In Bremen entdeckt der Video-Assistent ein eindeutiges Abseits, das alle anderen übersehen haben. In München wird ein Strafstoß einfach ohne Freigabe des Schiedsrichters ausgeführt. In Wolfsburg steht ein ungeschriebenes Gesetz mit dem Videobeweis in Konflikt.
In Bremen war beim Spiel des SV Werder gegen den 1. FC Nürnberg (1:1) knapp eine Stunde gespielt, da ereignete sich ein regeltechnisches Kuriosum, das zuerst niemandem auffiel. Am Ende sorgte es jedoch für erstaunte Gesichter.
Beim Stand von 1:0 für die Hausherren schlugen die Gäste den Ball bei einem Freistoß aus dem Mittelfeld hoch und weit in den Bremer Strafraum. Dort liefen die beiden Nürnberger Georg Margreitter und Mikael Ishak zur Kugel, Ishak erreichte sie schließlich und köpfte sie kurz vor der Torauslinie zurück ins Feld.
Der Ball traf den unmittelbar daneben positionierten Margreitter und prallte von dessen Oberkörper ab. Ishak nahm ihn wieder an und flankte ihn erneut in den Sechzehnmeterraum. Dort stand Ondrej Petrak und schob den Ball ins Tor. Keiner protestierte, keiner hatte eine Regelwidrigkeit gesehen. Außer Sascha Stegemann.
Nur der Video-Assistent hat das Abseits bemerkt
Der saß als Video-Assistent in Köln vor dem Monitor und überprüfte in dieser Funktion die Torerzielung inklusive ihrer Entstehung. Dabei stellte er fest, dass Ishak in dem Moment, als Margreitter den Ball berührte, der gegnerischen Torlinie deutlich näher war als der Ball und der vorletzte Gegenspieler.
Mit anderen Worten: Er befand sich klar im Abseits. Und dieses Abseits wurde strafbar, als er die Kugel erneut spielte. Dass Margreitter den Ball nicht absichtlich zu Ishak gelenkt, sondern ihn nur unkontrolliert abgefälscht hatte, war regeltechnisch ohne Belang. Auch die Spielrichtung des Balles ist beim Abseits entgegen einer weit verbreiteten, anders lautenden Annahme unerheblich.
Allerdings war das Zustandekommen von Ishaks Abseitsstellung ungewöhnlich und widersprach den Sehgewohnheiten deutlich. Das dürfte der Grund gewesen sein, warum kein Bremer sich beschwerte und zudem weder der gut pfeifende Schiedsrichter Daniel Schlager bei seiner Premiere in der Bundesliga noch sein Assistent an der Seitenlinie einen Verdacht schöpfte.
Erst dem Video-Assistenten fiel das Abseits auf. Und da es in die Angriffsphase fiel, an deren Ende die Torerzielung stand, konnte und musste das Abseits geahndet und der Treffer annulliert werden.
Warum der Leverkusener Elfmeter wiederholt wurde
Nicht alltäglich war es auch, was sich in der Münchner Arena zu Beginn der Begegnung zwischen dem FC Bayern und Bayer 04 Leverkusen (3:1) zutrug. Bereits in der zweiten Minute sprach der Unparteiische Tobias Welz den Gästen zu Recht einen Elfmeter zu, nachdem Thiago den Ball bei einer Grätsche im eigenen Strafraum mit ausgestrecktem Arm gespielt hatte.
Der wahre Grund war allerdings ein anderer: Ein Strafstoß muss zwingend mit einem Pfiff freigegeben werden, und den hatte Volland nicht abgewartet. Erfolgt der Schuss aber schon vor diesem Signal, dann wird der Elfmeter in jedem Fall wiederholt.
Beim zweiten – und erfolgreichen – Leverkusener Versuch trat jedoch nicht mehr Volland an, sondern Wendell. Ein solcher Wechsel des Schützen ist selten, aber erlaubt.
Denn in der Regel 14 (Strafstoß) steht nichts davon, dass sich im Falle der Wiederholung eines Elfmeters derselbe Spieler erneut versuchen muss. Festgelegt ist lediglich, dass der Schütze vor der Ausführung "klar bestimmt" sein muss. Das heißt: Es muss für jeden zweifelsfrei zu erkennen sein, wer den Strafstoß schießt.
Ungeschriebene Gesetze neben den Regeln
Auch in Wolfsburg gab es in der Partie des VfL gegen Hertha BSC (2:2) beim Stand von 0:1 einen Elfmeter, anders als in München allerdings sehr spät im Spiel und außerdem für die Hausherren. Das Besondere an ihm war, dass Schiedsrichter Christian Dingert zunächst auf Freistoß erkannt hatte, dann jedoch sein Video-Assistent eingriff.
Denn der Zweikampf zwischen dem Berliner Arne Maier und
Schließlich heißt es in der Regel 12 (Fouls und unsportliches Betragen): "Ein Strafstoß wird gegeben, wenn ein Spieler innerhalb des eigenen Strafraums […] ein Vergehen begeht, das mit einem direkten Freistoß geahndet wird."
Da aber jede Sportart neben den geschriebenen Gesetzen auch ihre ungeschriebenen hat, ist die Sachlage ein wenig komplexer. Zu den ungeschriebenen Gesetzen des Fußballs gehört es beispielsweise, dass die Schiedsrichter im Strafraum etwas großzügiger sind, wenn es um die Beurteilung des Zweikampfverhaltens der verteidigenden Mannschaft geht.
Der Schiedsrichter hatte keine andere Wahl
So mancher Körpereinsatz, der außerhalb des Sechzehnmeterraums einen Freistoß für den Gegner nach sich ziehen würde, bleibt im Strafraum ungeahndet. Der Grund dafür ist simpel: Ein Strafstoß ist eine schwerwiegende Entscheidung, weil sie mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Tor führt.
Deshalb lassen die Referees das Spiel in Grenzfällen häufig weiterlaufen. Diese Regelauslegung ist weithin akzeptiert, kaum jemand wünscht sich eine strengere Praxis.
Es ist unklar, ob Christian Dingert den misslungenen, in einem Rempler mündenden Versuch von Maier, das Kopfballduell gegen Arnold zu gewinnen, auch dann als Foulspiel bewertet hätte, wenn ihm sofort klar gewesen wäre, dass er im Strafraum stattgefunden hat.
Nachdem ihm der Video-Assistent mitgeteilt hatte, wo es zum Zweikampf gekommen war, hatte er jedenfalls keine andere Wahl, als auf Strafstoß zu entscheiden. Denn zu prüfen hatte der Video-Assistent nur, ob der Ort des festgestellten Vergehens im Strafraum lag - und das war eindeutig der Fall.
Zudem war es keine klare und offensichtliche Fehlentscheidung, in Maiers Körpereinsatz eine Regelübertretung zu sehen. So wurde im Spannungsfeld zwischen ungeschriebenem Gesetz und unauslegbarer Vorschrift aus einem Kann-Freistoß letztlich ein sehr harter Elfmeter. Auch das ist irgendwo: kurios.
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