Die deutsche Nationalmannschaft schreibt die Geschichte ihrer schleichenden Entfremdung von der Basis weiter fort, die ehemals wichtigste Mannschaft der Nation beschreitet einen gefährlichen Weg. Aber warum eigentlich?
Für den Deutschen Fußball-Bund war es aus Imagegründen wohl ganz gut, dass zum Spiel der Nationalmannschaft gegen Spanien in der vergangenen Woche in Stuttgart keine Fans zugelassen wurden. Früher wäre die Arena in Bad Cannstatt aus allen Nähten geplatzt, wenn die Spanier vorbeigeschaut hätten. Nun durfte man trefflich darüber spekulieren, ob in diesem Sommer das Stadion überhaupt zur Hälfte gefüllt worden wäre. Vermutlich eher nicht - was wiederum nicht nur daran gelegen hätte, dass in Baden-Württemberg noch Sommerferien sind.
Den Trend, die Stadien zu Hause leer zu spielen, hat die Corona-Pandemie vorerst gestoppt. Zuletzt spielte die deutsche Mannschaft im eigenen Land im letzten Herbst vor ausverkauftem Haus, damals hatte Gegner Niederlande rund 15.000 Anhänger mit nach Hamburg gebracht. Die Spiele danach, unter anderem gegen Argentinien in Dortmund, waren allesamt vergleichsweise dürftig besucht.
Die deutsche Nationalmannschaft steckt auch zwei Jahre nach dem großen Knall bei der WM in Russland in einer veritablen Krise. Von der damals im Rahmen der Aufarbeitung des Desasters beschworenen Aufbruchstimmung ist immer noch nichts zu spüren. Die wenig positiven Ergebnisse der Mannschaft sind dabei aber nur ein kleiner Teil der Erklärung. Dafür gibt es um das Team herum genug andere Störfeuer, die meisten davon selbst entfacht, und man darf durchaus die Frage stellen, wann denn nun ein gewisser Lerneffekt eintreten soll?
Fehler des DFB: Der Umgang mit den Fans
Nach der WM gab es genug Lippenbekenntnisse, unter anderem auch zum Thema Fannähe. Der "Fan-Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola", der sinnfreie Hashtag "zsmmn" oder die Kampagne "Best never Rest" eines damaligen Hauptsponsors waren die sichtbaren Auswüchse einer Marketingmaschinerie, durch die der "einfache" Fan den Bezug zur Mannschaft immer mehr verloren hat. Nicht umsonst sollte der Claim "Die Mannschaft" in den Monaten nach der verkorksten WM 2018 auch wieder verschwinden. Gehalten hat er sich bis heute.
Nun ist eine gewisse Fannähe derzeit körperlich überhaupt nicht umsetzbar, an offene Trainingseinheiten mit Zuschauern etwa ist nicht zu denken. Nach der großen Aufarbeitung vor zwei Jahren zeigte sich die Mannschaft auf Geheiß von ganz oben fannah, ein Jahr später verwässerte dieser erste Eindruck dann aber schon wieder. In der Vorbereitung auf zwei Pflichtspiele gegen Belarus und Estland verlegte der DFB sein Quartier ins niederländische Venlo. "Ich habe das für einen Aprilscherz gehalten. Der DFB kann doch nicht mehr Fannähe predigen und dann im Ausland wohnen - selbst wenn es nicht weit entfernt von der Grenze liegt", monierte der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts in einer Kolumne des Internetportals "t-online".
Eine emotionale Bindung zur Basis, den Fans und Millionen Amateurkickern, wäre auch auf andere Art herzustellen. Dafür ist kaum mehr nötig als ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand. Dazu steht dann aber ein Charterflug von Stuttgart nach Basel im krassen Gegensatz. Die Wahl des Reisemittels an sich war schon schlimm genug, die abenteuerlichen Erklärungsversuche danach machten den Fauxpas aber zu einem Politikum.
Diskussion um Reiseplan des DFB-Teams in die Schweiz
Aus Hygienegründen konnte die Mannschaft nicht mit dem Zug von Stuttgart nach Basel reisen, das leuchtet ein. Auf Rat der Mediziner wurde aber auch auf eine Busreise verzichtet, wegen der zu hohen Belastung der Spieler und der beeinträchtigten Regenerationszeit. Die Zeitspanne zwischen dem Spanien-Spiel und der geplanten Anreise nach Basel betrug 36 Stunden. Zeit genug eigentlich, um sich auszuruhen. Oder wie, glauben die Nationalspieler und ihre Verantwortlichen, reisen Eishockeyspieler nach einer Partie am Freitagabend durch die Nacht zurück? Oder die Fahrer der Tour de France zuletzt nach acht Etappen am Stück?
Kein Fan kann so etwas nachvollziehen. Bierhoff offenbar aber schon, also wurden in einer Erklärung ein paar schicke Schlagworte verpackt: "Wir können die kritischen Stimmen nachvollziehen und nehmen die entstandene Diskussion zum Anlass, uns zu hinterfragen, wie wir künftig die wichtigen Aspekte Umwelt und Nachhaltigkeit stärker in unseren Planungen und Entscheidungen berücksichtigen können. Aus Verantwortung gegenüber den Vereinen möchten wir auch alles von unserer Seite tun, damit die Spieler gesund zurückkehren."
