Die Hooligans - lange schienen sie von der Bildfläche verschwunden. Spätestens seit der Demonstration "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) 2014 stehen sie wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Der Rechtsextremismus- und Fußballexperte Robert Claus hat in seinem neu erschienenen Buch die Entwicklung der Szene nachgezeichnet.
Es gibt sie seit mehr als 40 Jahren und sie gehören zu den ältesten Jugendkulturen der Bundesrepublik - und doch wissen viele Menschen abseits der öffentlichkeitswirksamen Randale wenig über die Hooligans.
Robert Claus will mit seinem Buch "Hooligans - Eine Welt zwischen Fußball, Politik und Gewalt" Licht ins Dunkel bringen.
Seine zentralen Erkenntnisse: Die erste Hooligan-Generation ist gealtert und teils den Weg in die Security- und Rockerszene gegangen, Hools kämpfen heute meistens auf Wald und Wiese und haben sich so für Kampfsportler und Türsteher geöffnet, sie haben ihre Gewalt in Freefight-Klubs professionalisiert, und sie sind vermehrt Verbindungen zu rechten Ultras eingegangen.
Darüber hinaus unterscheiden sich die Szenen der aus Großbritannien importierten Bewegung ganz erheblich voneinander.
Zwischen Acker und Boxring
Während Gruppen wie die Dortmunder "Northside" ihre Kämpfe organisiert bei sogenannten "Ackermatches" in der Natur austragen, zeigt das Imperium Fight Team aus der Nähe von Leipzig, wie sich teils rechte Hooligans im Kampfsport professionalisiert haben.
Schließlich gibt es Gruppen wie die Gelsenszene aus Schalke, die Verbindungen ins Rockermilieu unterhält und bereits in der Vergangenheit Kontakte zur rechten Szene gepflegt haben soll. Oder die "Boyz" aus Köln. Eine rechtsoffene und gewaltaffine Ultragruppe, die Kontakte zu russischen Neonazis und Hools pflegt.
Wie viele Menschen zur Hooligan-Szene gehören, lässt sich schwer bestimmen. Die Datei "Gewalttäter Sport" der Polizei zählte Mitte 2017 10.646 Personen von Fußballvereinen der oberen drei Ligen zur Kategorie C (Gewalt suchend).
Jedoch finden sich darin laut Claus auch Unbeteiligte, die versehentlich zwischen die Fronten geraten waren.
Weil aber Klubs in niederen Ligen mit einem hohen Gewalttäter-Potenzial wie Lok Leipzig, der BFC Dynamo oder Waldhof Mannheim wiederum komplett fehlen und die Wiesenkämpfe nicht erfasst werden, geht der Experte von einer hohen Dunkelziffer aus.
Die Mobilisierungskraft belegte die Demonstration "Hooligans gegen Salafisten" 2014 in Köln mit rund 5.000 Teilnehmern, vor allem aus den alten Bundesländern.
Rechte Hools und rechte Ultras arbeiten zusammen
Die Kölner Demo stand sinnbildlich für die Verbindungen der rechtsextremen Szene mit dem Hooliganmilieu. Ein Teil des Ordnungsdienstes bei den Pegida-Aufmärschen in Dresden und bei Legida, dem Leipziger Ableger, wird von rechten Hools aus dem Umfeld der Fußballklubs Dynamo Dresden bzw. Lokomotive Leipzig gestellt.
Einige stehen der NPD nahe oder gehören Freien Kameradschaften an. Die Dortmunder Borussenfront, die der Neonazi Siegfried "SS Siggi" Borchardt 1982 mitgründete, war eine der ältesten Gruppierungen in der alten BRD.
Später sorgten vor allem außerhalb des Westfalenstadions rechtsoffene Gruppen wie "Northside" und "0231 Riot" für Trubel. 2014/15 wurden 3,5 Prozent der zur Kategorie C gehörenden Personen offiziell als rechtsmotiviert eingestuft.
