In der Premier League bahnt sich ein Machtwechsel an: Zwei der drei sicheren Champions-League-Tickets gehen an Klubs, denen das vor der Saison keiner zugetraut hätte. Aber sind Leicester City und Tottenham Hotspur stark genug für die Besten in Europa?
Es wäre die größte Sensation in der Geschichte der Premier League: Leicester City steht kurz davor, englischer Meister zu werden! An dem kleinen Klub aus den Midlands, von dem die meisten Experten vor der Saison annahmen, dass er wie im Vorjahr gegen den Abstieg spielen würde, haben sich sämtliche Spitzenklubs der Liga die Finger verbrannt.
Meisterschaft als Krönung einer Wahnsinnssaison?
Für die "Foxes" wäre der Gewinn der Meisterschaft der mit Abstand größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Aber selbst für den Fall, dass es mit dem Titel nicht klappen sollte, ist ihnen eines schon jetzt nicht mehr zu nehmen: In der nächsten Saison spielt Leicester City in der Champions League.
Sobald dies feststand, begannen die Spekulationen darüber, ob Leicester in der Königsklasse überhaupt Chancen hätte. Generell kann es eine Mannschaft, die es geschafft hat, die Weltklasse-Konkurrenz in der Premier League hinter sich zu lassen, auch in Europa mit jedem Gegner aufnehmen.
Leicester hat gezeigt, dass es dazu in der Lage ist, gegen die Großen zu gewinnen. Insbesondere der 3:1-Auswärtssieg bei Manchester City machte deutlich, dass der Erfolg der "Foxes" kein Zufall ist.
Leicester müsste an der Kadertiefe schrauben
Es gibt auch einige Argumente dafür, dass die Champions League für Leicester noch eine Nummer zu groß sein könnte. So ruht die Tabellenführung maßgeblich auf den Schultern von wenigen Spielern.
Sensations-Stürmer Jamie Vardy (22 Tore, 8 Vorlagen) und Premier-League-Spieler des Jahres Riyad Mahrez (17 Tore, 10 Vorlagen) haben zusammen 39 Tore erzielt. Das sind mehr als 60 Prozent aller Saisontore der gesamten Mannschaft. Sollte einer der beiden länger ausfallen, ist fraglich, ob Trainer Claudio Ranieri auf Anhieb adäquaten Ersatz aufbieten könnte.
Leicester wird außerdem beweisen müssen, dass es die Mehrfachbelastung aus Liga, Pokal und Champions League bewältigen kann. In der laufenden Saison schieden die "Foxes" früh aus FA Cup und League Cup aus und konnten sich seit Ende Januar auf das Titelrennen konzentrieren.
Hochkarätige Neuzugänge sollen ab Sommer helfen
Um die neuen Herausforderungen stemmen zu können, muss Leicester im Sommer auf dem Transfermarkt aktiv werden. Als frischgebackener englischer Meister würde sich die Verhandlungsposition dort im Vergleich zum Vorjahr erheblich verbessern.
Geld ist bei den "Foxes" vorhanden, da Klubeigentümer und Milliardär Vichai Srivaddhanaprabha großes Interesse an der Verbesserung des Kaders hat. Zusätzlich wird der neue Milliarden-TV-Deal der Premier League zusätzliches Geld in die Klubkasse spülen und auch der Gewinn der Meisterschaft wäre mit einem üppigen Preisgeld verbunden.
Zur Einordnung: Schon vor der laufenden Saison bezahlte Leicester City etliche Millionen für neue Spieler: Elf Millionen Euro für den Ex-Mainzer Shinji Okazaki, neun für N'Golo Kanté, je sieben für Yohan Benalouane und Gökhan Inler.
Mit Blick auf die Champions League dürften ab Sommer 2016 die Namen der Spieler prominenter und deren Ablösesummen deutlich größer ausfallen.
Auch Tottenham Hotspur wird es schwer haben
Nicht ganz so sensationell wie bei Leicester City, aber doch alles andere als erwartungsgemäß wäre eine Champions-League-Teilnahme des Nordlondoner Klubs Tottenham Hotspur. Die "Spurs" nehmen in diesem Jahr Kurs auf die Vizemeisterschaft. Es wäre die beste Platzierung des Klubs seit der Einführung der Premier League zur Saison 1992/93.
Im Gegensatz zu Leicester sind die Vitrinen in Tottenhams Stadion an der White Hart Lane gut bestückt: Zwei Meistertitel, acht FA-Cup-Siege, vier Ligapokal-Siege, zwei UEFA-Cup-Siege, ein Sieg im Europapokal der Pokalsieger. Jedoch sind die meisten dieser Erfolge lange her, der jüngste Titel ist der Gewinn des nicht übermäßig prestigeträchtigen Ligapokals im Jahr 2008.
Nun also Champions League. Nicht viele in England glauben, dass Tottenham dem wichtigsten Vereinswettbewerb in Europa gewachsen ist. Immerhin wurde der Verein in der englischen Fanszene mit dem wenig schmeichelhaften Wort "spursy" bedacht.
"Spurs" im ewigen Lokalwettstreit mit Arsenal
Der Ausdruck beschreibt die Eigenschaft, den gestellten Erwartungen niemals gerecht werden zu können. Sollte Tottenham bis zum Ende der Saison Platz zwei vor seinem Verfolger und Lokalrivalen Arsenal behaupten können, wären die Erwartungen bereits übertroffen.
Um in der Champions League eine gute Figur zu machen, müsste auch Tottenham seinen Kader erheblich verstärken. In der Europa League schafften es die "Spurs" dieses Jahr immerhin bis ins Achtelfinale, scheiterten dort jedoch an Borussia Dortmund. Nach Hin- und Rückspiel stand es 1:5 aus Sicht der Londoner.
Ein Grund dafür war, dass Trainer Mauricio Pochettino zahlreiche Stammkräfte für die Liga schonte. Beim Hinspiel in Dortmund saßen die beiden Leistungsträger Erik Lamela und Harry
Die Gruppenphase überstand Tottenham auf diese Weise als Gruppenerster – auch wegen vergleichsweise schwacher Gegner. In der Zwischenrunde räumten die Hotspur Florenz souverän aus dem Weg. Doch gegen Dortmund, das man wohl als Gegner mit Champions-League-Format bezeichnen kann, war Schluss.
Harry Kane kann es nicht alleine richten
Um auf das Schonen von Spielern im internationalen Wettbewerb verzichten zu können, benötigt Pochettino einen breiteren Kader. Harry Kane, mit aktuell 24 Toren der beste Stürmer der Premier League, ist mit den vorhandenen Spielern nicht ohne Qualitätsverlust zu ersetzen. Zudem kann man nicht davon ausgehen, dass er auch in der nächsten Saison ohne Sperren und Verletzungen von Spiel zu Spiel marschieren wird.
Shootingstar und Mittelfeldspieler Dele Alli spielt seine erste Saison in Englands Eliteklasse. Im April feierte er seinen 20. Geburtstag. Sich darauf zu verlassen, dass Alli auch auf Champions-League-Niveau zu den Stützen des Teams gehören wird, wäre blauäugig.
Mit Leicester City und Tottenham Hotspur stellt die Premier League in der nächsten Saison wohl zwei untypische Champions-League-Teilnehmer. Für die Klubs ist das einerseits der verdiente Lohn für starke Leistungen in der Liga.
Andererseits bringt die große Bühne auch die Verpflichtung mit sich, im Sommer weitere Topspieler zu verpflichten. Denn mit den aktuellen Kadern wäre die Königsklasse wohl für beide Vereine ein kurzes Vergnügen.
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