Ousmane Dembele startet bei Paris St. Germain durch. Wie ist das zu erklären? Und wie nachhaltig ist das? Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen.
Die französische Sporttageszeitung "L’Equipe" stellte bereits im Februar eine interessante Frage, die an Aktualität nichts eingebüßt hat. "Ist Ousmane Dembele aktuell der beste Spieler der Welt?".
Der frühere Dortmunder also, der sich 2017 zum FC Barcelona gestreikt hat und seit 2023 zum Starensemble von Paris St. Germain gehört. Der 27-Jährige soll im Moment der beste Spieler der Welt sein? Die Frage ist tatsächlich berechtigt.
"Ich würde nicht 'Nein' sagen. Er ist momentan derjenige, über den wir reden müssen", sagt DAZN-Experte Joachim Hebel im Gespräch mit unserer Redaktion. Denn Dembele liefert. Und wie: Nach sechs Toren und 15 Vorlagen in 42 Pflichtspielen 2023/24 sind es in dieser Saison in bislang 40 Partien satte 32 Tore und sieben Vorlagen.
Dembele "hat alles, was man braucht"
"Wenn das Potenzial ausgeschöpft ist, ist er Ballon d'Or-Material, weil er eine unglaubliche Technik und eine unglaubliche Dynamik hat, dazu auch eine gottgegebene Spielintelligenz, die sich oft innerhalb einer Hundertstelsekunde zeigt", erklärt Hebel: "Er hat alles, was man braucht."
Das Zeug zu Größerem hatte Dembele schon immer, allerdings hielt früher oft die Einstellung nicht Schritt mit dem Talent. Als schlampiges Genie galt Dembele daher während seiner Zeit beim FC Barcelona, wo er ein sportliches Auf und Ab erlebte, gespickt mit Höhepunkten, aber auch immer wieder Tiefschlägen und einigen Verletzungen.
Kombiniert mit fehlender Professionalität und der Frage, wann denn endlich der Durchbruch gelingt. Der ließ auf sich warten, die hohen Erwartungen konnte er nie erfüllen. So auch anfangs in Paris.
Doch in dieser Saison ist vieles anders. Aktuell schöpft der französische Nationalspieler sein Potenzial auf beeindruckende Art und Weise aus. Selbst die Konkurrenz ist hin und weg. "In Europa können sich die Mannschaften Sorgen machen, weil er eine Maschine ist", erklärte Trainer Jean-Louis Gasset vom HSC Montpellier zuletzt im Rahmen einer Pressekonferenz.
Enrique und die väterliche Strenge
Doch was sind die Gründe für den neuen Aufschwung des einstigen Skandal-Profis? "Es ist eine Mischung aus 'Ich bin hier gefragt, ich kann der Star sein, mit der Mannschaft funktioniert es, ich funktioniere'", sagt Hebel.
Hinzu kommt auch Trainer Luis Enrique, der im Umgang mit seiner Mannschaft generell ein fordernder Coach ist, der seinen Spielern aber auch taktisch etwas mitgibt. Und dann gibt es noch die zwischenmenschliche Komponente, denn Enriques "väterliche Strenge hat Dembele reifen lassen", meint Hebel.
Der wohl wichtigste Punkt ist aber der spielerische Faktor. Denn Dembele wird seit dem Abgang von Mbappe nicht mehr auf den offensiven Außen, sondern vermehrt als falsche Neun im Sturmzentrum eingesetzt. "Und die Position im Zentrum, die liegt ihm viel, viel besser, weil er öfter und schneller in seine Abschlusssituationen reinkommt, was ihm enorm hilft, die Tore zu erzielen", sagt Hebel.
Dembele bestätigte das bei "Canal+", meinte, als falsche Neun habe er weniger Abstand zum Tor und sei klarer, dazu müsse er dann nur noch auf das Gaspedal drücken. Der Rest sind Tore am Fließband.
Sehr zur Freude von Kumpel Mbappe übrigens. "Zu sehen, was er erreicht, berührt mich persönlich, weil ich weiß, wie sehr er kritisiert und verspottet wurde", sagte er "Le Parisien".
Und auch die Konkurrenz feiert mit. "Unglaublich, Dembele als Nummer neun ist die Idee des Jahrhunderts, und das ist alles eine Frage des Trainers. Paris scheint heute unschlagbar zu sein, sie sind allen anderen überlegen", sagte Montpellier-Trainer Gasset.
Unfassbare Zahlen
Dass dies national stimmt - dafür reicht ein Blick auf die Zahlen. PSG hat in der Ligue 1 nach 28 Spieltagen 24 (!) Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger und ist damit ohne Niederlage und mit den meisten Toren (80) und den wenigsten Gegentreffern (26) seit dem vergangenen Wochenende vorzeitig Meister.
Im Pokal steht PSG im Finale, den Supercup hat der Klub bereits gewonnen. In der Champions League schaltete man im Achtelfinale den FC Liverpool nach Elfmeterschießen aus, konnte dabei nach einer schwachen Ligaphase (Platz 15) überzeugen. Im Viertelfinale wartet nun Aston Villa.
Dass Paris so eine starke Saison spielt, hat auch zum Teil mit Mbappe zu tun. "Sie haben Spieler gefunden, die zusammenpassen. Sie sind taktisch sehr ausgewogen, haben einen unglaublich breiten Kader und viele Spieler, die vorne zusammenarbeiten", so Hebel. PSG sei im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, als Superstars wie Mbappe, Neymar oder Lionel Messi für den Klub spielten, jetzt ein besseres, stimmigeres Team, betont Hebel. "Es geht nicht mehr um einen Superstar wie Mbappe, sondern es geht um mehrere Stars, die eher ein wenig unter dem Radar fliegen, aber zusammen funktionieren."
Die Mannschaft arbeitet besser gegen den Ball, seit Mbappe weg ist, jeder trägt seinen Teil zu einer funktionierenden Offensive bei. "Dembele hat Mbappe ja quasi hinterhergearbeitet, jetzt arbeitet Dembele ein unglaubliches Mittelfeld zu", betont Hebel.
Verpufft die Explosion?
Die große Frage, die sich jetzt stellt: Wie nachhaltig ist die Entwicklung bei Dembele? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Spieler wie er eine wahre Leistungsexplosion erlebt, die dann aber ebenso schnell wieder verpufft. "Er schwimmt auf einer Welle, wie sie bei PSG aktuell alle auf einer Welle schwimmen. Und das kann weiter funktionieren", sagt Hebel.
Die Frage sei eher, was passiere, wenn es nicht funktioniere, wenn PSG mal zwei, drei Spiele nicht so performe, sagt Hebel: "Ist er derjenige ist, der sie dann herauszieht? Es ist ein Unterschied, ob er diese mentale Stärke besitzt oder ob er 'nur' auf einer Welle schwimmen kann. Er muss jetzt kontinuierlich weiterarbeiten und dann hat er alles."
Und dann hat auch die "L’Equipe" die Antwort auf ihre Frage.
Über den Gesprächspartner
- Joachim Hebel ist Experte beim Fernsehen und Radio. Im TV kommentiert er für DAZN die Champions League, für Sky die Premier League.