Am heutigen Samstag wird Philipp Lahm 40 Jahre alt. Er ist inzwischen nicht nur Geschäftsmann, sondern hat sich seit seinem Rücktritt 2017 zu einem einflussreichen Funktionär entwickelt. Aktuell nimmt er eine der wichtigsten Rollen im deutschen Fußball ein. Und Lahm hat Großes vor.
Philipp Lahm ist zuversichtlich. Auch wenn er Großes vorhat. Sehr Großes. "Seine" EM 2024 soll nämlich nicht nur einfach "ein großes Fest" werden, wie er in dieser Woche im NRW-Landtag betonte. Ein Turnier als Aufbruchstimmung für den deutschen Fußball? Klar, aber da geht noch mehr. In Zeiten politischer und gesellschaftlicher Probleme ruft er das Turnier mal eben als Krisenhelfer aus. Als mögliche Lösung gar.
"Wir können zeigen, welche Werte uns wichtig sind: Demokratisch, freiheitlich zu leben. Wir haben die Möglichkeit, Deutschland, aber auch Europa zu stärken", sagte Lahm. War 2006 noch das Sommermärchen, das ganz Deutschland wachküsste, soll die EM 18 Jahre später am besten gleich ganz Europa einen.
"Dieses Turnier ist ein Aufruf für Solidarität und Fürsorge sowie für ein Wiedererstarken des europäischen Gedankens, um künftig besser den Krisen und Konflikten trotzen zu können", schrieb
"Europa und seine wichtigen Werte wie Demokratie und Freiheit, Vielfalt und Toleranz, Integration und Inklusion sollen dabei gestärkt und gefeiert werden", sagt Lahm. Er legt damit eine Fallhöhe fest, die nicht ohne ist. Doch das gehört wohl zum Plan. Denn klar: Das Turnier wird man auch immer mit ihm in Verbindung bringen, wie die WM 2006 mit
Akribisch bis ins letzte Detail geplant
Sicher ist: Lahm, der am heutigen Samstag 40 Jahre alt wird, geht diese Aufgabe so an, wie er seine komplette Karriere in Angriff genommen hat: Akribisch, bis ins letzte Detail geplant und zur Not auch berechnend. Kühl kalkuliert und fokussiert. "Ich bin ein ehrgeiziger Mensch. Da kann man nicht zufrieden sein, wenn man Zweiter wird", sagte Lahm dem "Spiegel". Und auch, dass ein Fußballer immer Stärke ausstrahlen müsse, denn Schwäche würden die Zuschauer nicht verzeihen. Deshalb war es ihm schon als Aktiver immer wichtig, alles im Griff, alles im Blick zu haben.
Wie 2009, als er den FC Bayern völlig untypisch öffentlich per reichweitenstarkem Interview kritisierte, um die Vereinspolitik zu verändern. "Ich hatte damals einen Vertrag über fünf Jahre bei Bayern", sagt Lahm, "und wollte nicht weggehen. Da musste ich schauen, dass sich was ändert." Es änderte sich was, Lahm blieb und schaffte es bei den Bayern bis zur Legende.
Insgesamt wurde er mit den Münchnern achtmal Meister, sechsmal DFB-Pokalsieger, dazu gewann er 2013 die Champions League. 113 Länderspiele bestritt er, in seinem letzten gewann er als Kapitän der Nationalmannschaft 2014 den WM-Titel. Die Binde hatte er seit der WM 2010 inne. Damals bekam er sie, weil Michael Ballack verletzt war, und er gab sie nicht mehr ab, weil er einen Machtkampf anzettelte, den er gewann.
Immer wieder Nadelstiche
Lahm hat solche Auseinandersetzungen nicht oft geführt, doch immer mal wieder setzte er Nadelstiche, sorgte für Schlagzeilen. Was für jemanden, der sich ansonsten durch die aktive Karriere nur so floskelte, ungewöhnlich war. Doch stets hieß es, dass die Rolle des perfekten Schwiegersohnes keine Fassade ist, denn Lahm gilt als anständiger Mensch.
Aber eben auch als einer, der weiß, was er will, und dementsprechend handelt. Und wenn er etwas wollte, dann meist mit Kalkül und ausgeklügeltem Plan. Denn so selten Lahm auf dem Fußballplatz patzte, so zielgerichtet versuchte er auch nach der Laufbahn, Fettnäpfchen oder Fehler zu meiden.
