Erik Meijer ist vielen Fußball-Fans in Deutschland als Taktikexperte beim Pay-TV-Sender Sky bekannt. Vor dem EM-Qualifikationsspiel zwischen dem DFB-Team und den Niederlanden sprach unsere Redaktion mit dem einstigen Bundesligaspieler über die Wiederauferstehung der "Elftal" und die Wendung von Joachim Löw.

Ein Interview

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Herr Meijer, Nordirland hat in der EM-Qualifikationsgruppe C zwölf Punkte aus vier Spielen vorgelegt. Die Niederlande stehen mit bislang nur drei Zählern vor dem Spiel in Deutschland, das neun Punkte hat, mal wieder unter Druck, oder?

Erik Meijer: Nein! Ich bin überhaupt nicht dieser Meinung. Weil ich davon überzeugt bin, dass wir neben Deutschland guten Fußball spielen und genügend Punkte haben werden, um am Ende unter den ersten Zwei der Gruppe zu stehen. Ja, es geht gegen Deutschland immer um die Ehre. Aber wir sind nicht tot, wenn wir dieses Spiel verlieren.

"Elftal" hat viel Qualität

Was gibt Ihnen die Überzeugung, dass Ihr Heimatland bei der Fußball-EM 2020 dabei sein wird, nachdem die "Elftal" zuletzt zwei große Turniere in Folge verpasst hat?

Wir haben momentan so viel Qualität, ein eingespieltes Team und mit Ronald Koeman einen Coach, der es versteht, wie er jede einzelne Position besetzen muss. Nicht, dass wir arrogant wären, aber wir wissen, dass wir gut sind.

Es gab in der Vergangenheit viele legendäre Duelle. Welchen Stellenwert haben die Länderspiele gegen das DFB-Team in Ihrer Heimat bis heute?

Holland gegen Deutschland hat für uns immer etwas Spezielles. Wir Niederländer gewinnen unsere Fußballspiele oft, aber nicht oft gegen Deutschland. Dass ist, wie wenn du im Garten gegen deinen großen Bruder Fußball spielst. Dann ist es auch schön, wenn du ab und zu einmal gewinnst. Es wird Zeit, dass wir mal wieder ein Pflichtspiel für uns entscheiden. Aber, das DFB-Team ist gut, sehr gut, hat sehr viel Talent.

Sie waren weder bei der EM 2016 noch bei der WM 2018 dabei - was hat das mit der Fußball-Nation Niederlande gemacht?

Es herrschte Verunsicherung. Uns wurde die Realität aufgezeigt. Wir sind bei der WM 2010 Zweiter geworden, bei der WM 2014 Dritter. Dann haben wir gedacht, dass wir mit unserem Stil schon durchkommen. Damals haben wir nicht gemerkt, dass die Länder um uns herum an Qualität dazugewonnen haben. Die Deutschen haben dagegen geschaut, wie in den Niederlanden und in Frankreich im Fußball gearbeitet wird. Wir aber dachten, wir würden alleine mit unseren Tugenden weit kommen.

Von welchen Tugenden reden Sie?

Zuvor dachten wir, dass wir mit unserem offensiven Spiel immer gewinnen würden. Aber es geht auch um Charakter, dass du mehr investierst als dein Gegner, dass du gezielter trainierst, Spiele härter und direkter analysierst.

Und dann brauchte es noch einen Bondscoach, der nicht die vielleicht elf besten Einzelspieler aufstellt, sondern eine Elf, die sich am besten ergänzt. Und wir haben erkannt, dass wir mehr auf Resultat spielen müssen und nicht nur der Schönspielerei wegen.

De Ligt und de Jong haben das Schweinsteiger-Gen

Und mit den Youngstern Matthijs de Ligt, 20 Jahre jung, und Frenkie de Jong, 22, hat der niederländische Fußball wieder zwei Stars.

Bei diesen zwei Jungs sieht man, dass man auch mal Glück haben muss, dass man ein, zwei Jahrgänge hat, die richtig gut sind. Die Jahrgänge vor ihnen hatten ein deutlich schwächeres Niveau. Die Generation mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller war auch plötzlich da und hat Deutschland zum Weltmeister gemacht.

