte, kam für ihn daher wie geschaffen.
Beckenbauer wurde zum Maßstab
So scheinbar mühelos Beckenbauer als Libero auf dem Platz auftrat, sollte es für die nächsten Jahrzehnte ein Maßstab für andere Spieler sein - im Weltfußball, aber vor allem in Deutschland. Hätte Lothar Matthäus seine Stärken auf dem Feld so ausnutzen können, hätte ihm Beckenbauers Spiel nicht als Vorbild gedient? Vermutlich nicht. Erst mit der Generation Beckenbauer bekamen Allround-Könner die Freiheit auf dem Platz, die für ihr Aufblühen vielleicht nötig war.
Auch wenn seine Idee vom Libero schnell von taktischen Neuheiten überholt wurde: Spätestens mit dem Titelgewinn der griechischen Nationalmannschaft bei der EM 2004 endete die Zeit des klassischen Liberos im Fußball. Bis dahin war die Position bereits Spielern vorbehalten, die am Ende ihrer Karriere standen und für andere Bereiche des Feldes schlichtweg zu langsam waren. An Beckenbauers leichtfüßige Verkörperung des Liberos kam nach ihm niemand mehr heran.
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Vielleicht macht es das fußballerische Erbe von Beckenbauer noch größer, wenn man merkt, wie schwierig es ist, einen Spieler wie ihn mit den Fußballgrößen von heute zu vergleichen. Auch wenn es hin und wieder doch noch versucht wird: Bei Manchester City etwa verlieh man John Stones erst im vergangenen Jahr den Namen "Barnsley Beckenbauer" - der spielte seine Rolle als Innenverteidiger besonders kreativ und offensiv aus und erinnerte die Engländer damit auch an die Spielweise von Beckenbauer.
Auch neben dem Platz ein Wegbereiter
Denn Beckenbauer war seiner Zeit auch neben dem Platz voraus. Noch heute können viele Menschen, auch die, die erst lange nach den 60er Jahren geboren wurden, den Text des Liedes "Gute Freunde kann niemand trennen" einwandfrei mitsingen. Interpret des Liedes war Franz Beckenbauer höchstpersönlich, der sich als einer der ersten deutschen Sportler in die Welt der Musik wagte. Ein mutiger Schritt, den ihm später zahlreiche andere Spieler der Bundesliga nachmachten, darunter etwa der englische Nationalspieler und zeitweilige HSV-Profi Kevin Keegan. Und auch die deutsche Nationalmannschaft gab fortan bis 1994 vor jedem WM-Turnier ein Lied zum Besten.
Trends setzte der Kaiser auch, als er 1966 für Produkte des Lebensmittelherstellers "Knorr" warb. Wo vorher nur vereinzelt Profis in Werbeanzeigen auftauchten, wurden die Fußballer spätestens ab diesem Zeitpunkt zu gefragten Werbegesichtern in Print und Fernsehen. Später kamen viele weitere Werbeverträge und viele Auftritte dazu. Der Kaiser suchte die Nähe zu den Medien, zur Prominenz und zur Wirtschaft - ganz anders als die vorherige Spielergeneration, der der fußballerische Ruhm noch eher unheimlich und unangenehm zu sein schien. Vor ihm kamen große Fußballer, Beckenbauer aber war der erste Fußballstar, der aus seiner Person eine Marke machte.
Als Beckenbauer in den 90er Jahren schließlich Präsident des Vereins wurde, war der FC Bayern nicht nur sportlich, sondern auch in seiner Außendarstellung die unangefochtene Nummer eins in Deutschland. Wie viel davon am Ende ihm persönlich zuzuschreiben ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Aber eines ist sicher: Ohne ihn wäre der Klub, ja auch der deutsche Fußball wirklich niemals der, der er heute ist.
Verwendete Quellen:
- The Guardian: The season of Stones: how Barnsley Beckenbauer sparked City’s surge
- Süddeutsche Zeitung: Der Werbe-Kaiser
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