Frankreich ist im Jubeltaumel. Der historischen Erfolg im WM-Finale gegen Kroatien bringt der Fußball-Nation neues Selbstbewusstsein. Doch das kann nicht über gesellschaftliche Herausfordeurngen hinwegtäuschen.
Was Fußball nicht alles möglich macht: Frankreich erlebt einen Moment kollektiver Leichtigkeit, nach dem es sich lange gesehnt hat. Im Land, in dem die Erinnerungen an die schweren islamistischen Terroranschläge der vergangenen Jahre noch wach sind, treibt nun überschäumende Freude die Menschen auf die Straßen.
Ein Sommermärchen à la française: Hunderttausende feiern am Montag die Nationalmannschaft auf der Pariser Prachtstraße Champs-Élysées. Der offene Doppeldeckerbus der "Équipe nationale" wird von Polizisten im Laufschritt begleitet. Über dem kilometerlangen Boulevard liegt der Dunst von Rauchfackeln. Menschen schwenken blau-weiß-rote Nationalflaggen, in der ganzen Stadt hupen Autos.
Genugtuung und Zuvesicht
"Paris ist wieder ein Fest", bilanzierte die Zeitung "Libération" schon nach dem 4:2-Sieg gegen Kroatien am Sonntag. An einem großen Hauptstadt-Kino prangt der Spruch "On est les champions" (etwa: "Wir sind die Champions"). "Wir kommen alle ins Paradies, und die Blauen öffnen uns die Tore", jubelt die Zeitung "Le Parisien". "Die Blauen" ("les Bleus") ist der Spitzname des französischen Teams.
Franzosen sind zwar generell nicht verlegen, die Nationalhymne "Marseillaise" anzustimmen. Doch im Weltmeisterschafts-Jubel schwingt auch ein Gefühl der Genugtuung und der Zuversicht mit. Denn das hoch verschuldete Land mit vielen Arbeitslosen und trostlosen Vorstädten machte in den vergangenen Jahren eher durch Pessimismus von sich reden. Die "Grande Nation" schien ein Auslaufmodell zu sein.
Empfang im Élyseepalast
Nun ist wieder ein neues Selbstbewusstsein zu spüren - man trägt "bleu-blanc-rouge". Das Sonntagsblatt "Le Journal du Dimanche" hob schon vor dem WM-Sieg "Das Frankreich, das gewinnt" auf seine Titelseite. Demnach steht das Land in vielen Bereichen gut bis bestens da: vom Erfolg der großen Luxuskonzerne über die den Tourismus (Weltmeister) bis hin zum neuen Vertrauen der Wirtschaft.
Frankreichs junger Präsident Emmanuel Macron versucht, von diesem Trend zu profitieren. Er bejubelte die "Équipe nationale" in Russland: "Ihr habt ganz Frankreich zum Träumen gebracht", rief der 40-Jährige den Fußballern nach dem 4:2-Sieg gegen Kroatien zu. "Ihr seid jetzt ein Beispiel für viele Jugendliche." Am Montagabend empfing er dann an der Seite seiner Frau Brigitte die Fußballhelden im Élyseepalast.
Macron hofft auf Auftrieb
Der Triumph kommt für den sozialliberalen Staatschef zur rechten Zeit, denn sein Stern droht im Land zu verblassen. Die Ergebnisse der Reformpolitik des seit gut einem Jahr regierenden Präsidenten sind laut Beobachtern für viele Bürger schlecht zu fassen. Seine ehrgeizigen Pläne für ein neu aufgestelltes Europa lassen sich wegen Erfolgen rechter und populistischer Parteien in anderen Ländern zur Zeit kaum verwirklichen.
Noch vor einem Jahr rief Macron selbstbewusst seinen Zuhörern den Slogan "France is back" entgegen - "Frankreich ist zurück". Er versuchte, mit den Mächtigen der Welt direkt zu verhandeln, ob mit seinem US-Amtskollegen Donald Trump oder mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Der frühere Investmentbanker nutzte seinen Russland-Besuch für ein Treffen mit Putin - die Frage ist, ob sich das angespannte Verhältnis der beiden Staatschefs nun bessert.
Herausforderungen der Zukunft
Es ist auf jeden Fall mehr als zweifelhaft, dass ein kurzes Bad der Euphorie und die Einheit beim Jubel die tiefen Spaltungen der französischen Gesellschaft kittet. "Es gibt noch viel zu tun", bilanzierte die italienische Zeitung "Corriere della Sera" nach dem grandiosen Finale von Moskau. Die französischen Vorstädte, die vor Glück explodiert seien, "können morgen früh vor Wut wieder explodieren", lautet die Vorhersage aus Italien.
Das Fußball-Team mit zahlreichen Spielern mit Migrationshintergrund wird auch als Abbild der französischen Gesellschaft gesehen. "All das macht Frankreich und seinen Reichtum aus. Ob es einem gefällt oder nicht, diese Nationalmannschaft ist auch ein Spiegelbild und dieses Bild der Gemeinschaft, das sie uns zeigt, ist erfreulich", bilanziert die Regionalzeitung "Dernières Nouvelles d'Alsace".
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Das erinnert an 1998, als das französische Team unter dem Slogan "black-blanc-beur" (schwarz-weiß-arabisch) zum Inbegriff eines Multi-Kulti-Frankreichs erklärt wurde. Allerdings mahnen diesmal viele Beobachter zur Zurückhaltung, die Mannschaft allzu sehr politisch aufzuladen.
"Dieses französische Team ist schön und vereint", sagte Digital-Staatssekretär Mounir Mahjoubi dem Sender France Inter. "Und wir haben nicht 1998, wir feiern nicht mehr black-blanc-beur. Wir feiern das Team Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit - und dieses Wort Brüderlichkeit bekommt mit der Diversität der Leute darin seinen ganzen Sinn." (mc/dpa)
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