De Ligt und de Jong haben dieses Schweinsteiger-Gen, mit dem die Niederlande wieder um Titel mitspielen kann?

Schweinsteiger hat 2014 gezeigt, dass er eine Mannschaft führen kann. Die beiden Youngster müssen das erst noch unter Beweis stellen. Und alleine darin liegt schon die Gefahr gegen Deutschland (lacht). Sie haben alles, was es braucht. Aber ihnen fehlt noch die Erfahrung. Sie sind völlig zu Recht von Ajax Amsterdam zu größeren Klubs gewechselt (de Ligt zu Juventus Turin, de Jong zum FC Barcelona, Anm. d. Red.). Alleine das Training dort mit noch besseren Mitspielern bringt sie schon auf ein noch höheres Niveau. Wenn du mit schwächeren Spielern trainierst, wirst du nicht besser.

Wie äußert sich diese Weiterentwicklung auf diesem Niveau überhaupt noch?

Wenn du bestimmte Situationen schon mal erlebt hast. Sie sind zuerst schiefgegangen, liefen dann besser, dann speicherst du das ab. Das ist wie mit einem Piloten in einem Flugzeug. Wenn er brenzlige Landungen oder Turbulenzen hinter sich hat, bleibt er das nächste Mal ruhiger und sachlicher. So geht es allen im Leben.

Auch mit unerfahrenen Youngstern hatten die Niederlande das DFB-Team in der Nations League vorgeführt - weil Sie "geileren" Fußball spielen?

Holland und Deutschland spielen sehr ähnlich. Beide attackieren forsch und mit viel Tempo nach vorne. Beide Mannschaften haben Außenverteidiger, die gerne mit nach vorne gehen. Beide Teams haben mehrere Kreativspieler und vorne drin einen beweglichen Offensivspieler, ob das nun Memphis Depay bei uns ist oder Timo Werner. Und beide Mannschaften sind technisch und taktisch sehr gut geschult. Ich werde in Hamburg dabei sein und hoffe auf ein richtig geiles Länderspiel, weil sehr viel Qualität auf dem Platz stehen wird.

Manuel Neuer bringt DFB-Tram als Mitfavorit auf die EM 2020 ins Spiel

Manuel Neuer bringt das DFB-Team mit Blick auf die EM 2020 schon wieder als Mitfavorit ins Spiel - trotz der Enttäuschungen von 2018. Typisch deutsch?

Ich finde cool, dass Neuer das macht. Du musst als Sportler die Latte hochlegen. Er geht aus sich raus, sagt, wir haben einen guten Kader, ich spüre, dass wir mit zu den Besten in Europa gehören. Ich mag es, wenn ein Spieler Selbstbewusstsein zeigt. Das hat nichts mit Arroganz zu tun. Wenn einer sich so äußern darf, dann er.

Bundestrainer Joachim Löw wirkt nach nachdenklichen Monaten und viel Kritik ebenfalls forscher.

Ich dachte nach der WM, dass Löw aufhört oder aufhören muss. Es kam nicht so. Dann kam die Nations League, bei der er "all in" ging mit den älteren Spielern. Als er dann die jungen Spieler dazugeholt hat, hat sich das ausgezahlt. Die jungen Spieler haben dafür gesorgt, dass über die "alten Hasen" nicht mehr gesprochen wird. Das ist die beste Antwort, die ein Trainer von seinen Spielern bekommen kann.

Also muss sich Löw bei seinen Spielern bedanken?

Er stellt sie auf. Er hat gesehen, dass es eine Trendwende braucht. Die ist gekommen. Und dafür braucht es Ahnung - und Glück.

Erik Meijer, Jahrgang 1969, ist in Meerssen nahe der niederländisch-deutschen Grenze geboren. Als Profifußballer spielte der einstige Stürmer für die PSV Eindhoven sowie in der Bundesliga für den KFC Uerdingen, Bayer Leverkusen, den Hamburger SV und Alemannia Aachen. Außerdem stand er ein Jahr (1999/2000) beim FC Liverpool unter Vertrag. Für die Niederlande machte er ein Länderspiel. Aktuell arbeitet er als Experte beim Pay-TV-Sender Sky, unter anderem als Taktikfachmann zur Champions League und Bundesliga.
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