- Die WM 2022 ist nicht das erste Sportereignis, das Katar ins Land geholt hat.
- Beim kontroversen Umgang mit dem Wüstenstaat haben sich Verbände in der Vergangenheit nicht immer mit Ruhm bekleckert.
- Aber: Es ist Besserung in Sicht, sagt Sportpolitik-Experte Jürgen Mittag im Gespräch mit unserer Redaktion.
Lewis Hamilton war ziemlich alleine. Der Formel-1-Rekordweltmeister ließ sich aber trotzdem nicht beirren. Er legte den Finger in die Wunde. "Wenn der Sport an diese Orte geht, ist er verpflichtet, das Bewusstsein für die Probleme zu schärfen", sagte Hamilton im vergangenen Jahr. "Diese Orte müssen genau untersucht werden. Gleichberechtigung ist ein ernstes Thema."
"Diese Orte" – damit meinte
Rampenlicht als Schub für Veränderung in Katar?
"Ich glaube, dass das Rampenlicht, das wir mitbringen, für den Willen und die Wünsche zur Veränderung, die diese Länder schon zeigen, von Vorteil sein wird", sagte Formel-1-Chef Stefano Domenicali: "Ich glaube nicht, dass der Ausschluss von Ländern und die Aussage, dass wir nicht da sein wollen, dazu beitragen wird, dass sich die Situation verbessert." Selbstredend, dass der Chef des Fußball-Weltverbandes (Fifa) an dem Rennwochenende im November 2021 in die Kameras lächeln und Werbung für seine ganz eigene Großveranstaltung machen durfte, die WM 2022.
Fifa-Präsident Gianni Infantino betont immer wieder, wie wichtig sein Turnier für die Entwicklung in Katar sei. "Katar ist zu einem wichtigen Zentrum der Welt geworden. Nicht nur wegen der Weltmeisterschaft, doch die Weltmeisterschaft hat sicher dazu beigetragen, Katar international in den Blickpunkt zu rücken. Und vieles hat sich geändert", sagte er beim World Innovation Summit for Health 2022 in Doha.
Fakt ist: Die WM 2022 und die Formel 1 sind nicht alleine. Die Leichtathletik-WM fand 2019 in Katar statt, die Handball-WM 2015 oder die Klub-WM 2019 und 2020. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Im Grunde fehlen nur noch die Olympischen Spiele. "In Katar hat in den letzten 30 Jahren im Grunde jede denkbare Sportveranstaltung stattgefunden. Katar beabsichtigt, einen strukturellen Wandel in die Wege zu leiten, will sich positionieren, strategisch und politisch", sagt Jürgen Mittag vom Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung der Deutschen Sporthochschule in Köln im Gespräch mit unserer Redaktion.
Keine Trennung von Sport und Politik möglich
Dabei haben sich die einzelnen Verbände in der Vergangenheit ganz unterschiedlich positioniert. Oft wurde versucht, Sport und Politik zu trennen, obwohl beide Bereiche in vielen Facetten längst zusammengehören. Und oft genug wird mit Sport immer noch jede Menge Politik gemacht. "Man hat das durchaus realisiert, man versucht aber, das Bild weiter aufrechtzuerhalten", erklärt Mittag.
Die Strategie ist tatsächlich ein vorsichtiges Taktieren: Die Verbände haben in der Vergangenheit versucht, sich so wenig wie möglich auf politische Fragen einzulassen, im Grunde nur dort, wo es unumgänglich war. Und dann in einer Form, in der man den Ausrichter nicht brüskieren, gleichzeitig aber auch nicht vollständig ignorant gegenüber Menschenrechten erscheinen wollte. Der damalige DHB-Vizepräsident Bob Hanning hatte vor der Handball-WM erklärt, man werde sich mit Äußerungen zum Gastgeber zurückhalten. "Das heißt nicht, dass wir politisch uninteressiert sind, aber unser Kerngeschäft ist Sport. Um Politik zu machen, haben wir eine Regierung gewählt", sagte er.
Klar: Die nicht qualifizierten deutschen Handballer durften überhaupt erst wegen einer durch den Weltverband ausgehändigten Wildcard mitmachen – Kritik am Gastgeber wirkt dann undankbar. Eine Farce war auch das von Legionären gespickte Team der Gastgeber. Platz zwei wiederum war der beste Beweis, dass man sportlichen Erfolg kaufen kann. Das alles wirkte geradezu grotesk inmitten der Diskussionen um Verstöße gegen Menschenrechte und Tote auf den Baustellen in dem Wüstenstaat.
Auch die Leichtathletik-WM lieferte problematische Bilder, die unterstrichen, wie unpassend ein Marathon oder 50 Kilometer Gehen bei über 30 Grad und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit sind. Der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes war trotz heftiger Kritik mit der Veranstaltung in Doha zufrieden. "Ich kann mich nicht an eine Weltmeisterschaft erinnern, die auf diesem Niveau war", sagte Sebastian Coe. Die Athleten würden die Kritik nicht teilen, "sie freuen sich sehr, hier zu sein", so der ehemalige Weltklasseläufer.
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Verbände haben gelernt
Eine differenzierte Auseinandersetzung sieht anders aus. Doch Besserung ist in Sicht. "Je näher man an die Gegenwart herankommt, desto sensibler haben sich die Veranstalter verhalten", sagt Mittag. Der Sportpolitik-Experte bestätigt, dass die Sportverbände aus den Fehlern der Vergangenheit erheblich gelernt hätten. "Die Fifa hat gelernt, dass man sich mit der fahrlässigen Vergabe in schwieriges Fahrwasser begeben hat", sagt Mittag, der glaubt, dass die Vergabepolitik in Zukunft eine andere sein wird, "um mit diesen Problemen in der Form wie jetzt nicht mehr konfrontiert zu werden". Das Turnier 2026 soll in den USA, Kanada und Mexiko stattfinden. Für 2030 steht der Gastgeber noch nicht fest.
Hinzu kommt: Menschenrechtsfragen werden inzwischen konkret ausgearbeitet. "Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat Menschenrechtsstrategien vorgelegt, mit denen eine deutliche Positionierung zum Ausdruck kommt. Das Thema ist auf der Agenda der internationalen Sportverbände angekommen und wird dementsprechend behandelt", bestätigt Mittag.
Sport ist kein Allheil-, aber ein gutes Mittel
Keine Frage: Der Sport kann bei den komplizierten Problemen und kontroversen Diskussionen kein Allheilmittel sein, er kann die Probleme vor Ort nicht lösen, er sollte aber die Chance nutzen und sie ansprechen und dabei die eigene Wucht und Aufmerksamkeit nutzen. "Denn Sport kann in ganz erheblichem Maße zu einer Sensibilisierung und zu einer Veränderung von Strukturen beitragen", sagt Mittag. Wichtig ist dann, dass Leute wie Lewis Hamilton in Zukunft nicht mehr alleine sind.
Verwendete Quellen:
faz.net: DHB-Vizepräsident Hanning: WM-Halbfinale wäre ein Traum
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