Das war er auch beim Ende seiner Karriere so. Er beendete sie 2017, zu seinen Bedingungen, nicht zu früh und erst recht nicht zu spät. "Der Abschied ist mir nicht schwergefallen, denn für mich hat alles im Leben seine Zeit", sagte er dem "Manager-Magazin". Auch in der Zeit danach wollte er nichts dem Zufall überlassen. "Ich wusste, dass nichts dergleichen nachkommen würde. Also habe ich versucht, mir positive Perspektiven und lohnende Aufgaben zurechtzulegen", sagte Lahm.
Lahm als Investor
Er stürzte sich in die Arbeit für seine Stiftung, die benachteiligten jungen Menschen dabei hilft, durch Ernährung und Bewegung gesünder zu leben. Daneben investierte er in Start-ups oder in gestandene Unternehmen, die zu seiner Stiftungsarbeit passen. Pflegemittelhersteller Sixtus sanierte und verkaufte er später, den Nahrungsmittelproduzenten Schneekoppe drehte er auf links.
Parallelen zum Fußball gibt es dabei durchaus. "Die Herausforderungen liegen nicht weit auseinander. Es geht immer darum, die Talente und Einsatzbereitschaft der einzelnen Beteiligten zu bündeln und ein gut funktionierendes Team herzustellen, in dem jeder seine Rolle findet und ausfüllen kann", sagte Lahm, der mit seinen Investments aber nicht nur erfolgreich war. Doch Rückschläge gehören dazu, die machen auch einen früheren Weltmeister nur besser. Denn Lahm lernt schnell.
Lahm schärft sein Profil
Das sieht man exemplarisch an seiner Arbeit als Funktionär. Eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist, da er sie so ähnlich ausfüllt, wie er als weltbester Außenverteidiger gespielt hat. Denn als Fußballer war er ein Teamplayer, kein Egomane, er setzte sich für das große Ganze ein, ohne böse zu foulen, allerdings ausgestattet mit einem gewissen Machtinstinkt, dafür aber weitgehend skandalfrei.
Das sind Zutaten, die Lahm als Sportpolitiker derzeit abhebt von denjenigen, die über die eigene, offenkundige Machtgier stolpern. Und was Lahm schon etwas länger ganz gut gelingt: Er schärft sein Profil. So legt er beim DFB die Finger in die Wunde, sagte in der "Süddeutschen", dass man nach 2014 "ein bisschen bequem geworden" sei. "Zur Wahrheit gehört, dass der ganze DFB in den letzten zehn Jahren sehr mit sich selbst beschäftigt war. Jedenfalls hat man den Moment verpasst, an dem man sportlich mal wieder etwas Neues hätte anstoßen müssen. Der DFB muss seine ureigenste Aufgabe wieder in den Griff bekommen: Er muss wieder mehr für seine Mitglieder und Vereine da sein und für die ganz normalen Leute arbeiten", sagte Lahm.
In seiner Kolumne für die englische Zeitung "The Guardian" kritisierte er zudem das Gehalt des neuen Bundestrainers Julian Nagelsmann: "Hansi Flick soll in seiner Zeit als Bundestrainer 6,5 Millionen Euro im Jahr verdient haben, Nagelsmann soll für die gleiche Arbeit 4,8 Millionen Euro im Jahr bekommen. Das ist nicht gut, das ist zu viel Geld." Sein Vorschlag: "Mehr als 2 Millionen Euro im Jahr sind nicht nötig." Deutlich wird: Lahm positioniert sich, deutlicher als früher, aber in der Wortwahl immer noch vergleichsweise bedächtig.
Was kommt nach der EM?
Lahm bekommt so den Spagat, Profil zu zeigen, ohne den falschen Leuten zu feste auf die Füße zu treten, gut hin. So gut, dass man sich fragt: Wann folgt die Rückkehr zu seinem FC Bayern? 2017 lehnte er den Job des Sportdirektors noch mit Verweis auf den falschen Zeitpunkt ab, zuletzt teilte er immer mal wieder mit, dass er wegen der EM aktuell nicht zur Verfügung stehe.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ihm Uli Hoeneß 2017 "noch zu tatkräftig" war, "um loszulassen". Tatkräftig ist Hoeneß heute immer noch. Doch wer weiß, was nach der EM 2024 passiert, wenn Lahm sein Meisterstück absolviert hat. Welche Aufgaben er dann angehen will. Fest steht: Lahm wird auch dann nichts dem Zufall überlassen.
Verwendete Quellen:
- theguardian.com: Nagelsmann is the right choice but the Germany manager is paid too much
- manager-magazin.de: Philipp Lahm: "Ich wusste, dass nichts dergleichen nachkommen würde"
- spiegel.de: Der perfekte Philipp Lahm
- kicker.de: Lahm: "Es ist Zeit für eine Zeitenwende"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.