Es gibt fast 200 Frauen, die innerhalb der letzten Jahre in der obersten Liga im Männerfußball eingesetzt wurden. Doch wie viele Namen kennen wir? In Europa sind vielleicht Nicole Petignat oder Nelly Viennot bekannt – oder gar Gertrud Gebhard (geb. Regus), die 2005 und 2006 in der 1. Bundesliga an der Seite assistierte.
Schiedsrichterinnen im Männerfußball lassen die sonst so stringente Trennung bröckeln. Dabei ist doch nichts dabei, wenn es Frauen im Männerfußball gibt. Wieso denn auch nicht? Fußball, die letzte Bastion der puren Männlichkeit - längst marode.
Ein Staudamm, der bereits unzählige Risse hat, durch die das Wasser rinnt. Fußball wird vom Ort der Männlichkeit zum Motor für die Gleichstellung der Geschlechter. Denn es gelten die gleichen Regeln, die gleichen Werte, es sind die gleichen Felder und Umkleidekabinen. Fußball ist Fußball – er hat Einfluss auf die Gesellschaft und umgekehrt.
Stéphanie Frappart schreibt Geschichte
Stéphanie Frappart ist in diesen Tagen nicht nur in aller Munde, sondern auch in vielen Berichten. Sie hat Geschichte geschrieben, wie schon so häufig in den letzten beiden Jahren.
Die 1983 geborene Französin ist einen Kopf kleiner als die meisten Spieler auf dem Feld, aber sie wird schnell respektiert. Nach ihrem Debüt in der Ligue 1 vor zwei Jahren befand Pierre Bouby, Mittelfeldspieler von US Orléans: "Sie hat eine leise Stimme, aber sie hat Charisma und Persönlichkeit." Und "sie benutzt die richtigen Worte, sie erklärt, sie ist diplomatisch und wir können mit ihr reden. Sie versucht nicht, sich in Szene zu setzen."
In ihrer Jugend spielte Stéphanie Frappart Fußball – auch noch als sie 1997 ihre Ausbildung zur Schiedsrichterin absolvierte. 2003 entschied sie, sich auf ihre Karriere als Spieloffizielle zu konzentrieren. Als sie 2009 FIFA Schiedsrichterin wurde, leitete sie bereits Männerspiele im Amateurbereich.
Bereits 2014 folgte der Aufstieg in die Ligue 2, 2019 folgte dann ihr großes Jahr: Am 28. April 2019 hatte sie ihr Debüt in der Ligue 1, am 7. Juli 2019 leitete sie das WM-Finale der Frauen und am 24. August 2019 wurde sie die erste Schiedsrichterin, die den UEFA Super Cup leitete – mit dem all female team des WM-Finales. Es folgten 2020 Einsätze in der Nations League, Europa League und Champions League und 2021 als erste Schiedsrichterin bei einem WM-Qualispiel weltweit – und bald als 4. Offizielle bei einem EM-Spiel.
Schiedsrichterinnen im Männerfußball: Trikot gerne eine Nummer größer
Es ist durchaus ein harter Job, Schiedsrichterin im Männerfußball zu sein. Eine andere europäische Vorreiterin, Kateryna Monzul sagte vor wenigen Wochen im Gespräch mit Reuters, dass sie trotz genügendem physischen, wie mentalen Training besonders während der ersten Spiele im Top-Männerfußball aufgeregt war. Also nicht anders, als auch ihre männlichen Kollegen. Resilienz ist für Schiedsrichter*innen sehr wichtig, denn natürlich machen sie Fehler. Jede*r macht Fehler. Würden Spieler*innen keine Fehler machen, würde jedes Spiel 0:0 enden.
Und in Deutschland?
