Die polemische Kritik von Hans-Joachim Watzke an den längst beschlossenen Reformen im Kinderfußball haben hohe Wellen geschlagen. Wir haben bei der Basis nachgefragt, wie die Kritik dort ankommt und wie die Reformen funktionieren.
Hans-Joachim Watzke weiß natürlich, wie das Geschäft funktioniert. Wie man gewisse Themen setzt, um die größtmögliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Ein bewährtes Mittel ist leider die Polemik. Je lauter und polternder, desto besser, weil das mehr Reichweite generiert. Es war also klar, dass der Geschäftsführer von Borussia Dortmund mit seinem Rundumschlag gegen die Reformen des DFB im Kinderfußball einen medialen Aufschrei erzeugen würde.
Watzke bezeichnete die Änderungen als "unfassbar" sowie "für mich nicht nachvollziehbar" und sprach von einem "grundsätzlich falschen Ansatz. Es gab ja auch die Diskussion, nicht mehr auf Tore zu spielen. Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft." Wenn man als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl habe, wie es sei, zu verlieren, dann werde man auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen, so Watzke. Harte Worte. Doch ist die Kritik überhaupt berechtigt? Werden die Kinder verweichlicht? Lernen sie nicht, mit Niederlagen umzugehen?
Unverständnis wegen Watzkes Kritik
"Der Hamburger Fußball-Verband (HFV) findet die Reform völlig richtig. Sie wird schon in allen Vereinen umgesetzt und sie ist seit einigen Jahren pilotiert worden. Insofern geht die Kritik an der Wirklichkeit vorbei", sagte Carsten Byernetzki, der stellvertretende Geschäftsführer des HFV, im Gespräch mit unserer Redaktion. Er stellt klar: "Die Kinder, die auf dem Platz stehen, die spielen, um zu gewinnen. Und das tun sie auch mit dieser Reform. Insofern gibt es keinen Grund, diese Kritik zu äußern."
Worum es genau geht: Ab 2024 sollen neue Spielformen im Nachwuchsbereich verbindlich eingeführt werden. Ein Ziel: In den Altersklassen von der U6 bis zur U11 soll der Leistungsdruck verkleinert und gleichzeitig die sportliche Entwicklung der Kinder noch mehr gefördert werden.
Meisterschaften werden größtenteils keine ausgespielt, Tabellen gibt es auch keine, stattdessen werden sogenannte "Festivals" ausgetragen, bei denen es viele Spiele auf mehreren Kleinfeldern im Zwei-gegen-Zwei, Drei-gegen-Drei oder Fünf-gegen-Fünf auf vier Minitore oder zwei Kleinfeldtore gibt. Wer ein Spiel gewinnt, rückt ein Feld vor, bei einer Niederlage geht es ein Feld zurück. Im März 2022 war der DFB-Bundestag der Empfehlung des DFB-Bundesjugendtages einstimmig gefolgt, viele der 21 Landesverbände führen den Übergang auf die neuen Spielformen schon länger durch.
Vor allem deshalb ist der Zeitpunkt der Watzke-Kritik für viele Beobachter unverständlich, denn die Reform ist alles, nur nicht neu. "Sei zwei Jahren haben wir dieses Pferd schon gesattelt. Seit zwei Jahren versuchen wir alle davon zu überzeugen, dass das die Lösung ist. Und er hat die Reform schließlich auch mit abgenickt", sagt Verbandsjugendleiter Rainer Lauffer vom Saarländischen Fußball-Verband im Gespräch mit unserer Redaktion.
Und dass sich an der Basis etwas ändern muss, steht für Byernetzki außer Frage: "Wenn man sich die Ergebnisse der Nationalmannschaften in den letzten Jahren anguckt, so wie es jetzt auch noch gipfelt, beantwortet sich die Frage von alleine." In der Tat steckt der deutsche Fußball nicht erst seit der Entlassung von Bundestrainer
Auch der Kern der Watzke-Kritik stimmt laut der Sportpsychologin Frauke Wilhelm nicht. Zum einen liege dieser Aussage eine erwachsene Denkweise zugrunde, aber diese Perspektive lasse sich so einfach nicht auf Kinder übertragen, sagte Wilhelm dem NDR. "Außerdem ist es sehr reduziert gedacht: Es unterstellt, dass Menschen nur ihr Bestes geben wollen, um zu gewinnen. Das ist einfach nicht so. Es gibt im Fußball den Fehlglauben, dass die allerwichtigste Motivation sei: 'Ich will unbedingt gewinnen.' Es gibt aber auch andere Dinge, die mich motivieren können."
