Die alte Garde sorgt für Furore: Zlatan Ibrahimovic, Cristiano Ronaldo und Sergio Ramos spielen auch im gehobenen Alter noch immer groß auf. Wie schaffen sie es, der Zeit zu trotzen?
Ich denke, also spiele ich. Mit dem Titel seiner 2015 erschienenen Biographie bewies Andrea Pirlo einmal mehr die Weitsicht, die er bereits jahrzehntelang auf den Rasen gebracht hatte. Als immer mehr Dynamik und Tempo den modernen Fußball prägten, zwang er dem Spiel sein Tempo auf. Weil der AC Mailand den 32-jährigen Pirlo und seine Spielweise überholt wähnte, sortierte man ihn 2011 aus.
Juventus Turin schnappte zu. Aus Wohlwollen zu Ehren eines verdienten Spielers? Beileibe nicht. Mit trägem Blick, aber blitzschnellen Gedanken führte Pirlo die Turiner in vier Spielzeiten zu vier Meisterschaften. Drei Mal wurde er dabei zu Italiens Fußballer des Jahres gewählt. Bei seiner letzten Auszeichnung war Pirlo 35 Jahre alt.
Es gibt diese Spieler ohne Ablaufdatum. Spieler, denen die Zeit scheinbar nichts anhaben kann. Die keine altersbedingten Defizite zeigen, weil sie sowieso über den Dingen stehen. Andrea Pirlo war so jemand. Zlatan Ibrahimovic ist so jemand. Stolze 39 Jahre zählt der Schwede mittlerweile und hat seit seinem 30. Geburtstag über 300 Tore erzielt. Im Trikot des AC Mailand führt er aktuell die Torjägerliste der Serie A an.
Dicht gefolgt von Cristiano Ronaldo, mittlerweile 35, auch der Portugiese denkt nicht mal daran, mit dem Toreschießen für Juventus Turin aufzuhören. Laut "transfermarkt.de" hat er noch immer einen Marktwert von 60 Millionen Euro. Und sein langjähriger Weggefährte
Der Körper eines 20-Jährigen
Als der fünffache Weltfußballer Cristiano Ronaldo vor zwei Jahren bei Juventus Turin anheuerte, staunte die Fußballwelt nicht schlecht, nachdem der damals 33-Jährige seinen Medizincheck absolviert hatte. Wie die "Welt" berichtete, lag sein Körperfettanteil bei nur sieben Prozent. Bei Profisportlern liegt er für gewöhnlich bei zehn Prozent.
Darüber hinaus habe der Test ergeben, dass sein Körper zu 50 Prozent aus Muskeln bestand, 45 Prozent sind der Normalfall. Juves Ärzte jubelten, man habe einen Jungspund verpflichtet, denn Cristiano Ronaldo stecke biologisch im Körper eines 20-Jährigen.
Ähnliches sagten Ärzte ein Jahr zuvor über Zlatan Ibrahimovic. Als ihm im Alter von 35 Jahren das Kreuzband riss, prophezeiten Experten ein Karriereende. Zu lange brauche ein über Jahrzehnte belasteter Körper, sich von einer solchen Verletzung zu erholen, zu groß seien die Defizite, die aufgeholt werden müssten. Doch Ibrahimovic, seinerzeit im Trikot von Manchester United, begehrte gegen sein Schicksal auf. Vier Monate später stand er wieder auf dem Platz. Der behandelnde Arzt, Kniespezialist Freddie Fu Ho-keung, sprach von Gelenk- und Muskel-Zuständen eines 15-jährigen Jungen. Eigentlich unvorstellbar für einen Hochleistungssportler, der seinen Körper schon seit 20 Jahren aufs Schwerste strapaziert hatte. Aber wie sagte Ibrahimovic einmal? "Ich entscheide selbst, wann es Zeit ist aufzuhören, und nichts anderes."
Fußball im Kopf
Geht es nach Daniel Memmert, sind es aber nicht die körperlichen Bedingungen, die entscheidend sind. Fußball spiele sich in erster Instanz im Kopf ab. Memmert ist Professor am Institut für Trainingswissenschaften und Sportinformatik an der Sporthochschule Köln, vor einem Jahr erschien sein Buch "Fußballspiele werden im Kopf entschieden". "Zwar nimmt die Fitness und die körperliche Geschwindigkeit stetig ab. Nimmt jedoch die Geschwindigkeit im Kopf zu, kann ein Spieler seine Altersdefizite kompensieren."
