Der 27-jährige Nader El-Jindaoui spielt nicht nur Fußball bei Hertha BSC, sondern erreicht in den sozialen Medien Zuschauerzahlen in Millionenhöhe. Ist das die Zukunft des Fußballs?
Als die Nummer 17 von Hertha BSC an einem kalten Mittwochabend im DFB-Pokal gegen den Hamburger SV eingewechselt wurde, brandete im Olympiastadion Applaus auf. Der 27-Jährige, der hier sein durchaus überzeugendes Debüt feierte und im Elfmeterschießen sogar noch vom Punkt traf, hatte den Großteil seiner Fußballkarriere bis dahin in der Regionalliga Nordost verbracht. Und doch kannte ihn im Stadion bereits fast jeder: Denn Nader El-Jindaoui ist im Internet schon längst ein großer Star.
Kurze Zeit später konnten El-Jindaouis rund 1,8 Millionen Abonnenten auf YouTube bereits mitverfolgen, wie der Mittelfeldspieler die Stunden vor seinem Debüt für die Hertha erlebte. El-Jindaoui nahm die Zuschauer mit ins Mannschaftshotel, berichtete den Zuschauern begeistert, dass sogar auf den Kissenbezügen Hertha-Logos prangen. Und beim Spiel ließ El-Jindaouis Frau Luisa die Zuschauer mitfühlen, wie sie auf der Tribüne die entscheidenden Momente ihres Mannes auf dem Platz erlebt hatte. Ganz egal wo: Im Leben von Nader El-Jindaoui sind seine Follower immer mit dabei.
El-Jindaoui ist nicht allein im deutschen Fußball
Ein Fußballer, der zugleich Medienmacher ist - ist das ein Modell, das in Zukunft selbstverständlich sein wird? "Influencer im Fußball sind nach wie vor ein Randthema", sagt Sportökonom Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln. Aber eines, das durchaus spannend ist.
"Wir haben bereits die Diskussion über die mediale Ausrichtung der DFL in Hinsicht auf den Investoreneinstieg", erklärt Breuer - schon bei der zukünftigen Rechtevergabe hat die DFL vor, den Medien näheren Zugang zum Geschehen zu geben. Beim Investorendeal war gar von Blicken in den Mannschaftsbus oder in die Kabine die Rede. Für Breuer ein Zeichen: "Ich denke, dass Spieler durchaus vermehrt zu medialen Ko-Produzenten werden können."
Jindaoui, mittlerweile regelmäßig im Kader der Hertha-Profis, ist mit seiner Doppelrolle nicht allein im deutschen Fußball. Im September verkündete der 1. FC Nürnberg die Verpflichtung des 24-jährigen Niklas-Wilson Sommer für die zweite Mannschaft. Sommer, in der Jugend beim FCN ausgebildet, hatte sich zwar in den oberen deutschen Ligen noch nicht durchsetzen können, dafür aber als Livestreamer auf der Plattform Twitch Karriere gemacht.
"Für Klubs, die keine hohe Stadionauslastung haben, kann es natürlich interessant sein, sich über Influencer eine neue Zielgruppe heranzuziehen", sagt Breuer. Bei der Hertha, für die das Olympiastadion viel zu groß ist, kann das durchaus relevant sein. Zudem können reichweitenstarke Influencer den Vereinen auch bei der Sponsorengewinnung helfen. "Wenn ein Klub sagen kann: Wir stellen nicht nur Content bereit, sondern bieten auch über unsere Spieler mediale Reichweite, dann überzeugt das natürlich."
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Kai Pflaume ist beim 1. FC Nürnberg zu Besuch
Wenn Sommer und seine Freunde zu Veranstaltungen einladen, kommen die Leute in Massen. Der Jungstar hat mit dem kürzlich verstorbenen Agyemang Diawusie eine eigene Modelinie gegründet und brachte mit seinen Streamer-Kollegen Elias Nerlich und Sidney Friede - ebenfalls ein ehemaliger Profifußballer - eine Getränkemarke heraus.
