Der schlimme Trainingsunfall von Kristina Vogel jährt sich zum ersten Mal. Die beste Bahnradsportlerin der Welt sitzt seitdem im Rollstuhl, hat sich aber nicht entmutigen lassen. Sie ist Politikerin, Gastrednerin und hat nebenbei sogar einen Fallschirmsprung gewagt.
Kristina Vogel ist im Stress. Reha in Berlin, Fraktionssitzung in Erfurt, ein Besuch bei den Rad-Meisterschaften in Spremberg und ein Abstecher zum Ironman in Frankfurt - der Terminkalender ist mal wieder proppenvoll. Eine Fahrt zur Radrennbahn nach Cottbus ist dagegen nicht vorgesehen.
"Nicht, weil ich den Ort meiden will. Ich hege keinen Groll auf den Bahnradsport", beschwichtigt
Am Mittwoch jährt sich ihr schlimmer Trainingsunfall zum ersten Mal. Mit einem niederländischen Nachwuchsfahrer war Vogel in hohem Tempo zusammengeprallt. Lähmung vom siebten Brustwirbel abwärts - so lautete die niederschmetternde Diagnose. Erst nach einem halben Jahr konnte die beste Bahnradsportlerin der Welt das Krankenhaus in Berlin wieder verlassen.
Kristina Vogel will ihre Geschichte erzählen
Vogel nimmt ihr Schicksal auf beachtliche Weise an, geht an die Öffentlichkeit und will ihre Geschichte erzählen. "Es ist verrückt, was im letzten Jahr alles passiert ist. Wo ich am Anfang noch Angst hatte: Scheiße, wie kriege ich meinen Kalender oder Tag voll, da steht man auf einmal mitten im Leben drin", berichtet sie.
Das neue Leben findet nicht mehr auf dem Oval bei Tempo 60 statt. Vogel wurde inzwischen als Parteilose für die CDU in den Erfurter Stadtrat gewählt, ist eine gerngesehene Gastrednerin und fungiert zukünftig als Radsport-Expertin für das ZDF.
Dazu will sie bald wieder in den Dienst bei der Bundespolizei zurückkehren. Sie hätte auch in den Vorruhestand gehen können. Aber nicht Vogel, nicht mit 28.
"Ich versuche bei allem, das Positive zu sehen. Es heißt ja auch: Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere", sagt sie und ist froh, dass es nicht langweilig geworden ist. In ein Loch sei sie nicht gefallen, warum auch? Natürlich gebe es Momente, wo sie am liebsten gegen den Schrank trete. "Aber das geht ja nicht", sagt sie fast schon ein wenig scherzhaft.
Wieder rekordverdächtige Zeiten
"Nur weil ich jetzt im Rollstuhl sitze, warum soll ich nicht genauso krass sein wie früher? Oder noch krasser?", fragt Vogel und gibt die Antwort selbst. Vor zwei Wochen hat sie einen Tandem-Fallschirmsprung gemacht aus 4.000 Metern Höhe. "Wahnsinn", schwärmt die zweimalige Olympiasiegerin und elfmalige Weltmeisterin.
Noch im Krankenhaus hat sie sich eine Liste mit Dingen gemacht, die sie unternehmen will. Alles Sachen, die früher dem Profisport zum Opfer fielen. Deshalb will sie aktuell auch gar nicht über eine paralympische Karriere nachdenken.
Hinter Vogel liegt ein hartes, lehrreiches Jahr. Alles hat sich geändert, auch "entschleunigt", wie sie sagt. Sie musste sich in Geduld - ihr "Unwort des Jahres 2018" - üben. Sei es im Rollstuhl oder beim Autofahren mit Handgas. Gemeistert hat sie es trotzdem. Ihre Zeiten sind mal wieder rekordverdächtig.
Früher brauchte sie 20 Minuten zum Einsteigen, jetzt sind es drei bis fünf. "Eine solche Athletin wie sie hatte ich noch nicht. Sie war von Anfang an so engagiert, so optimistisch", sagte Reha-Trainer Bodo Heinemann dem Internetportal "Sportbuzzer".
Kristina Vogel ist geradeheraus
Dreimal pro Woche ist Vogel noch im Unfallkrankenhaus Berlin zur Rehabilitation, dort hat sie auch Wolfgang Schäuble getroffen. "Ich nehme ihn als Vorbild", sagt Vogel über den langjährigen Bundesminister und jetzigen Bundestagspräsidenten.
So lernte die Erfurterin auch die andere Seite kennen. Dass sie als Politikerin plötzlich im Internet angegriffen wurde, fand sie "krass". Beeindrucken lässt sie sich davon nicht. Sie will weiter die Dinge so ansprechen, wie sie es meint.
Vogel ist geradeheraus. Zu einer Aussprache mit dem niederländischen Unfallverursacher ist es bislang noch nicht gekommen, auch das Verfahren der Staatsanwaltschaft ist noch nicht abgeschlossen. Vogel ist da persönlich schon weiter. "Im Alltag habe ich es fast vergessen", sagt Vogel über jenen 26. Juni 2018. © dpa
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