Nur wenige Tage nach dem Ende der Europameisterschaft haben die Handball-Stars schon wieder bei ihren Vereinen gespielt. Die Taktung ist immens, der Spielplan mehr als voll. Ein Sportmediziner warnt.
Am 28. Januar krönte sich Frankreich in einem packenden Finale gegen Dänemark zum Europameister. Verschnaufpause hatten die meisten Spieler anschließend allerdings nicht.
Für den Großteil ging es direkt im Anschluss bei ihren Vereinen im Liga- und Pokal-Betrieb weiter. Vor allem in Deutschland ist der Spielplan eng getaktet. Die Viertelfinal-Begegnungen im DHB-Pokal beispielsweise fanden bereits am 3. und 4. Februar statt. Die ersten Liga-Spiele nach der EM-bedingten Pause waren für den 7. Februar angesetzt.
Die Belastung im Profihandball ist immens, nicht nur während der großen Turniere. Diese hohe Belastung kann mitunter zu schweren Verletzungen führen und auch Langzeitfolgen können bei Handball-Profis auftreten.
Im Gespräch mit unserer Redaktion gibt Sportmediziner Dr. med. Thomas Schramm eine Einschätzung zur aktuellen Situation ab – verbunden mit einer Warnung.
Herr Dr. Schramm, was stellt die enorme sportliche Belastung mit dem Körper an?
Thomas Schramm: Bei jeder Belastung werden neben dem Herz-Kreislauf-System der Muskel- und Bandapparat insbesondere bei einer Sportart wie Handball maximal gefordert. Es kommt häufig zu leichten Überlastungen bis hin zu kleinen Verletzungen. Jeder weiß, wie schwer es ist, am Tag nach solchen intensiven Belastungen aufzustehen. Man spürt "jeden" Muskel und blauen Fleck des Körpers.
Wie sieht es mit der Regeneration aus?
Die Regenerationsfähigkeit ist eine wichtige Eigenschaft unseres Körpers. Zum Regenerieren sind aber eine Pause beziehungsweise physiotherapeutische Maßnahmen oder Regenerationstraining bis hin zur berüchtigten Eistonne notwendig. Eine intensive erneute Belastung gehört nicht dazu. Wenn ich zu früh mit der Belastung beginne, ist zum einen die Leistungsfähigkeit eingeschränkt, zum anderen steigt das Verletzungsrisiko deutlich an. Eine schon vorgeschädigte oder ermüdete Struktur ist deutlich verletzungsanfälliger und auch das Immunsystem kann darunter leiden.
Sportmediziner: Das sind die häufigsten Verletzungen beim Handball
Welche Körperpartien sind beim Handball besonders von Verletzungen betroffen?
Da Handballspieler eine sehr gute Grundfitness haben, geht es weniger um die Belastungen für Herz und Lunge. Hier ist es nur wichtig, nicht mit fiebrigen Infekten oder anderen Viruserkrankungen zu spielen. Gefährdet ist aber der Bewegungsapparat. Vor allem, weil wegen der Ermüdung die Reaktion und Koordination nicht mehr so gut ist. Der Spieler knickt zum Beispiel eher um. Bandschäden am Fußgelenk gibt es im Handball extrem häufig. Bei hoher Belastung kommt es auch oft zu Fersenschmerzen.
Und sonst?
Folge einer Überlastung – insbesondere über einen langen Zeitraum – sind Schulterschäden. Bei Handballern spricht man manchmal auch von der "Werferschulter". Durch die hohen Belastungen ohne ausreichend Erholung kann es zu Entzündungen der Muskeln oder Sehnen kommen. Ein weiteres für die Karriere des Handballers entscheidendes Gelenk ist das Knie. Durch die vielen schnellen Drehbewegungen und Richtungswechsel, aber auch durch die Kollisionen im Kontaktsport Handball, ist das Knie stark belastet. Neben der Distorsion (Verstauchung d. Red.) kommen Schäden am Meniskus oder den Kreuzbändern häufig vor. Auch die Finger sind im Handball schnell mal geprellt und brauchen meist mehr Erholung. als sie bekommen.
Ist die Belastung im Handball höher als in anderen Sportarten?
Das ist schwierig, objektiv zu beurteilen. Insgesamt sind wir in vielen Sportarten am und teilweise über dem Limit des sportmedizinisch vertretbaren Rahmens. Insbesondere bei den Spielern, deren Vereine in den internationalen Wettbewerben und in einer Nationalmannschaft spielen, sind die Belastungen extrem. Im Liga-Alltag ist die Belastung in den verschiedenen Mannschaftssportarten wie Fußball, Basketball und Handball vergleichbar.
Handball-EM: Teilweise neun Spiele in zwei Wochen
Im Januar fand die Handball-EM in Deutschland statt. Wie sieht es abseits des Liga-Alltags aus?