Und das kann vor allem der Spaß sein, das Spiel, das Miteinander. Mehr Bolzplatz, mehr Freiheit, mehr Ballkontakte, mehr Tore, dafür deutlich weniger Zwang.
Der Knackpunkt der Reform
Und das soll der Knackpunkt bei der Reform sein: Es kommen alle Kinder, die da sind, zum Einsatz. Alle Kinder spielen und sind ständig am Ball. "Das ist der entscheidende Faktor", sagt Byernetzki. "Und es stimmt auch nicht, dass es nicht ums Gewinnen geht. Wenn Kinder auf dem Platz stehen, gegeneinander spielen, dann wollen sie gewinnen und das tun sie auch mit dieser Reform.
Und die Kinder, die dann spielen, denen ist es egal, ob es eine Tabelle gibt oder nicht, die wollen einfach ihr Spiel gewinnen. Und das ist der entscheidende Fortschritt." Gleichzeitig gibt es einen behutsamen Übergang zum Großfeldfußball und zum Ligabetrieb mit seinen eigenen Herausforderungen.
Bei den Vereinen in Hamburg wurde die Reform "sehr positiv aufgenommen", bestätigt Byernetzki. Im Saarland wurde das Ganze "anfangs insgesamt etwas skeptisch gesehen. Wir haben uns vor zwei Jahren bei der Abstimmung schwergetan. Das Saarland hat sich damit aber arrangiert", berichtet Lauffer. Die Probleme der Vereine waren vor allem organisatorische, denn die Klubs benötigten durch die neuen Spielformen zahlreiche kleine Tore, die Geld kosten.
Doch das konnte durch engagierte Verbandsarbeit und Sponsoren gelöst werden. Im Saarland kam noch das übliche "Jetzt haben wir das jahrelang so gemacht, jetzt kommt ihr mit dem neuen Zeug" hinzu, wie Lauffer verrät. "Es war nicht einfach in den letzten 18 Monaten, hier jeden bei uns davon zu überzeugen, dass es einfach ist. Doch der eine oder andere Pessimist vom Anfang sagt heute: 'Wir müssen wenig zusätzlich tun, und die Kinder sind glücklich und zufrieden.'"
Trainer bleiben ein wenig auf der Strecke
Wer in den betreffenden Nachwuchsklassen ein wenig auf der Strecke bleibt, ist laut Lauffer der Trainer. "Der Trainer ist kein Trainer mehr, er ist nur noch der Aufpasser. Und da gibt es einige, die können mit dieser Situation zumindest psychologisch nicht so ganz umgehen", sagt er.
Die Idee ist, dass sich Trainer zurücknehmen und die Kinder möglichst selbstständig spielen lassen sollen, auch im Training. Die Kinder sollen so mehr ausprobieren können, die Trainer sind dann in erster Linie Betreuer, "die mehr begleiten, mehr Fragen stellen, als Antworten zu geben", sagt Markus Hirte, Leiter Talentförderung beim DFB, der Sportschau: "Kinder haben keinen Raum, selbst Dinge zu entwickeln und Erfahrungen zu sammeln. Sondern sie machen immer das, was von außen vorgegeben wird. Das grenzt Kinder in ihrer Entwicklung unglaublich ein."
Einen Trainer im klassischen Sinne brauche man so zwar nicht, sagt Lauffer, "ich kann die Kids aber laufen, Fußball spielen und Tore erzielen lassen. Das freut die Kinder." Und das ist für Lauffer der große Vorteil: "Dass die Kinder mit ihren Eltern Spaß haben und die Kinder letztendlich auch belohnt werden."
