Der Tod von Franz Beckenbauer erschüttert die Fußballwelt. Olaf Thon war Teil der von Beckenbauer geführten Nationalmannschaft, die 1990 Weltmeister wurde. Auch beim FC Bayern wurde er vom Kaiser trainiert. Im Interview erzählt er aus der gemeinsamen Zeit und verrät, was für ihn das Besondere an Beckenbauer war.
Herr
Olaf Thon: Wir wussten natürlich darum, weil wir immer ein bisschen informiert wurden von seiner Frau Heidi. Sie stand regelmäßig mit Andreas Brehme,
Ich glaube, sie haben mit der Familie die richtige Entscheidung getroffen. Wir wussten also um die Situation, dass es ihm nicht gut geht. Deswegen waren wir jetzt nicht wirklich überrascht von der Nachricht. Aber wenn es dann passiert, ist man trotzdem sehr traurig.
Wann haben Sie
Oh, das ist schon länger her. Also ich glaube, ich habe vor eineinhalb Jahren mal kurz mit ihm gesprochen am Telefon, aber gesehen habe ich ihn relativ lange nicht. Ich weiß gar nicht, wann es genau war. Er hat sich dann doch sehr rar gemacht und da wollte ich auch nicht aufdringlich sein.
Olaf Thon über Franz Beckenbauer: "Er war eine Vaterfigur"
Sie beide haben eine sportliche Verbindung. Sie haben Ende 1984 unter ihm Ihr Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert. Welche Rolle hat Franz Beckenbauer dabei gespielt und wie hat er Sie aufgenommen in die Mannschaft?
Er hat mich ja zum zweitjüngsten Nationalspieler gemacht, nach Uwe Seeler damals. Das war schon eine besondere Berufung, weil es früher nicht so einfach war, in jungen Jahren nominiert zu werden. Das war schon ein kleiner Ritterschlag für mich und wir haben das Spiel gegen Malta mit 3:2 gewonnen. Ich habe ihn damals erstmalig kennengelernt, live und persönlich. Er war eine Vaterfigur, er war fast genauso alt wie mein Vater und da war er natürlich eine Respektperson, der man an den Lippen hing. Das Besondere war auch in der Zeit schon, dass er mit allen Menschen umging, so wie er selbst behandelt werden wollte. So hat er auch den Koch, den einfachen Angestellten und den Fan mitgenommen. Für jedes Autogramm stand er zur Verfügung und da konnte man sich eine Scheibe abschneiden.
1990 wurden Sie dann mit Franz Beckenbauer als Teamchef Weltmeister. Wie ist er Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben?
Er war sehr fokussiert und war immer sehr gut vorbereitet in der Videoanalyse, schon damals. Und er hatte auch gute Leute um sich. Außerdem hat er etwas ganz Wichtiges geschafft: Lothar Matthäus und Klaus Augenthaler waren nicht die besten Freunde. Aber Matthäus war der Kapitän und wurde von Franz Beckenbauer dort auch als verlängerter Arm gebraucht und hat das auch zurückgezahlt. Beckenbauer hat es sehr gut gemacht, dass Augenthaler mit seiner Position des Liberos hinten Matthäus unterstützte. Das hat Beckenbauer bravourös gemeistert. Gekaisert sozusagen.
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Man hatte von außen den Eindruck, dass Beckenbauer eine Entwicklung durchgemacht hat in seiner Rolle als Teamchef. Anfangs wirkte er eher noch ein bisschen dünnhäutiger und dann sozusagen weltmännischer und auch ausgeglichener. Haben Sie das auch so gesehen?
Ja, es war wirklich so, dass er dazugelernt hat. Bereits 1986 war es anders als 1984. 1986 hat er bei den Problemen, die es zwischen den Torhütern Uli Stein und Toni Schumacher gab, gelernt. Ich glaube, nach 1986 war er angekommen als Nationaltrainer. Er hatte keine Trainer-Vita im klassischen Sinne, aber durch seine Aura hat er vieles wettgemacht. Aber auch er brauchte ein paar Jahre. Nach der EM 1988 oder auch während der EM schon war er auf dem Höhepunkt seines Schaffens als Trainer und hat das dann 1990 vollendet. Danach hat er an Berti Vogts übergeben, der 1996 dann die Europameisterschaft gewonnen hat. Vogts hat jetzt auch etwas Tolles ins Spiel gebracht hat: dass der DFB-Pokal nach Franz Beckenbauer benannt werden sollte. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Ich habe mir da so noch keine Gedanken gemacht drüber, aber er hat das Höchste verdient, was man nur machen kann. Franz Beckenbauer muss in Verbindung gebracht werden mit dem deutschen Fußball und so eine Anerkennung ist schon mal eine gute Idee.