Bei Europa- und Weltmeisterschaften fällt im Vergleich zum Fußball auf, wie wenig Pausen es zwischen den Spielen gibt. In zwei Wochen haben die Spieler teilweise bis zu neun Partien. Nach Großturnieren geht es dann meist schnell wieder in den Ligen weiter. Gerade in Deutschland haben wir im Vergleich zu anderen Handballnationen eine Mehrbelastung, da wir in Bundesliga und Pokal eine höhere Spieldichte als in anderen Handballnationen wie zum Beispiel in Frankreich, Spanien, Polen oder Ungarn haben. Analysen zeigen, dass deutsche Mannschaften teilweise deutlich mehr Spiele in der Saison haben als ihre Champions-League-Konkurrenten. Einzelne Spieler verzichten auch wegen der Mehrbelastung auf die Nationalmannschaft. Bei anderen leidet der Verein, wenn der Spieler angeschlagen oder verletzt zurückkommt.
Welche präventiven Maßnahmen helfen, um der enormen Belastung entgegenzuwirken?
Das ist eine große Herausforderung an Trainingsgestaltung, die Physioabteilung und den Spieler selbst. Sowohl das individuelle als auch das Mannschaftstraining werden angepasst. Vor und nach dem Spiel ist die physiotherapeutische Abteilung ein ganz wichtiger Bestandteil zur Vermeidung von Überlastungsschäden. Vom Tapen über Massagen bis hin zur schon erwähnten Eistonne ist alles dabei. Auch die Sportmediziner der Vereine sind da wichtig – sowohl in der Verletzungsprävention als auch zum Beispiel beim Hinweisgeben an den Trainerstab, dass eine Pause eines Spielers notwendig ist.
Wie muss trainiert werden, um dieser hohen Belastung standzuhalten?
Grundsätzlich ist die Saisonvorbereitung auch für die Verletzungsprävention über die gesamte Spielzeit immer wichtig. In der Saison wird je nach Spieldichte die Trainingsintensität angepasst. Ergänzend findet ein enger Austausch zwischen Trainern und medizinischer Abteilung in den Vereinen statt.
"Aus sportmedizinischer Sicht ist das eigentlich eine zu hohe Intensität."
Gibt es beim Thema Belastung und Verletzungen große Unterschiede zwischen dem Handball und Fußball?
Die häufigsten Verletzungen betreffen in beiden Sportarten die Knie- und Fußgelenke. Unterschiede zwischen Handball und Fußball gibt es bei Schulter- und Handverletzungen. Insgesamt ist das Verletzungsrisiko beim Handball aber nicht höher als beim Fußball.
Was halten Sie aus medizinischer Sicht davon, dass bei einem Großturnier wie der EM teilweise neun Partien in gut zwei Wochen absolviert werden?
Aus sportmedizinischer Sicht ist das eigentlich eine zu hohe Intensität. Man kann davon ausgehen, dass am Ende des Turniers und auch in den Folgewochen wegen der Überlastung ein erhöhtes Verletzungsrisiko besteht. Häufig starten die Spieler trotz schmerztherapeutischer Maßnahmen mit Schmerzen oder Vorschäden ins nächste Spiel. Wegen der hohen Bedeutung jedes Spiels wird teilweise ein gesundheitliches Risiko – auch vom Spieler selbst – in Kauf genommen. Aufgrund der heute sehr guten medizinischen Betreuung kommen wir hinsichtlich der Akutverletzungen aber meist gut durch die Turniere.
Arzt über Langzeitfolgen von hoher Belastung im Handball
Wirkt sich die große physische Belastung auch auf das Mentale aus?
Wie in jeden Beruf gibt es auch im Handball Formen von Erschöpfungssyndromen. Die Leistung fällt dann meist ab, der Spieler hat Motivationsschwierigkeiten für Training und Spiel.
Was können gesundheitliche Langzeitfolgen von (zu) hoher sportlicher Belastung sein?
Langzeitschäden fallen teilweise erst nach Karriereende auf. Die Arthrose in vorgeschädigten Gelenken kommt erst viele Jahre später zum Vorschein. Als ehemaliger Handballer schmerzt auch mein Kniegelenk erst jetzt mit über 50 Jahren. Für das Herz-Kreislauf-System ist kein erhöhtes Langzeitrisiko bekannt. Handball ist ein toller dynamischer Sport und bei guter Prävention, Betreuung und guter Rehabilitation nach Verletzungen sind die Spieler viele Jahre erfolgreich ohne schwere Folgeschäden aktiv. Wichtig ist es aber zum Schutz der Spieler, die Dichte der Spiele zu begrenzen.
Über den Gesprächspartner
- Dr. med. Thomas Schramm ist Arzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin. Der in Köln praktizierende Arzt ist seit 2016 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Zudem ist er empfohlener Untersucher des Deutschen Olympischen Sportbundes sowie Kardiologe des Köln Marathons.
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