Vom Heilsbringer zum Buhmann: Mesut Özil wurde im Frühjahr zum zweiten Mal in Folge zu Deutschlands Nationalspieler des Jahres gewählt. Vor dem Testspiel gegen Chile im März bekam er eine Trophäe überreicht und das Publikum applaudierte. Kaum eine Stunde später verabschiedete es ihn mit gellenden Pfiffen. Auch gegen Kamerun wirkte Özil deplatziert. Verliert er sogar seinen Stammplatz?
Özil verärgerte die deutschen Fans gegen Kamerun mit einem lethargischen Auftritt. Seine Körpersprache gegen die robust zu Werke gehenden Kameruner war eine Katastrophe. Der Gestalter des deutschen Spiels, der Kopf und das Herz der Kreativabteilung war gegen Kamerun abgetaucht. Wird er in dieser Form zu einer Belastung für das DFB-Team?
Genau in diese Richtung drehen sich mittlerweile die Diskussionen um Mesut Özil. In Form und in Spiellaune ist er einer der besten Fußballer der Welt. Nur wartet der moderne Fußball längst nicht mehr auf Spieler, die sich 80 Minuten Pausen gönnen, um mit ein paar Aktionen ihr überdurchschnittliches Können aufblitzen zu lassen.
Özil hat zuletzt zu oft für sich selbst entschieden, ob er seine volle Leistung abruft. Joachim Löw hat das registriert. Wer nach dem Spiel gegen Kamerun genau zugehört hat, dem ist klar, dass auch die Geduld des Bundestrainers irgendwann zu Ende sein könnte.
Joachim Löw übt Kritik
"Er hatte nicht seinen besten Tag. Ihm sind Fehler unterlaufen, die er normalerweise nicht macht", sagte Löw in Richtung Özil. Für gewöhnlich vermeidet der Bundestrainer diese Art der Einzelkritik. Aber Özil ist ein Wiederholungstäter. Schon rund um die Champions-League-Spiele des FC Arsenal gegen Bayern München hatte Löw seinen Schützling öffentlich aufgefordert, an seiner Körpersprache zu arbeiten.
"Er muss auch dann, wenn ihm mal etwas misslingt oder er eine entscheidende Situation nicht glücklich löst, zeigen, dass er dies wegsteckt und signalisiert: Ich bin trotzdem weiter da und kann das Spiel prägen", sagte Löw damals. Die Partie gegen Kamerun lässt vermuten, dass sich Özil die Worte seines Trainers kaum zu Herzen genommen hat.
Die Mannschaft kann es sich aber nicht leisten, einen Spieler mitzuschleppen, der wenig im Kollektiv denkt und nur halbherzig seiner Arbeit nachgeht. Schon gar nicht in Brasilien, wo eine mitteleuropäische Mannschaft Bedingungen vorfinden wird, die sie nicht gewohnt ist. Nun muss nach einer Alternative für Özil gesucht werden.
Marco Reus oder Mario Götze als Alternative?
Marco Reus wäre eine Option. Der Dortmunder hat auf der Position im zentralen offensiven Mittelfeld eine herausragende Rückrunde gespielt. Er ist als einer der wenigen Spieler im Kader nicht nur körperlich topfit, sondern auch spielerisch in blendender Verfassung.
Mario Götze wäre ähnlich fit. Er hat in München weniger gespielt - was aber für die zu erwartenden Strapazen in Brasilien kein Nachteil sein muss. Götze kann wie Reus mit seinen Läufen die notwendigen Räume schaffen. Er kann den entscheidenden Pass spielen oder selbst abschließen.
Özil könnte das im Prinzip auch. Gezeigt hat er es in den vergangen Partien aber kaum. "Gerade bei Özil ist das eine Frage der Spielfreude. Sie können sicher sein, dass Joachim Löw das mit ihm besprechen wird", sagt DFB-Chefscout Urs Siegenthaler.
Die Mannschaft muss helfen
Der Trainerstab rechnet noch damit, dass die Mitspieler ihrem Spielgestalter aus der Misere helfen werden. "Ich bin mir sicher, dass die Mannschaft das mit Mesut hinbekommen wird. Er wird sich steigern bis zum WM-Beginn", sagt Löw. Oder besser: Er hofft es.
Ebenso hofft er im Fall von Sami Khedira auf einkleines Wunder hofft. Der Real-Star ist keine sechs Monate nach seinem Kreuzbandriss noch weit von seiner Bestform entfernt. Man kann sich derzeit kaum vorstellen, Khedira im ersten Spiel gegen Portugal in der Startelf zu sehen.
Es bleibt das Gefühl, dass Khedira eher auf Grund seiner Persönlichkeit im Kader - nicht, weil er 45 Minuten, eine Stunde oder sogar noch länger höchstes Tempo gehen könnte. Vielmehr dürfte er als Einwechselspieler Akzente setzen. Zumindest in der Vorrunde könnte ihn Christoph Kramer ersetzen. Dessen Einsatzchancen steigen von Tag zu Tag.
So lange Khedira und Bastian Schweinsteiger nicht im Rhythmus sind und das Einsatzgebiet von Philipp Lahm nicht geklärt ist, bleibt Kramer eine ernste Option für den Job auf der Doppel-Sechs. Damit hätte vor wenigen Monaten wohl keiner gerechnet.
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