Die deutsche Nationalmannschaft wollte sich in der Nations League für das WM-Debakel rehabilitieren. Jetzt droht der Abstieg - und womöglich das Aus für Bundestrainer Joachim Löw?
Der faktische Unterschied prangte in hell erleuchteten Lettern an der Anzeigetafel in der Arena in Amsterdam: Nederlands 3, Duitsland 0. Für den gefühlten Unterschied zwischen den beiden ehemaligen Weltmächten des Fußballs sorgte der niederländische Fußballverband nach dem Spiel.
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Die alten Helden Rafael van der Vaart und Dirk Kujt wurden für ihre Verdienste für die Elftal geehrt, beide in Zivil und locker und gelöst. Die alten deutschen Helden trotteten da gerade durch die Katakomben der Arena, schwer geschlagen und zermürbt. Sie hatten gerade noch ihren Dienst verrichten müssen.
Während die Niederländer nach zwei desaströsen Qualifikationsrunden und dem Verpassen zweier Großereignisse einen klaren, sehr radikalen Schnitt machten, mit einem neuen Trainer und sehr vielen sehr jungen Spielern - und eben ohne die alten Haudegen von einst - schippert die deutsche Nationalmannschaft unbeirrt weiter ihren Kurs, der sie nach dem Vollcrash bei der WM nun ans Tabellenende der Nations League geführt hat.
Was ist der große Plan?
Vier Spieler hatte Bondscoach Ronald Koeman in der Startelf, die jünger als 23 Jahre waren,
Den Gefallen aber taten ihnen die Niederländer nicht, sondern trafen von zwei eher abwartend spielenden Mannschaften in der ersten Halbzeit als einzige, was Deutschland automatisch in eben jene Rolle zwang, die Löw gemäß seiner WM-Analyse so gut es geht vermeiden will: Der Bundestrainer sagt dem Ballbesitzfußball leise servus, will wieder mehr Geradlinigkeit und Geschwindigkeit. Bei diesem Unterfangen verrennt sich die Mannschaft aber momentan offenbar, jedenfalls ist von einer Spielidee, geschweige denn einer Spielphilosophie nicht besonders viel zu sehen.
"Haben uns nicht so viel vorzuwerfen"
Das Team verliert sich auf dem Platz in einem Kuddelmmuddel aus Ansätzen und außerhalb des Platzes in ihrer schon bei der Weltmeisterschaft in Russland gezeigten Wagenburgmentalität.
"Unser Problem ist die fehlende Chancenverwertung, eindeutig. Ich weiß nicht, ob das jemand anders sehen kann. Wir haben 3:0 in einem Spiel verloren, das wir eigentlich gewinnen müssen. Es ist nicht einer, der alle Chancen vergibt, sondern jeder hat seine Chance gehabt. Das ist ein Mix aus Pech und Unvermögen. Jetzt stehen wir hier mit einem 0:3, obwohl wir uns eigentlich nicht so viel vorzuwerfen haben", sagte Hummels. "Dass wir jetzt nach zwei Spielen mit einem Punkt und 0:3 Toren dastehen ist der Wahnsinn, wenn man sich den Spielverlauf der Spiele ansieht."
Mannschaft fällt mal wieder auseinander
Man kann noch nicht mal behaupten, dass er damit Unrecht hat. Die deutsche Mannschaft hatte tatsächlich einige sehr gute Einschussmöglichkeiten, vergab die besten Chancen aber wie schon in den Spielen davor. 39 Torschüsse sind gegen Frankreich und die Niederlande notiert, aber kein einziges Tor. Andererseits sind Hummels’ Ausführungen angesichts der Ereignisse der letzten Monate und eines neuerlichen Zerfalls der Mannschaft in ihre Einzelteile gegen einen keineswegs übermächtigen Gegner auch befremdlich.
Deutschland hatte bereits weit vor den beiden Toren in der Schlussphase nach zwei amateurhaften Ballverlusten von Julian Draxler wieder erhebliche Probleme in der Konterabsicherung, eine bessere Mannschaft als die Elftal hätte deutlich mehr als drei Tore erzielt. Im Prinzip führt die deutsche Mannschaft ihre WM-Leistung einfach weiter: Mit Spielern weit unter Normalform, mit einer schwer zu definierenden Spielausrichtung - und mit einem immer ratloser wirkenden Bundestrainer.
Löw stellt Mannschaft in den Senkel
"Fakt ist, dass wir in den letzten beiden Spielen sehr, sehr viele Chancen hatten, aber kein Tor gemacht haben. Das ist sehr schlecht", sagt Löw im "ZDF" und geißelte besonders die erneut lasche Mentalität der Mannschaft. "Man kann verlieren, ein 0:1 wäre akzeptabel gewesen. Dass wir in den letzten zehn Minuten so auseinanderfallen, ist schlecht. Da müssen die Spieler Verantwortung übernehmen und in den letzten zehn Minuten nicht vogelwild irgendwo herumlaufen."
Löw weiß, dass er mit seiner Nibelungentreue zu den 2014er Weltmeistern auch ein großes Risiko eingeht und baute offenbar deshalb auch schon mal etwas vor. "Wir haben gegen Frankreich auch gesehen, dass die etablierten Spieler es noch können. Die jungen Spieler wie Leroy Sane haben das Spiel belebt, brauchen aber noch Zeit. Auch sie haben das Tor nicht gemacht", sagte Löw und es hörte sich an wie das Pfeifen im Walde, im Grunde hätte er auch sagen können: Die Alten sind zwar nicht besonders gut derzeit, die Jungen aber halt auch nicht besser.
Schicksalsspiel für Löw
Nur macht das alles die Gemengelage nur noch schwieriger. Statistisch liefert dieses Jahr 2018 weiter verlässlich erschreckende Zahlen: Das 0:3 war die höchste Niederlage überhaupt gegen die Elftal im 23. Vergleich. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die deutsche Nationalelf in drei Pflichtspielen in Folge kein Tor erzielt. In den zehn Spielen des Kalenderjahres hat die Mannschaft nie mehr als zwei Treffer erzielt, dafür aber schon fünf Mal gar kein Tor geschossen. Deutschland hat mehr als doppelt so viele Spiele verloren (fünf) als gewonnen (zwei). Zuletzt gab es vor 33 Jahren fünf Niederlagen in einem Jahr, mehr als fünf bisher in der langen Geschichte der Nationalmannschaft aber noch nie. Allerdings steht am Dienstag der Gang zu Weltmeister Frankreich an.
Es wird eine Art Schicksalsspiel für Löw. Die Reförmchen des Bundestrainers greifen (noch) nicht und jetzt bleibt keine Zeit mehr, noch ausgiebig zu testen. Gegen die Franzosen droht das Aus in der Nations League, am Ende vielleicht sogar der Abstieg in die B-Gruppe. "Einen Abstieg aus der Nations League wollen wir nicht. Jetzt wird sich zeigen, ob wir den Charakter haben, das zu verhindern. Das wird man in Frankreich sehen und auch im letzten Heimspiel gegen die Niederlande müssen wir eine Reaktion zeigen. Sonst steigen wir in der Tat ab."
Löws Neustart kann nur mit einem Sieg beim Weltmeister noch gelingen und nur ein Überraschungserfolg in Paris könnte die Diskussion um Löws Zukunft als Bundestrainer auf Eis legen, die nun wieder volle Fahrt aufnehmen wird. Er müsse damit rechnen, dass nun auch wieder seine Person hinterfragt werde. "Das ist völlig normal, da habe ich auch Verständnis für", sagte Löw. Für ihn geht es am Dienstag in Paris womöglich schon um Alles.
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