Nach der Partie in der Schweiz wurde bekannt, dass der DFB eine beträchtliche Summe, rund 250.000 Euro, an die Deutsche Sporthilfe spenden wird. Da war die Debatte um die Anreise aber längst im Gang, und es bleibt das Gefühl, dass der Fettnapf immer erst voll erwischt sein muss, bevor eine Geste des guten Willens erfolgt.
Die Mannschaft als Produkt
Eines der ersten Spiele nach dem WM-Aus führte die Nationalmannschaft nach Sinsheim. Frankfurt sollte der eigentliche Spielort sein, wurde dann aber wieder verworfen. Angeblich, weil der damalige DFB-Präsident Reinhard Grindel die Befürchtung hegte, Frankfurter Ultras könnten kurz vor der Vergabe des EM-Turniers 2024 die deutsche Bewerbung mit negativen Bildern von Ausschreitungen oder Bengalos torpedieren. Das berichtete der "Spiegel" damals unter Berufung auf einen internen Mailverkehr der DFB-Spitze. Der Verband stellt dies anders dar. Immerhin Bierhoff gab damals offen zu, in Sinsheim lieber vor einem vollen Stadion spielen zu wollen als in Frankfurt vor halbleeren Rängen.
Diskussionen um hohe Eintrittspreise und späte Anstoßzeiten halten sich bis heute. Oft kann der DFB nichts dafür, so wie jetzt in der Nations League, in der die Anstoßzeiten klar geregelt sind. Das Problem bleibt aber, dass der Markt für das oft zitierte "Premiumprodukt" immer kleiner wird. Und was könnte es Schlimmeres geben für ein Premiumprodukt als des Desinteresse seiner Kunden? Also vertraute Bierhoff vor zwei Jahren noch darauf, dass mit besseren Ergebnissen der Mannschaft auch das Interesse der Fans wieder steigen würde. Ein Trugschluss, wie sich längst herausgestellt hat.
"Viele Dinge werden aus dem Zusammenhang gerissen. Da wird auch von Entfremdung gesprochen", sagte Bierhoff damals. Die TV-Quoten belegten, dass das Interesse weiter groß sei, die Emotionalität spreche für die Bindung der Fans. Die TV-Quoten am letzten Sonntag belegten allerdings so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Bierhoff sich wünscht.
Für eine zum Wirtschaftsunternehmen umfunktionierte Auswahl, das "Aushängeschild des Deutschen Fußball-Bundes" (Bierhoff), könnte es kaum einen gefährlicheren Trend geben. "Wir müssen weiter den Mut haben, die Mannschaft als Premiumprodukt zu positionieren", war sich der Teammanager noch im letzten Jahr sicher und betonte noch einmal, dass "das doch nicht heißt, dass wir den Boden unter den Füßen verlieren." Vielleicht ist aber genau das schon passiert.
Der Klub-Fußball mit seinen Millionen aktiven Fans hat einen emotional deutlich höheren Stellenwert als die Nationalmannschaft. Diesen Trend an sich wird der DFB nicht stoppen können. Aber er könnte ihn abmildern und seine wichtigste Mannschaft wieder ins Gedächtnis auch der Klub-Fans rufen. Aber dazu wäre mehr Authentizität notwendig und weniger Marketing-Sprech.
Die fehlende Reflexion beim DFB
Sobald die Kritik lauter wird, der Wind stark von vorne kommt, geht der DFB mit seinen Protagonisten in den Angriffsmodus über. Beispiele dafür gibt es genug, siehe zuletzt die öffentliche Missbilligung der Basel-Reise und die Reaktionen darauf aus dem Verband. Der DFB hätte sich ebenso auch einfach nur dafür entschuldigen können. Stattdessen wurden teilweise fadenscheinige Gründe vorgeschoben, die das Misstrauen nur noch verstärken.
Und wenn Bierhoff nun zu Recht anmerkt, dass es nicht sein könne, "dass es immer die Nationalmannschaft ist, die zurücksteckt", dann stimmt das im Bezug auf einen völlig überladenen Terminkalender zwar. "Es wird enorm wichtig sein für alle Beteiligten, die Spieler zu steuern, ihnen hier und da auch Pausen zu geben. Für uns ist die Weitsicht besonders wichtig, dass wir im nächsten Jahr bei der Europameisterschaft noch relativ frische Spieler haben, die nicht allzu kaputt sind", sagte er bei "Sport1".
Was Bierhoff aber verschweigt: Die Spieler werden nicht vom DFB bezahlt, sondern immer noch von den Klubs. Natürlich werden Stars auch immer noch bei den großen Turnieren gemacht, und die Verbände wollen daran partizipieren. Das Tagesgeschäft obliegt aber den Klubs, mit allen Risiken und Nebenwirkungen - und letztlich auch dem großen Reibach. Die Verbände geraten immer mehr in eine Nebenrolle, wollen dies aber offenbar nicht wahrhaben und wehren sich. Das allerdings ist ein aussichtsloses Unterfangen.
Verwendete Quellen:
- t-online: "Berti Vogts kritisiert DFB-Camp in Venlo"
- focus.de "Marcus Sorg zeigt sich vor Länderspielen gelassen"
- sport1.de "Spielplan-Zoff: Bierhoff stärkt Löw"
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