Sie haben gerade schon das Wort "Aura" genannt. Was war denn das Besondere an Franz Beckenbauer, auch wenn man mit ihm in einem Raum stand?
Es ist phänomenal. Sagen wir mal, man ist irgendwo im Raum und dann kommt Franz Beckenbauer durch die Tür. Man hatte das Gefühl, es ist eine Erscheinung und es ist ein bisschen mehr Licht im Raum. Da war eine Aura, da war Charisma, da war dieser Mann, der durch sein reines Auftreten, ohne etwas zu sagen, alles repräsentierte, was man nur haben konnte. Ähnlich war das auch bei Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem ehemaligen Teamarzt bei der Nationalmannschaft und dem FC Bayern. Wenn er einen behandelt hat, hat man richtig Wärme gespürt, obwohl er einen gar nicht berührt hat. Ich habe es am eigenen Leib gespürt. Ich glaube ja ansonsten nichts, aber diese beiden Menschen haben etwas ganz Besonderes. Die Ehre, mit Beckenbauer gearbeitet zu haben und für Deutschland den WM-Titel zu holen, ist eine schöne Erinnerung. Er ist der beste Fußballer der Welt, mit dem sich vielleicht fünf bis zehn einigermaßen messen können.
Auch beim FC Bayern haben sich Ihre Wege gekreuzt. Sie haben dort zwischen 1988 und 1994 gespielt, Beckenbauer war ab Ende 1991 Vizepräsident und dann in der Meister-Saison 1993/94 in der Rückrunde Interimstrainer. Wie haben Sie diese Zeit, in der Sie Beckenbauer als Vereinstrainer erlebten, in Erinnerung?
Das war schön, auch wenn es für mich eine eher schwierige Zeit war, weil ich nicht so richtig mithelfen konnte. Ich fiel damals mit einer Achillessehnenverletzung mehrere Monate aus. Franz Beckenbauer hat mich aber, wenn möglich, immer irgendwie zu Einsätzen kommen lassen und das hätte er nicht machen müssen. Auch da hatte er dieses Fingerspitzengefühl, mit einer Mannschaft umzugehen, sie funktionieren zu lassen, auch von der Menschlichkeit her.
Thon: "Wenn der Kaiser negativ gesprochen hat, war es kaiserlich"
Gab es auch kritische Momente?
Er hat auch mal negative Dinge angesprochen. Aber wenn der Kaiser negativ gesprochen hat, war es kaiserlich, es war nie unter der Gürtellinie, es war nie provozierend und abwertend. Man hat es ihm abgenommen und man hatte schon ein schlechtes Gewissen, wenn er einen mal zurechtgewiesen hat, was sowieso sehr selten vorkam. Ich erinnere mich an die Zeit, als er dann kurz als Trainer eingesprungen ist. Wir haben morgens immer vor dem Training geschnupft mit Raimund Aumann, Sepp Maier und Franz Beckenbauer. Wir haben dann die Schnupftabakdose herumgereicht. Das war zwar nicht gesund, wir haben das dann auch irgendwann wieder gelassen, aber es war damals gut für den Mannschaftsgeist.
Ihre Wege haben sich nach jener Saison getrennt. Sie kehrten zu Schalke 04 zurück. Gab es dann immer wieder noch Kontakt oder hat es sich auf die diversen WM-Jubiläumsfeiern beschränkt?
Es gab auch die Treffen in den Stadien im Alltag, dann bei Europa- und Weltmeisterschaften. Und ich habe hier ein Bild vor mir liegen, weil das so schön ist. Franz Beckenbauer war einmal auf Schalke bei Clemens Tönnies, da haben wir ein Benefiz-Spiel gemacht und der Kaiser war bei uns, als wir gegen die Tönnies-Auswahl gespielt haben. Weil er zu Tönnies immer einen sehr guten Draht hatte, war er auch dabei. Er hat zwar nicht gespielt, aber er ist mit auf dem Foto. Da sieht man auch, er war immer irgendwo da und man hat ihn ja auch wahrgenommen in den Medien und beim FC Bayern, wo er Ehrenpräsident ist. Wenn Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sagen, Beckenbauer ist der allergrößte beim FC Bayern, dann ist das mehr als ein Ritterschlag.
Zur Person
- Olaf Thon ist ein ehemaliger Fußballspieler. Der 57-Jährige absolvierte für den FC Schalke 04 und für Bayern München 443 Bundesligaspiele. Für die Nationalmannschaft, mit der er unter Teamchef Franz Beckenbauer 1990 Weltmeister wurde, bestritt er 52 Länderspiele.
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