Fußballspiele werden aus Sicherheitsgründen abgesagt oder abgebrochen. Fans erklären den Verbänden den Krieg. Die Situation in den deutschen Stadien droht zu eskalieren.
Dramatische Szenen ereigneten sich am Samstag beim Testspiel zwischen dem englischen Erstligisten Burnley und dem Bundesligisten Hannover 96.
Kurz vor der Halbzeit wollten mehrere Hundert Hannover-Randalierer den Burnley-Block stürmen. Die Partie wurde abgebrochen.
Die Ausschreitungen in der Ferne hatten ihre Ursache in der Heimat: Bei den Anhängern von Hannover 96 entsteht Widerstand, weil Klubboss Martin Kind 51 Prozent des Traditionsvereins übernehmen darf und somit praktisch zum Alleinherrscher wird.
Vielen Fans ist das ein Dorn im Auge – genau wie die gesamte Kommerzialisierung des Fußballs. Droht uns nun eine Eskalation seitens der Fan-Szene?
Fans befürchten die Kommerzialisierung des Fußballs
Tatsache ist: Einige Spiele mit deutschen Profivereinen gelten mittlerweile als Sicherheitsrisiko.
In der Saisonvorbereitung hat die österreichische Polizei mehrere Testspiele deutscher Klubs wegen möglicher Ausschreitungen abgesagt.
Und wenn am Wochenende die 1. Runde des DFB-Pokals ansteht, gibt es mit den Partien Hansa Rostock gegen Hertha BSC und BFC Dynamo gegen FC Schalke 04 gleich zwei sogenannte "Hochsicherheitsspiele".
Die Wut vieler Fans richtet sich gegen die Fußball-Verbände DFB und DFL.
"Die Fans sehen die Verbände als eine Treibkraft der Kommerzialisierung des Fußballs", sagt der Fan-Forscher Dr. Gabriel Duttler vom Institut für Sportwissenschaft Würzburg im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Die Fans werfen den Verbänden vor, dass die ökonomischen Aspekte höhere Priorität genießen als die Tradition und die Fankultur."
Die Vorwürfe sind vielfältig: Die Ablösesummen explodieren, Fußballspiele werden zum Event für die Oberschicht, Fernsehsender bestimmen die Anstoßzeiten, Fußball verschwindet aus dem Free-TV, die Profis rennen nur noch dem Geld hinterher, es existiert keine Vereinstreue mehr.
Kampfansage der Fußballfans
Der Ruhrpott-Rapper M.I.K.I. ließ seiner Wut in dem Song "Krieg dem DFB" freien Lauf. Offenbar steht er mit seinen Empfindungen nicht alleine da: Der Clip wurde mehr als 345.000 Mal aufgerufen.
Fußball hat für viele Menschen eine existenzielle Bedeutung.
Duttler erklärt: "Die 90 Minuten am Wochenende sind für manche Menschen das Highlight, auf das sie die ganze Woche hinarbeiten. Das ist ein zentraler Lebensinhalt. Deshalb kämpfen sie gegen jede Bedrohung ihrer Fankultur an. Das ist eine Art Überlebenskampf, der teilweise in Gewalt umschlägt."
Das Problem ist: Es sind nicht nur einzelne Randalierer, die Wut empfinden. Bei einigen Vereinen scheint ein kompletter Fanblock so zu denken.
Ein Beispiel: Im Mai marschierten rund 2000 Anhänger des Zweitligisten Dynamo Dresden bei einem Auswärtsspiel im Militär-Look auf. Auf einem Spruchband standen die Worte: Krieg dem DFB!
Reinhard Grindel: "Krieg hat im Fußball nichts verloren"
Hans-Joachim Watzke, der Vereinsboss von Borussia Dortmund, blickt pessimistisch in die Zukunft. "Ich glaube, dass es die Tendenz gibt, dass die Ultra-Szene stärker zusammenrückt", sagte er gegenüber der Bild-Zeitung.
Der Geschäftsführer verurteilt Gewalt und Ausschreitungen, zeigt aber dennoch Verständnis für die aufkommende Kritik: "Die Gemengelage im Weltfußball macht es uns nicht leicht, zu argumentieren. Ich kann nicht sagen, dass mir da alle Entwicklungen gefallen."
DFB-Präsident Reinhard Grindel ist von dem aufkommenden Hass empört und sagt in der "Bild": "Der Begriff Krieg hat im Fußball nichts verloren. Kaum eine deutsche Stadt wurde durch den Krieg so getroffen wie Dresden. Wenn ausgerechnet aus Dresden dem DFB der Krieg erklärt wird, ist das geschichtslos und macht uns sehr betroffen."
Auch Trainer-Legende Peter Neururer ist besorgt, möchte aber nicht alle Fans über einen Kamm scheren. "Wir haben kein Fan-Problem. Wir haben ein Problem mit Kriminellen, die sich hinter Fans und Ultras verstecken", sagte er gegenüber n-tv.de.
"Das ist kein Problem des Fußballs, sondern ein gesellschaftliches Problem. Die Vorfälle um den G20-Gipfel in Hamburg haben das gezeigt", so Neururer.
Höhere Strafen als Lösung?
Erschwerend kommt hinzu, dass Randalierer in den Stadien nur selten zur Rechenschaft gezogen werden. Zeugen aus der Fankurve sprechen häufig nicht mit der Polizei.
Auch die Videoaufzeichnungen geben kaum Aufschluss, weil sich die Täter vermummen. Mögliche Sanktionen, wie zum Beispiel die Übernahme der Pyro-Geldstrafen des DFB, werden daher nur selten ausgesprochen.
Wohingegen es bei Stadionverboten oftmals an einer klaren Linie fehlt und der Ausschluss aus der Fankurve somit auch mal die Falschen trifft.
Ein Umstand, den auch Köln-Manager Jörg Schmadtke in der Rheinischen Pos kritisiert und sich eher eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Fans und Verband wünscht:
"Die Kritik an DFB und DFL ist ein grundlegendes Problem, das man sehr ernst nehmen muss. Und durch die unterschiedlichen und nicht immer nachvollziehbaren Strafmaße, die der DFB verhängt, wird die Stimmung nicht besser."
Sicher scheint somit bislang nur eins: Es muss etwas geschehen. Denn sollte die Gewalt zunehmen, hätte der gesamte Fußball verloren.
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