Sergio Ramos etwa sei heute ein anderer Spieler, als in jungen Jahren. "Er erkennt Situationen früher und kann durch eine Vororientierung Abläufe antizipieren." Memmert spricht dabei vom Aufmerksamkeitsfenster, sprich der Fähigkeit, mehrere Ereignisse und Objekte gleichzeitig bewusst zu erkennen.
Die Erfahrungswerte eines Spielers, der Jahrzehnte Leistungssport betrieben hat, sticht so manch durchgetakteten Fitnessplan aus. "Es geht um kluges Training", so Memmert. "Spieler wissen irgendwann, wie ihr Körper regeneriert, welche Schritte sie auf dem Platz wirklich machen müssen. Und ob ein freier Tag vielleicht sogar mal besser ist, als zum Training zu gehen."
Gene beeinflussen die Verletzungsanfälligkeit
Auf ihrem Weg zu großen Fußballerkarrieren war Zlatan Ibrahimovic, Cristiano Ronaldo und Sergio Ramos auch das Schicksal gewogen. Ronaldo und Ramos sind von schweren Verletzungen weitgehend verschont geblieben, lediglich Ibrahimovics Kreuzbandriss warf ihn kurzzeitig zurück. Reines Glück ist eine geringe Verletzungsanfälligkeit aber nicht.
Mit dem Alter nimmt die Widerstandsfähigkeit von Muskeln, Bändern und Sehnen laufend ab. Dabei kann die "genetische Disposition" wichtig sein, sagt Sportmediziner Simeon Geronikolakis, ehemaliger Mannschaftsarzt des VfB Stuttgart und der DFB-Junioren. Sie sagt aus, wie empfänglich ein Spieler für etwaige Verletzungen ist. "Die muskuläre Konstitution eines Spielers ist dabei entscheidend. So verfügen sprintstarke Spieler über einen hohen Anteil von schnellzuckenden Muskelfasern und neigen dadurch eher zu muskulären Verletzungen."
Im Zusammenspiel mit der individuellen Prophylaxe kann das Verletzungsrisiko jedoch gesenkt werden. "Erfahrene Spieler können Vorboten zu Verletzungen besser interpretieren." Sie wissen, wann der Körper eine Pause braucht. Auch äußere Faktoren, wie Ernährung und Schlaf, spielen eine Rolle. "Dafür braucht es eine immense Disziplin. Ein Ronaldo etwa hat sie."
Würde Zlatan Ibrahimovic in der Bundesliga funktionieren?
Ob die alte Garde in der Bundesliga noch ähnliche Leistungen abliefern könnte, ist für Memmert fraglich. Moderne Spielphilosophien sind kräftezehrend. In Spanien und Italien ist das Spiel taktischer geprägt als in Deutschland. Spanische Mannschaften spielen in der Regel mit klarem ballbesitzorientierten Offensivkonzept, ihr Spiel lebt von technischer Beschaffenheit. Italienische Teams sind in erster Linie auf defensive Stabilität aus.
In der Bundesliga kehrten in den vergangenen Jahren das Umschaltspiel und eine taktische Flexibilität ein. "Seit Ralf Rangnick gilt das Pressing als Stilelement und ist Basiswissen für jeden deutschen Trainer geworden", sagt Memmert. Körperlichkeit, Kondition und Schnelligkeit seien dafür ausschlaggebend. Trainer setzen daher vermehrt auf jüngere, lernfähige Spieler. Ein Beweis liefert das Bundesliga-Durchschnittsalter, das laut "Statista" bei 25,4 Jahren liegt. Zum Vergleich: In der Serie A ist der Spieler im Schnitt 26,8 Jahre alt. In Spaniens La Liga sogar 27,4.
Die Formel für eine lange, erfolgreiche Karriere setzt sich demnach vor allem aus Parametern zusammen wie genetische Veranlagung, Erfahrung und Disziplin. So wie Pirlo seinerzeit das Spiel an sein Tempo anpasste und die Zeiger verlangsamte, hat auch Zlatan Ibrahimovic längst mit den Gesetzen der Zeit gebrochen: "Ich werde immer besser. Ich bin wie Benjamin Button. Ich wurde alt geboren und werde jung sterben."
Verwendete Quellen:
- Interview mit Geronikolakis, Simeon: Sportmediziner.
- Interview mit Memmert, Daniel: Professor am Institut für Trainingswissenschaften und Sportinformatik an der Sporthochschule Köln.
- Welt: Cristiano Ronaldo – sensible Daten von Medizincheck aufgetaucht
- Der Spiegel: Ibra: „Aufgeben ist keine Option“
- Statista: Die Bundesliga altert, bleibt aber im Vergleich jung
- YouTube: I am Benjamin Button – Zlatan Ibrahimovic’s Post Match Interview Manchester United 3 0 Sunderland
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