Der Umbruch der deutschen Nationalmannschaft wurde gegen die Niederlande mit einem Last-Minute-Sieg belohnt. Dennoch hat die DFB-Auswahl noch viel Arbeit vor sich. Das weiß auch der Bundestrainer.

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Großer Jubel: Der späte Siegtreffer von Nico Schulz zum 3:2 bescherte Deutschland einen erfolgreichen Auftakt in die EM-Qualifikation. "Das ist enorm wichtig für die Entwicklung der jungen Truppe", sagte RTL-Experte Jürgen Klinsmann.

"Sie hat sich in den paar Tagen schon ein bisschen gefunden. Was sie in der 1. Halbzeit abgespielt hat, war Weltklasse."

Der Umbruch der DFB-Auswahl hat zu einer neuen Spielphilosophie geführt. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Ball im Mittelfeld elendig lange hin und her gespielt wurde. Löw verlangt mehr Dynamik, mehr Schnelligkeit und mehr Zielstrebigkeit.
Gegen die Niederlande ging dieses Konzept vor allem in der 1. Halbzeit auf. Das typische Schema: Erst der Ballgewinn im Mittelfeld, dann ein schnelles Umschaltspiel nach vorne.

Eine Großchance war oftmals die Folge. Die beiden Offensivspieler Leroy Sane und Serge Gnabry verkörpern mit ihrer Schnelligkeit die neue Philosophie, erzielten folgerichtig auch jeweils ein Tor.

Immer nur eine gute Halbzeit

Dennoch offenbarten die beiden Länderspiele gegen die Niederlande und gegen Serbien (1:1) auch einige Schwachstellen. Ein Problem: die fehlende Konstanz. Gegen Serbien war die 1. Halbzeit ein Desaster, die 2. Halbzeit ein Spektakel.

Gegen die Niederlande war es andersherum: die 1. Halbzeit phänomenal, die 2. Halbzeit schwach – sieht man einmal von dem späten Siegtreffer ab. "Die Ruhe, die wir in der 1. Halbzeit hatten, haben wir verloren", weiß Joachim Löw. "Man hat in der 2. Halbzeit gesehen, dass wir noch einiges an Arbeit vor uns haben."

Was er damit meint: Die junge DFB-Auswahl muss lernen, auch bei einer Führung die Kontrolle zu behalten. In Amsterdam sorgte eine taktische Umstellung des Gegners dafür, dass die deutsche Nationalmannschaft ihre Sicherheit verlor und einfache Fehler machte.

Wer sind die Führungsspieler?

In solchen Phasen sind Führungsspieler gefordert. Davon gibt es in der jungen Nationalmannschaft allerdings nur noch wenige. Löw bemängelt nicht ohne Grund, dass es im Training zu ruhig ist.

Die meisten Spieler sind noch zu sehr mit ihrer eigenen Leistung beschäftigt, haben nicht die Gesamtheit im Blick. "Die Spieler müssen mehr aus sich herauskommen", verlangt Löw.

Toni Kroos soll als einer der wenigen übrig gebliebenen Weltmeister als Führungspersönlichkeit fungieren. Löw bezeichnet ihn als unverzichtbar: "Der Toni Kroos ist für eine Mannschaft ein unglaublicher Gewinn. Seine Art und Weise zu spielen, seine Ballbehandlung, seine Fähigkeit ein Spiel zu lenken und diese Sicherheit am Ball und Übersicht sind einmalig."

Allerdings ist Kroos nicht als Lautsprecher bekannt. Er ist niemand, der die Mannschaft aufrüttelt. Ein Marco Reus ist es genauso wenig. Eher schon ein Joshua Kimmich. Der muss in diese Rolle allerdings erst noch hineinwachsen.

Wird ein Strafraumstürmer benötigt?

Genauso bleibt abzuwarten, ob sich der neue Tempo-Fußball gegen alle Gegner praktizieren lässt. Die Niederlande steht für eine offensive Spielweise. Dadurch ergaben sich für den schnellen Angriff der DFB-Auswahl viele Räume.

Trifft die Nationalmannschaft allerdings auf tiefstehende Gegner und das wird sowohl in der EM-Qualifikation wie auch bei der Europameisterschaft der Fall sein, könnte das Fehlen eines echten Strafraumstürmers Probleme bereiten.

Timo Werner war der einzige Mittelstürmer im aktuellen Aufgebot, kommt allerdings meist aus der Tiefe und ist nicht als Kopfballungeheuer bekannt.

Die Defensive als Schwachstelle

Während die Offensive insgesamt aber viel Qualität aufweist, muss die Verteidigung wohl eine längere Entwicklung durchlaufen. Stefan Effenberg sieht hier die Schwachstelle.

"Titel gewinnst du nur mit einer richtig guten Defensive. Da sehe ich Stand heute das größte Problem der deutschen Nationalmannschaft", sagte die Fußball-Ikone im Sport 1 Doppelpass.

Die deutsche Hintermannschaft gab bei beiden Toren der Niederländer keine gute Figur ab. Auch in der 1. Halbzeit gab es zwei Aussetzer, die lediglich dank der Glanztaten von Manuel Neuer nicht bestraft wurden.

Tatsache ist: In der Innenverteidigung mangelt es an Erfahrung. Niklas Süle ist beim FC Bayern München zwar gesetzt, hat dort aber an seiner Seite einen erfahrenen Mats Hummels oder Jerome Boateng. Beide wurden aus der Nationalmannschaft aussortiert.

Auch ein Antonio Rüdiger, ein Matthias Ginter oder ein Jonathan Tah sind in ihren Vereinen keine Führungsspieler. Auch hier stellt sich also die Frage, wer in die Führungsrolle hineinwächst – und vor allem wie lange das dauert.

Der langjährige Trainer Christoph Daum schlug bereits vor, man solle die Planung auf die Heim-Europameisterschaft 2024 ausrichten. So lange könnte es nämlich dauern, bis der Umbruch vollzogen und Deutschland wieder zur Weltspitze zählen wird.

Keine schöne Aussicht für den erfolgsverwöhnten deutschen Fußball-Fan! Immerhin: Der Sieg gegen die Niederlande weckt die Hoffnung, dass es trotz aller Baustellen ein wenig schneller gehen könnte.

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