Mit Manuel Neuer hat einer der besten Torhüter der Geschichte seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündet. Im Interview mit unserer Redaktion adelt der ehemalige DFB-Torwart Timo Hildebrand die Leistung des Weltmeisters. Im Hinblick auf die Zukunft des deutschen Tores müsse man nun kleinere Brötchen backen.
Herr Hildebrand, irgendwann musste es ja passieren:
Timo Hildebrand: Ich glaube, es war ganz gut, die Entscheidung nicht direkt nach der Europameisterschaft zu verkünden. Er hat sich nochmal seine Gedanken gemacht und hat dann einfach für sich entschieden, dass es auch reicht. Er hat eine Ära geprägt und ich finde, es ist jetzt ein guter Zeitpunkt für ihn.
Wie bewerten Sie die DFB-Karriere von Neuer? Wo zwischen den anderen großen Namen wie
An erster Stelle. Also klar, Kahn war schon total präsent und auch ein überragender Torwart. Und Maier natürlich auch aus der früheren Generation. Aber ich glaube, Neuer hat das Torwartspiel in der Moderne nochmal auf ein anderes Niveau gebracht. Deswegen finde ich, war er der beste deutsche Torwart, den wir je hatten.
Was ist in Ihren Augen das Besondere an Neuer?
Ein Torwart ist immer ein Komplettpaket, aber Neuer hat auch gezeigt, wie wichtig das fußballerische Können auf der Torhüterposition ist. Seine Dynamik, sein Mut, auch offensiv zu spielen – das war schon einzigartig.
Die Nachfolge von Neuer im deutschen Tor tritt nun höchstwahrscheinlich die ewige Nummer zwei
Auf jeden Fall. Er hat mit seinen 32 Jahren auch schon ein fortgeschrittenes Alter und damit auch genug Erfahrung. Ich hoffe, dass er jetzt seine Zeit bekommt.
Sie sagen es gerade, ter Stegen ist auch schon 32 Jahre alt. Wen sehen Sie sonst noch perspektivisch als Nummer-1-Kandidaten?
Man wird sehen, ob er jetzt fest in die Nationalmannschaft nachrückt. Es ist wichtig, Leistung zu bringen und es wird sich irgendwann herauskristallisieren, ob auch mal ein ganz Junger wieder nachkommt. Aber jemanden wie Neuer wird es in den nächsten Jahren nicht geben. Es gibt keinen auf Augenhöhe. Ich weiß auch nicht, ob es das in dieser Form überhaupt wieder geben wird. Da muss man einfach erstmal kleinere Brötchen backen. So ein Weltklasse-Torhüter wie Manuel Neuer ist nun mal nicht täglich vorhanden.
Das brauchen junge Torhüter laut Hildebrand für eine erfolgreiche Karriere
Wie sehen Sie den U21-Nationaltorwart Noah Atubolu? Er blieb in seiner ersten kompletten Bundesliga-Saison zehnmal ohne Gegentor – nur zwei Keepern gelang das im Liga-Vergleich häufiger. Trotzdem stand er immer wieder in der Kritik. Kann er in Zukunft eine Rolle spielen?
Ich glaube, er hat einen guten Job gemacht und ich kann das auch nachfühlen, weil meine erste Saison als Profi-Torhüter auch nicht einfach war. Er hat in Freiburg einen guten Verein, die immer in der Mitte der Bundesliga spielen und auch mal einen Ausreißer nach oben haben. Es ist normal, dass man noch Erfahrungen sammeln muss. Deswegen finde ich, dass er einfach einen guten Job gemacht hat.
Lesen Sie auch
Weil Sie gerade Ihre eigene Erfahrung als junger Torhüter ansprechen. Was würden sie jungen Torhütern denn als Tipp mitgeben, um es ganz nach oben zu schaffen. Sie selbst haben es schließlich in die Nationalmannschaft geschafft.
Das ist eine schwierige Frage. Im Endeffekt ist es auch wichtig, in welchem Verein man spielt und wie es dort läuft. Nübel wäre jetzt wahrscheinlich auch nicht in den erweiterten Kreis der Nationalmannschaft gekommen, wenn beim VfB nicht alles so astrein gelaufen wäre. Du brauchst einen guten Verein, einen guten Torwarttrainer, bei dem du dich entwickeln kannst. Und dann brauchst du natürlich auch noch Disziplin und herausragende spielerische Eigenschaften.
Neben Neuer ist unter anderem auch Kapitän Ilkay Gündogan aus der Nationalmannschaft zurückgetreten. Wer wäre Ihrer Meinung nach ein geeigneter Nachfolger als DFB-Kapitän?
Spontan fällt mir keiner ein. Joshua Kimmich ist eine Persönlichkeit, die jetzt schon lange in der Nationalmannschaft als Stammspieler dabei ist und kommt für mich deswegen am ehesten in Frage.
Blicken wir noch kurz auf die Bundesliga, die am Freitag wieder beginnt: Wer ist Ihrer Meinung nach Favorit auf den Meistertitel?
Immer der FC Bayern München. Leider.
Trotz der klaren Verhältnisse in der Vorsaison, als Leverkusen der gesamten Konkurrenz enteilt ist?
Ja, wir werden sehen, wie Leverkusen jetzt in der zweiten Saison spielt. Es ist schon mal positiv, dass die Mannschaft zusammengeblieben ist, dass der Trainer geblieben ist und ich hoffe, dass sie ähnlich gut spielen. Und dass sich auch andere Mannschaften wieder aufdrängen. Klar ist aber, der FC Bayern ist immer noch der Nimbus der Liga. Und wenn Bayern mal nicht Meister wird, dann werden sie alles unternehmen, um in der Folgesaison wieder Titel zu holen.
Was trauen Sie ihrem Ex-Klub VfB Stuttgart zu? Schafft der Verein es, das Niveau zu halten oder droht nach prominenten Abgängen und der Mehrfachbelastung eher eine schwierige Saison?
Es wird spannend, auch wie sie die Abgänge wieder wegstecken. Vor der vergangenen Saison ist ja auch Wataru Endo gegangen und ein, zwei andere Leistungsträger. Konstantinos Mavropanos zum Beispiel. Das Beste ist einfach, dass das Spielsystem weiter so fortgeführt wird. Man muss einfach sehen, wie die Mannschaft das wegsteckt mit der Doppelbelastung. Die ein oder andere Niederlage wird bestimmt dazu kommen, auch wegen der vielen Spiele. Aber ich bin da relativ optimistisch.
Sie engagieren sich unter anderem im Bereich Ernährung, vor allem veganer Ernährung. Gibt es bei Ihnen Pläne, in Zukunft auch wieder einen aktiveren Part im Fußballgeschäft zu übernehmen oder sind Sie zufrieden, so wie es läuft?
Ich bin ja Markenbotschafter beim VfB. So wie es mir aktuell geht, geht es mir gut und ich bin zufrieden.
Zur Person
- Timo Hildebrand (45) ist ehemaliger deutscher Nationaltorwart. Für den FC Schalke 04, die TSG Hoffenheim und vor allem den VfB Stuttgart absolvierte er 301 Bundesligaspiele. 2007 wurde er mit Stuttgart Deutscher Meister. Für die deutsche Nationalmannschaft stand er siebenmal zwischen den Pfosten. 2021 eröffnete Hildebrand in Stuttgart mit zwei Kollegen das vegane Restaurant "Vhy!".
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.