Kaum ein anderer weiß besser, wie man Weltmeister wird. Der Elfmeter-Held von 1990, Andreas Brehme, wird exklusiv für unser Portal die Spiele der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2014 in Brasilien als Experte begleiten. Im Interview gibt Brehme einen ersten Ausblick auf das kommende Fußballfest.
Herr Brehme, am Donnerstag beginnt die WM 2014 in Brasilien – schon aufgeregt?
Andreas Brehme: Naja. Ich finde, es fehlt im Moment so eine WM-Euphorie. Auch gerade hier in Deutschland. Im Moment merkt man noch nicht, dass überhaupt eine WM gespielt wird.
Sie haben im Interview mit der dpa gesagt, dass Sie Deutschland zutrauen würden, weit zu kommen - vielleicht sogar Weltmeister zu werden - wenn alles passt. Viele Deutsche sind da nicht so optimistisch.
Das ist nur verständlich. Ich habe ja ein bisschen Angst um die Abwehr. Und außerdem haben wir nur einen Stürmer dabei. Ich weiß auch nicht, wie der Jogi spielen lassen will. Wie es aussieht, spielen wir ja mit einem verkappten Mittelstürmer. Aber ich war schon etwas enttäuscht, dass Kevin Volland zu Hause geblieben ist.
Bei der deutschen Nationalmannschaft gibt es noch einige Baustellen. Wo drückt der Schuh am meisten?
Die Spieler müssen viel mehr Verantwortung übernehmen. Es kommt mir manchmal so vor, als bestünde die Mannschaft aus Taubstummen. Das gibt es kein Aufbäumen, keinen, der mal das Wort ergreift. Aber auch hinten im Abwehrbereich hat man gesehen, dass die Testspielgegner zu der ein oder anderen Torchance gekommen sind. Und das wird bei einer WM natürlich sofort rigoros bestraft.
Auch das WM-Aus von Marco Reus schmerzt natürlich. Aber kann seine Verletzung der Mannschaft vielleicht sogar einen extra Motivationsschub geben?
Motiviert müsste die ganze Mannschaft sowieso sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur weil einer ausfällt, das Team extra motiviert ist. Irritiert hat mich allerdings die Nachnominierung.
Shkodran Mustafi.
Mir geht es hier gar nicht um den Spieler. Aber wenn ein Stürmer ausfällt, dann hätte ich schon erwartet, dass Jogi Löw Kevin Volland nachnominiert. Aber so denken ja viele.
Können Sie sich vorstellen, warum Jogi Löw so eine Entscheidung trifft?
Keine Ahnung. Angeblich hat er das ja mit seinem ganzen Stab abgestimmt, was man ja auch so macht. Aber ich kann das nicht verstehen.
Auch über Mesut Özil wurde vor allem nach dem Testspiel gegen Kamerun viel gesprochen. Vor allem seine Körpersprache wird oft kritisiert.
Ja, seine Körpersprache ist gleich null.
Würden Sie ihn aufstellen?
Man muss erst sehen, ob die anderen rechtzeitig fit werden. Denn zu der Leistung, die Özil jetzt abgeliefert hat, muss man eindeutig sagen: Das war nichts. Wenn man bei Real Madrid gespielt hat und beim FC Arsenal spielt und dann zur Nationalmannschaft kommt, dann muss man eine Vorbildfunktion haben. Und die vermisse ich im Moment.
Im Testspiel gegen Armenien lief es in der zweiten Halbzeit ganz gut für die Nationalmannschaft. Hat sie das für die WM etwas positiver gestimmt?
Das Spiel kann man nicht in die Waagschale legen. Man hat ja auch gesehen, wie sie in den ersten 60 Minuten gespielt haben. Das war wieder nichts. Und die späten Tore darf man nicht als Maßstab nehmen. Jetzt am 16. Juni geht es los. Vorher nicht.
Wenn wir ein bisschen träumen und sagen, Deutschland steht im WM-Finale. In der Nachspielzeit gibt es einen Elfmeter. Sehen Sie einen Spieler in der DFB-Elf, der in Ihre Fußstapfen treten könnte? Der also, flapsig ausgedrückt, die Eier hat, sich den Ball zu schnappen und zu versenken?
Ich glaube schon, dass ein Kapitän wie Philipp Lahm oder auch ein Bastian Schweinsteiger sich da den Ball schnappen.
Sehen Sie einen deutschen Spieler, der zum Star der WM werden könnte - wie Thomas Müller 2010 zum Beispiel?
Puh, wer könnte das werden ... im Moment ist das wirklich schwierig. Da sticht im Moment keiner raus. Die deutsche Mannschaft muss auf das Kollektiv setzen.