Seit seiner Verpflichtung bekommt auch der 1. FC Nürnberg etwas von Sommers Reichweite ab. Zu seinem Medizincheck im September nahm Sommer seine Fans per Vlog mit, kurze Zeit später schaute bereits Moderator
Die Verpflichtung des Internet-Stars sorgte in Nürnberg aber auch für Kritik bei den Fans. "Niklas-Wilson: Mehrwert für die U23 oder doch fürs Performance-Marketing?", fragte die Ultragruppe "Banda di Amici" nach der Verpflichtung des Internet-Stars per Spruchband.
Der implizierte Vorwurf: Sommer spiele nicht in der zweiten Mannschaft der Nürnberger, weil er dem Team weiterhelfen könne, sondern allein, um Aufmerksamkeit für den Verein zu generieren. Sommer selbst nahm - natürlich online per Livestream - dazu Stellung: Die Frage sei legitim, führte der Verteidiger aus, er hoffe, dass er dem Verein in beiden Bereichen helfen könne. Immer wieder stellt Sommer zudem klar, dass er sich in erster Linie als Profifußballer sehe, die Rolle als Streamer sei nur ein Hobby nebenbei.
Auch bei El-Jindaoui stellt sich vielen Fans, aber auch Kritikern die Frage: Ist der Deutsch-Palästinenser nun Fußballprofi oder doch ein Social-Media-Star, der sein Hobby Fußball ziemlich erfolgreich auslebt? "Auch wenn manche gerne sagen, dass ich Influencer bin. Aber ich bin Fußballer - und teile ein bisschen mein Leben", sagte El-Jindaoui selbst nach seinem Auftritt gegen Hamburg.
Grundsätzlich, sagt Breuer, ist jeder Fußballer bereits eine Art Influencer - "allein durch die Popularität, die die Spieler durch den Fußball gewinnen". Was El-Jindaoui, Sommer und Co. jedoch von den meisten anderen Sportlern unterscheidet, ist, dass sie ihre Reichweite in den sozialen Medien unabhängig davon ausgebaut haben. Dadurch werden sie interessant für Vereine in den unteren Ligen, die normalerweise nicht im medialen Rampenlicht stehen.
Transfers aus Marketinggründen sind nicht ungewöhnlich
Sind die Vereine also tatsächlich darauf aus, von der medialen Reichweite der Influencer zu profitieren? Laut Breuer ist das durchaus möglich - schließlich sei es auch keine neue Entwicklung, dass die Vereine ihre Kaderplanung auch durch die Marketing-Brille sehen. "Im Gegenteil: Es gibt sogar Nachweise, dass Topstars wie Neymar, Messi oder Ronaldo ihre horrenden Gehälter durch globale Trikotverkäufe wieder einspielen können", erklärt er. Auch Spielertransfers mit dem Ziel, vielversprechende Fußballmärkte wie die USA, Japan oder Südkorea zu erschließen, sind im modernen Fußball nicht ungewöhnlich.
Schon jetzt stellen sich zudem viele Sportligen auf der Welt die Frage, wie sie junge Fans begeistern können. Die Devise ist dabei vor allem kürzere und authentischere Berichterstattung, ähnlich, wie es die großen Stars in den sozialen Netzwerken vormachen. Auch neu gegründete Fußballligen, allen voran die von Gerard Pique geführte "Kings League", versuchen mittlerweile mit kürzeren Spielen, Gaming-Elementen und Mitentscheidung an den Trend anzuknüpfen und junge Zuschauer gewinnen.
Was bedeutet das für die Zukunft? Wenn die Präsenz über Social Media für die Vereine wichtiger wird, könnten auch die Erwartungen der Klubs an die Spieler steigen, vermutet Breuer. "Ich würde nicht ausschließen, dass Vereine eines Tages Fußballer mit immenser Reichweite auf die Bank setzen und diese von dort aus Live-Beiträge für die Zuschauer produzieren", sagt er. Dafür brauche es aber einen Bewusstseinswandel, was die mediale Berichterstattung angeht.
Verwendete Quellen:
- Agenturmaterial des SID
- Gespräch mit Christoph Breuer, Sportökonom an der Deutschen Sporthochschule Köln
- Youtube-Kanal "Jindaouis"
- Bild.de: Influencer-Star Sommer reagiert auf Ultras-Kritik
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