Am Mittwochabend geht es für den FC Bayern in der Champions League gegen den FC Arsenal um den Einzug ins Halbfinale. Im Interview spricht der ehemalige Bayernspieler Thomas Helmer über die Chancen seines Ex-Klubs. Außerdem bewertet er die Meisterschaft von Bayer Leverkusen und nennt seinen Favoriten für die Tuchel-Nachfolge.
Herr Helmer, am Mittwochabend geht es für den FC Bayern im Rückspiel gegen den FC Arsenal um den Einzug ins Champions-League-Halbfinale. Wie sehen Sie die Chancen für die Bayern?
Im Hinspiel gab es ein 2:2. Wie bewerten Sie die Leistung der Bayern?
Es war eine sehr gute Leistung und ich muss Bayern insofern in Schutz nehmen, als sie in der Champions League eigentlich immer sehr gut gespielt haben und da ganz anders auftreten als in der Bundesliga zuletzt. An diese gute Form haben sie angeknüpft gegen eine sehr starke Arsenal-Mannschaft. Sie haben dagegengehalten und, was ganz wichtig war, auch viele Zweikämpfe geführt und gewonnen. Das hat auch Arsenal ein bisschen beeindruckt.
Eine Aktion, bei der ein Arsenal-Verteidiger den Ball ohne Not im eigenen Sechzehner in die Hand nahm, sorgte für Aufsehen. Der Schiedsrichter gab keinen Elfmeter, er sprach von einem "Kinderfehler". Verstehen Sie den anschließenden Zorn der Münchner?
Ich bin froh, dass wir zu unserer Zeit noch außerhalb des Sechzehners stehen mussten, um angespielt werden zu können. Ich wäre damals also gar nicht in die Bredouille gekommen. Das war kein Kinderfehler, sondern ein Regelfehler, das ist ein klarer Elfmeter und der hätte Bayern zugestanden. Deswegen kann ich die Aufregung absolut verstehen. Auf diesem Niveau entscheiden kleinere Situationen so ein Spiel. Jetzt kann man immer sagen, Bayern hätte den Elfmeter noch verwandeln müssen, aber trotzdem wäre es eine Chance gewesen und das Spiel wäre vielleicht ganz anders verlaufen. Da muss man nicht nur Bayern-Fan sein oder die Bayern-Brille aufhaben. Das war einfach ein Fehler und die Aufregung habe ich völlig verstanden.
Helmer vor dem Rückspiel: So viel zu verbessern gibt es gar nicht
Was muss der FC Bayern im Rückspiel anders oder besser machen, um letztlich als Sieger vom Platz zu gehen?
Sie haben vieles gut gemacht. Sie haben mir in den Zweikämpfen gut gefallen, nicht nur hinten in der Innenverteidigung, sondern auch
Die Uefa hat 2021 die Auswärtstorregel abgeschafft. In den Viertelfinal-Hinspielen vergangene Woche fiel auf, dass viele Tore gefallen sind. Manche beschweren sich nun, dass diese spektakulären Spiele im Rückspiel vollkommen irrelevant sind. Andere meinen, diese Spiele wären mit der Auswärtstorregel gar nicht erst zustande gekommen, weil die Heim-Mannschaften deutlich vorsichtiger agiert hätten. Wie sehen Sie das? Hat diese Regel früher in den Köpfen der Spieler überhaupt eine große Rolle gespielt?
Das hat schon eine Rolle gespielt, finde ich. Ich habe auch den Eindruck, dass man jetzt eher sagt, man kann noch mehr nach vorne spielen, auch auf die Gefahr hin, dass man einen Konter kassiert. Da haben wir früher schon manchmal mehr auf Ergebnis gespielt. Ich finde im Sinne des Fußballs, der offensiv ist, die aktuelle Regel wahrscheinlich die bessere Variante. Als Defensivspieler muss ich wiederum sagen, das macht es nicht leichter für die Abwehrleute.
Die Spieler des FC Bayern werden immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen. Innerhalb von wenigen Tagen hat es Serge Gnabry und Kingsley Coman mit Muskelverletzungen erwischt. Ist das einfach Pech oder könnte da mehr dahinterstecken?
Das mit den Muskelverletzungen in der Häufigkeit hört sich erstmal nicht gut an. Was das Trainingspensum angeht, würde ich Didi Hamann nicht Recht geben. Ich war immer froh, wenn ich nicht so viel trainieren musste und einfach so spielen durfte, weil wir ja alle die Grundvorbereitung haben. Heutzutage wird alles genau überprüft. Die Spieler werden fast täglich kontrolliert, wie die Belastung ist, wie die Werte sind, in welchem körperlichen Zustand sie sind. Mir fällt schwer, zu glauben, dass zu wenig trainiert wird. Ich kenne das, wenn man zu viel trainiert, dass man dann vielleicht eher mal eine Verletzung riskiert. Es ist auffallend, das muss man ganz klar sagen. Da sollten die Bayern sehen, dass sie die Ursachen schnell finden, wenn es denn begründbare gibt. Ich weiß nicht, ob es immer nur Pech ist, wenn sich das eine ganze Saison so durchzieht.
Werfen wir einen Blick auf die Bundesliga: Bayer Leverkusen ist erstmals in seiner Geschichte Deutscher Meister und durchbricht Bayerns beispiellosen Titellauf. Kann Leverkusen sich – ähnlich wie Dortmund in den frühen 2010er-Jahren – als langfristiger Konkurrent um die Meisterschaft festsetzen oder war das mehr ein "One-Hit-Wonder"?