Kommen wir noch einmal auf die fehlende Euphorie zu sprechen. Kann es sein, dass es ein Vorteil für die Mannschaft ist, dass der Erfolgsdruck in diesem Jahr so niedrig ist wie …
... wie nie! (lacht) Auf alle Fälle kann das ein Vorteil sein. Sie gehen immerhin zum ersten Mal nicht als Favorit in diese WM.
Das liegt vielleicht auch daran, dass das Trainingslager der Deutschen eher bescheiden gelaufen ist. Als Sie 1990 Weltmeister wurden, hat die Mannschaft geschlossen vom Trainingslager geschwärmt. Wie wichtig ist die Stimmung im Trainingslager vor so einer Weltmeisterschaft?
Man muss immer wissen, wann man lachen und wann man Späße machen kann, aber man muss auch mit der notwendigen Ernsthaftigkeit dabei sein. Und ich muss sagen: Bei uns, da war eine Euphorie schon innerhalb der Mannschaft. Da war eine richtige Vorfreude. Ja, und vom diesjährigen Trainingslager hat man nur wenig Gutes gehört.
Große Aufregung gab es ja vor allem um den Dönerwurf und die Pinkelaffäre von Kevin Großkreutz. Jogi Löw hält weiter an ihm fest. Hätten Sie als Trainer anders reagiert?
Auf gar keinen Fall. Erstmal war Großkreutz natürlich frustriert. Trotzdem macht man so etwas natürlich nicht. Das hat er ja selbst eingesehen. Ich finde es gut, dass der Jogi ihn noch dabeihat. Großkreutz hat sehr, sehr gute Leistungen bei Dortmund geboten und nur aufgrund so einer Aktion, darf man das nicht vergessen.
Zumal Jogi Löw seine Vorbildfunktion ja auch etwas vernachlässigt hat. Stichwort Führerschein.
Das sehe ich ein bisschen anders. Ich meine, da haben schon ganz andere Leute den Führerschein verloren. Das kann jedem passieren. Nur bei Jogi Löw steht es halt in der Zeitung. Das hat mit der Leistung oder dem Abschneiden der Mannschaft absolut nichts zu tun.
Welchen deutschen Gruppengegner schätzen Sie am stärksten ein?
Portugal. Wenn Cristiano Ronaldo fit ist, bin ich davon überzeugt, dass Portugal der härteste Gegner wird.
Die Mannschaft steht und fällt also mit Ronaldo?
Das auf alle Fälle. Aber auch Nani ist wichtig. Der spielt auch hervorragend, wenn er seinen Lauf hat.
Sie haben ja mit dem Trainer der USA, Jürgen Klinsmann, zusammengespielt und auch die Trainerlizenz gemacht. Was macht ihn als Trainer so stark?
Er ist richtig ehrgeizig und er passt hervorragend zu den Amerikanern. Er lebt schon sehr, sehr lange da drüben und er hat auch eine gewisse Euphorie in die Mannschaft gebracht. Auf sein Team bin ich wirklich gespannt.
Welche Teams sollte man außer den Favoriten Brasilien, Spanien, Argentinien unbedingt auf dem Zettel haben?
Die Belgier haben eine junge, hungrige Mannschaft. Und die Japaner darf man auch nicht unterschätzen. Shinji Kagawa kommt langsam wieder in Form. Der will eine große WM spielen, damit er sich bei Manchester United anbieten kann. Ich glaube, bei Brasilien muss man ohnehin abwarten, wie sie mit dem Druck im eigenen Land umgehen. Aber Argentinien ist natürlich immer für eine Überraschung gut. Wenn Lionel Messi einen guten Tag hat, dann kann er ganz alleine die Spiele entscheiden.
Gibt es Gegner, die der DFB-Elf von der Spielweise her besser liegen als andere?
Wenn man Weltmeister werden will - und das hat unsere Mannschaft ja gesagt - dann müssen sie ihr Spiel durchsetzen und sich nicht nach den anderen richten. Das war bei uns genau das Gleiche. Der Franz Beckenbauer hat gesagt, wenn du Weltmeister werden willst, dann musst du dich nicht nach dem Gegner richten, sondern die müssen sich nach dir richten. So sehe ich das auch. Die Nationalmannschaft darf keinen Gegner unterschätzen und sie müssen mit der richtigen Einstellung reingehen – die ich bis jetzt allerdings vermisst habe.
Welchen Tipp möchten Sie den deutschen Spielern für diese WM noch mit auf den Weg geben – aus Weltmeistersicht?
Sie müssen mit Selbstvertrauen an die Sache ran gehen und sich vor niemandem verstecken. Jeder sollte auf dem Platz Verantwortung übernehmen und sie müssen sich gegenseitig unterstützen. Das ist das Wichtigste.
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