In den letzten Jahren haben rechte Ultras zunehmend den Schulterschluss zu den Hooligans gesucht - und umgekehrt. Diese auch "Hooltras" genannten Mischgruppen verbinden die Gewalt der Hools mit der hohen Selbstorganisation der Ultras.
Letztere pflegen ein ambivalentes Verhältnis zu Gewalt, singen lieber Kurven-Lieder, basteln Choreografien basteln und feuern ihr Team auch auswärts unaufhörlich an, anstatt sich grundlos zu prügeln.
In den letzten Jahren gab es Versuche rechter Ultras und Hools, antirassistische Ultras aus den Fankurven zu vertreiben, so in Aachen oder Duisburg, teilweise mit Erfolg.
Gewalt ist dabei ein Mittel, um den Machtanspruch in der eigenen Fanszene zu demonstrieren, wie Claus herausarbeitet. Linke Hooligans sind bundesweit übrigens klar in der Minderheit.
Sie gibt es unter anderem beim FC St. Pauli oder beim Leipziger Regionalligisten Chemie Leipzig.
Überfall 1998 als Bruch
Doch warum war von den Hooligans lange eher wenig zu hören? Als Bruch gilt der Überfall auf den Polizisten Daniel Nivel durch deutsche Gewalttäter bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich.
Nachdem die WM 2006 an Deutschland vergeben wurde, nahm der Verfolgungsdruck auf die Szene seit Beginn der 2000er Jahre erheblich zu.
"Dadurch verlagerten Hools ihre Kämpfe auf Plätze außerhalb der Innenstädte. Es werden zunehmend organisierte Gruppenkämpfe, sogenannte Ackermatches organisiert. Das öffnet die Szene auch für fußballferne Türsteher und Kampfsportler", erklärt Robert Claus.
"Wir sehen nicht nur den professionalisiertesten Fußball der Geschichte, sondern auch die professionellste Generation von Hooligans, die es ja gab."
Wirklich weg gewesen sind sie ohnehin nie. Durch das Internet wird heute viel mehr öffentlich, was früher womöglich nicht weiter aufgefallen wäre.
Ein weiterer Grund für ihr vermeintliches "Verschwinden": Die Mediendebatten wurden seit den frühen 2000er Jahren durch die aus Italien nach Deutschland importierte Ultra-Bewegung und das Thema Pyrotechnik bestimmt.
Dabei warfen viele Journalisten Hools und Ultras nicht selten in einen Topf. Nach dem Motto: alles Chaoten. Kritischere Medienvertreter und Fankultur-Experten brachten allerdings auch die nötige Sachlichkeit in die Diskussion.
Auch Claus setzte den einfachen Erklärungen mit seinem Buch etwas entgegen.
Claus: "Neue Dimension der Gewalt" kaum messbar
Trotz der teils intimen Einblicke in eine gewalttätige Szene bemüht sich der Autor um eine sachliche und ausgewogene Beschreibung. Alarmistische Töne und Superlative liegen ihm fern.
Erklären statt aufwiegeln - ein bei diesem Thema nicht selbstverständlicher Stil. Denn anders als in einem Teil der Medien oder von einigen Politikern behauptet, sind Stadionbesuche heute weitaus ungefährlicher als in den 1980er oder 1990er Jahren.
Die Kämpfe haben sich weitgehend aus den Arenen und Innenstädten verabschiedet, Unbeteiligte kommen seltener zu Schaden. "Die oft zitierte `neue Dimension der Gewalt` stelle ich in Frage" betont Claus. "Sie lässt sich in Zahlen jedenfalls kaum messen oder wissenschaftlich feststellen."
Einige der Hooligans der ersten Stunde befinden sich mittlerweile übrigens im Rentenalter, Jüngere sind in ihre Fußstapfen getreten. Die Szene hat sich gewandelt und sie wird sich weiter wandeln - wie in den vergangenen 40 Jahren.
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