Vor allem mit Spielzeit, die früher oft auf der Strecke blieb, wodurch der Frust bei den Kindern wuchs. Viele Kinder gingen dem Sport so früh verloren. Ein Fehler, wie Wilhelm betont. "Wir haben im Moment in Deutschland ein System, das frühzeitig Tabellen hat und Meister ausspielt, weshalb Trainer und Eltern unbedingt gewinnen wollen", sagt Wilhelm. "Das führt dazu, dass die besten Kinder gefördert werden, die schlechteren nicht spielen. Das ist eine Situation, die wir uns gar nicht leisten können, denn durch den ausschließlichen Fokus auf die talentiertesten Fußballer verlieren wir viele Kinder."
Auch Musiala plädiert für weniger Druck
Interessant dabei: Deutschlands Hoffnung Jamal Musiala plädiert ebenfalls für den neuen Weg. "In Deutschland gibt es schon für unter Zehnjährige ein Ligensystem, wohingegen das in England bis zur U18 nicht üblich ist. Da hat man viel weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, man kann viel freier spielen", sagte der Mittelfeldmann des FC Bayern, der in England jahrelang ausgebildet wurde, der BBC. In Deutschland würde in der Jugendarbeit viel mehr Wert gelegt auf Taktik und aufs Siegen, sagte er.
Beim DFB ist der Ärger nach dem Watzke-Vorstoß groß, auch das Unverständnis. "In den neuen Spielformen im Kinder- und Jugendfußball wird Leistung gefordert und durch die unmittelbare Rückmeldung des Gewinnens und Verlierens gefördert", verteidigt Hannes Wolf, der neue Direktor Nachwuchs, Training und Entwicklung, die Reform in einer DFB-Pressemitteilung als unmittelbare Replik auf die Watzke-Kritik.
Wobei man sagen muss: Nicht nur Watzke, auch andere Prominente aus dem Fußball wie Kölns Trainer Steffen Baumgart oder Ex-Europameister Thomas Helmer schossen in den vergangenen Wochen gegen die Reform. Wie es scheint, äußert sich in der Debatte ein Generationenkonflikt, ein Kulturkampf im Kinderfußball. Während die jüngeren Menschen einen neuen Umgang mit Sport und Leistung fordern, ist dieser Ansatz der älteren Generation zu weich.
Sandro Wagner: "Man muss nur hinfahren und es sich anschauen"
Was dabei oft auffällt, ist die Oberflächlichkeit der Kritik, ein Halbwissen. Tore und Siege gibt es nämlich weiterhin, betont Wolf. "Bei den Kindern geht es immer um das Ergebnis, die wollen immer gewinnen, die wollen immer gut spielen", sagte etwa U15-Nationaltrainer Christian Wück: "Wichtig ist, dass es bei den Trainern, Eltern und Verwandten nicht um das Ergebnis geht."
Sandro Wagner, der Teil des Kompetenzteams unter der Leitung von Wolf ist, fordert die Kritiker zu dem auf, was sie schon längst hätten tun sollen: "Man muss nur hinfahren und es sich anschauen. Dann sieht man: Die Jungs, die gewinnen, freuen sich und die, die verlieren, heulen. Es gibt alles, was es früher schon gab, nur noch intensiver, nur noch nahbarer."
Watzke hat inzwischen übrigens zugegeben, "dass er in feucht-fröhlicher Runde über das Ziel hinausgeschossen ist", wie Bundestrainer Rudi Völler verriet: "Es ist alles nicht so schlimm, da haben wir auch schon drüber gesprochen. Alles kein Problem." Die Basis dürfte das ein wenig anders sehen.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Carsten Byernetzki, stellvertretender Geschäftsführer des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV).
- Gespräch mit Rainer Lauffer, Verbandsjugendleiter des Saarländischen Fußballverbandes (SFV) und Mitglied im DFB-Jugendbeirat.
- ndr.de: Watzke poltert gegen Reform im Jugendfußball - Psychologin widerspricht
- sportschau.de: Revolution mit Minitoren in vollem Gange
- dfb.de: FAQ zu den neuen Spielformen
Fußball: Ärzte fordern Kopfballverbot für Kinder - so reagiert der DFB
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