2002 freute sich der DFB in einem bei FIFA.com publizierten Bericht: "In der Saison 2001/02 sorgte die 22-jährige Bibiana Steinhaus dafür, dass die Frauen wieder im Spielbetrieb der Regionalliga vertreten waren. Von der Aufnahme in die FIFA-Schiedsrichterliste ist Steinhaus aufgrund ihres zarten Alters noch weit entfernt, aber sie trainiert geduldig bei ihrem Landesverband und arbeitet auf ihr Ziel hin, Schiedsrichter oder Assistentin in der ersten oder zweiten Liga zu werden."
Und nun? 2021?
Es gibt in Deutschland mit Christina Biehl, Riem Hussein und Katrin Rafalski drei weibliche Spieloffizielle im Männerprofifußball, alle in der 3. Liga. Folgen sie Bibiana Steinhaus-Webb in die Bundesliga nach? Möglich wäre es, aber nicht allzu wahrscheinlich, denn sie sind bereits zwischen 35 und 40 Jahren alt, während Steinhaus-Webb mit 28 Jahren in die 2. Bundesliga und mit 38 Jahren in die Bundesliga aufstieg. Vermutlich hat nur noch Christina Biehl, die jüngste, echte Chancen, auch in der Bundesliga an der Seite zu assistieren.
Woran liegt es?
1978 waren nur 0,8% der Schiedsrichter*innen Frauen, 2002 waren es 2% und 2020 waren es 3%. Es gibt Auflagen des DFB an die Kreisverbände der Schiedsrichter*innen, dass ein bestimmter Anteil der Schiedsrichter*innen weiblich sein muss, doch diesen Anteil erreichen viele nicht. Zwar gibt es regelmäßig neue ausgebildete Schiedsrichterinnen, doch nur ein Bruchteil bleibt bei dieser Passion.
Neben zeitlichen und familiären Gründen wird auch immer wieder die Gewalt – physisch wie psychisch – genannt. Aber während Gewalt gegen Schiedsrichter jüngst medial sichtbar wurde, bleibt Sexismus gegen Schiedsrichterinnen weiterhin unsichtbar. Auch, weil er nicht so offenkundig sichtbar ist. Denn Sexismus wird selten geäußert, indem ein Spieler wütend zur Schiedsrichterin läuft, sondern vielmehr beim Umdrehen und mit einer abwertenden Handbewegung. Das macht ihn aber nicht harmloser.
Geschützte Räume
Doch nur Sichtbarmachen reicht nicht. Denn die Personen, für die Beleidigungen und Aggressionen (gerne als Emotionen bezeichnet, um sie zu verharmlosen) zum guten Fußball-Ton gehören, lassen sich davon nicht beirren. "Es ist wirklich wichtig, dass wir eine Atmosphäre schaffen, in der sie sich sicher fühlen, eine Umgebung, in der sie sich sicher fühlen." sagte Sian Massey-Ellis im Gespräch für premierleague.com.
Empfehlenswert sind geschützte Räume nur für Schiedsrichterinnen, die über eine Selbsthilfegruppe hinausgehen und nicht von Verbandsfunktionären moderiert werden. Solche Räume sollen nicht die Trennung von Männern und Frauen im Fußball vorantreiben, sondern ein ergänzendes, optionales Angebot sein.
Die Räume bieten Halt, Unterstützung sowie Förderung und damit eine bessere psychische Gesundheit. Dabei ist egal, ob sie formell durch Verbände oder informell durch Schiedsrichterinnen begründet werden; wichtig ist jedoch, dass die Frauen unter sich sein können. Denn ein Raum, der durch einen Mann gemanagt wird, wiederholt nur die bisherigen Fehler der Verbände. Es ist jetzt ein Umdenken seitens der Verbände notwendig. Hilfreich sind diversere Strukturen in den Verbänden – nicht nur Geschlechterdiversität.
Schließlich muss eine Saat erst gesät und dann regelmäßig gedüngt werden, bevor sie aufblüht und geerntet werden kann. Es reicht nicht aus, morgen geschützte Räume zu gründen, damit man seinen vorgeschriebenen Anteil an Schiedsrichterinnen erreicht. Es ist kein Mittel zum Zweck, sondern eine Ergänzung, die verstanden und gelebt werden muss.
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