Wenn die Mannschaft zusammenbleibt und auch der Trainer bleibt, kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht ein "One-Hit-Wonder" bleibt, sondern dass sie weiterhin eine sehr gute Rolle spielen wird. Leverkusen wird sicher auch schauen, ob nicht noch die eine oder andere Verstärkung dazukommt. Das war auch kein Zufallsprodukt. Die haben alle wirklich gut gearbeitet. Der ganze Verein, rund um Simon Rolfes und wie sie alle heißen. Die haben da ein Top-Team hingestellt. Teilweise auch mit Spielern, von denen man woanders nicht hundertprozentig überzeugt war. Unter anderem auch bei den Bayern oder den Dortmundern, wenn ich etwa an Grimaldo denke, der ablösefrei zu Leverkusen gekommen ist. Bei Victor Boniface hat man gesagt, der hat schon zwei Kreuzbandrisse gehabt, den nehmen wir auch nicht. Xhaka hat man wegen des Alters nicht genommen. Da sind schon mal mindestens zwei Schlüsselspieler, die auch einem anderen Verein gut zu Gesicht stehen würden in der Form. Boniface ist ja leider dann auch bei Leverkusen eine Weile ausgefallen.
Was müssen die Bayern jetzt ändern, zum Beispiel im Hinblick auf den Kader? Muss ein größerer Umbruch her?
Die Frage ist natürlich, schaffe ich das und, wenn ja, mit wem? Ich muss auch erst mal schauen, welche Spieler ich bekomme. Welche möchte ich behalten? Das ist ganz wichtig. Natürlich ist klar, dass irgendwann Manuel Neuer und Thomas Müller nicht mehr spielen können. Aber trotzdem muss man erst mal einen adäquaten Ersatz finden. Einfach einen Umbruch zu fordern, weil die Saison nicht so gut war in der Bundesliga, da bin ich vorsichtig. Zum Beispiel auch was Joshua Kimmich angeht. Der wurde jetzt viel kritisiert. Jetzt hat er die neue Rolle als Rechtsverteidiger, finde ich, aber ganz gut angenommen. Da würde ich mir dreimal überlegen, ob ich den jetzt so einfach weggebe. Ich muss ja jemanden finden, der das kann, was er eigentlich kann. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber sicher wird es Veränderungen geben.
Helmer kann sich Rückkehr von Nagelsmann zum FC Bayern gut vorstellen
Der Klub ist noch auf der Suche nach einem Trainer: Welcher der Kandidaten würde Ihrer Meinung nach gut passen?
Erstmal muss man dem neuen Trainer auch Zeit geben und darf nicht gleich wieder die Geduld verlieren. Aber ich kann mir wirklich vorstellen, dass diese angedachte Rückkehraktion von Julian Nagelsmann vielleicht im Moment die favorisierte ist. Erstens, weil ich glaube, dass Julian, wenn er seine Entlassung bei Bayern verkraftet hat, einen Ehrgeiz entwickeln würde. Das könnte ich mir gut vorstellen. Doch noch zu zeigen, wie gut er wirklich ist. Das wurde ihm ja dann verwehrt. Die Leute, die ihn damals nicht mehr wollten, sind nicht mehr da. Also wird einiges dafürsprechen. Der FC Bayern würde sich sicher auch keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie sagen, sie haben damals vielleicht zu früh gehandelt. Das scheint mir im Moment am plausibelsten zu sein.
Aus Ihrer Sicht als früherer Spieler: Würden Sie nicht sagen, dass das ein Autoritätsproblem geben könnte, wenn ein Trainer kommt, der vor eineinhalb Jahren noch entlassen wurde und jetzt wieder vor Spielern steht, die damals auch schon da waren?
Ich habe das bei Bayern mit Giovanni Trapattoni erlebt, der auch als Trainer zurückkehrte. Der war in der Saison 1994/95 Trainer und kam 1996 für zwei Jahre zurück. Für mich persönlich war es kein Problem. Für den einen oder anderen vielleicht, aber für mich nicht. Ich habe eher gute Erfahrungen gemacht.
Eine Frage zum Abschuss, um die wir nicht herumkommen: Am 23. April jährt sich Ihr Phantomtor zum 30. Mal. Ist das eine Geschichte, an die Sie noch oft denken oder nur, wenn Sie aktiv darauf angesprochen werden?
Ja, ich werde schon ab und zu darauf angesprochen und daran erinnert. Die Geschichte ist immer noch präsent. Ich habe es erst kürzlich in der Bahn wieder gehört von Fans, die mir das auch als Erstes zugeordnet haben (lacht). Am Anfang habe ich mal gedacht, das ist echt frustrierend, wenn man nur darauf reduziert wird. Aber nein, so schlimm ist es nicht. Es gehört nun mal zu meiner Vita dazu. Ich brauche nicht darauf hinweisen, dass es alles nicht gut gelaufen ist und ein Fehler war, aber ich kann damit jetzt ganz gut umgehen, denke ich.
Über den Gesprächspartner
- Thomas Helmer ist ein ehemaliger Fußballspieler, der in seiner Karriere unter anderem für Borussia Dortmund als auch den FC Bayern spielte. Insgesamt bestritt er 390 Bundesligaspiele. Seit dem Jahr 2004 ist der Europameister von 1996 für Sport1 (vorher DSF) tätig. Seit 2012 moderiert er unter anderem den "Fantalk", in dem er an Champions-League-Spieltagen mit seinen Gästen die Spiele live diskutiert und analysiert. Die nächste Ausgabe läuft am 17. April live ab 20:15 Uhr auf Sport1.
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