Diebe haben die Krankenakte von Michael Schumacher gestohlen und sie verschiedenen Medien angeboten. Noch hat offenbar niemand zugegriffen. Warum Medienethiker glauben, dass trotzdem bald Details aus der Akte bekannt werden und wo die Grenzen von seriösem Journalismus liegen.

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Michael Schumacher und seine Familie kommen nicht zur Ruhe. Vor einer Woche erst hatte seine Managerin mitgeteilt, dass der Ex-Formel-1-Weltmeister aus dem Koma erwacht sei – und gleichzeitig um Verständnis gebeten, dass "seine weitere Rehabilitation außerhalb der Öffentlichkeit erfolgen soll". Nun der Schock: Diebe sollen die Krankenakte Schumachers aus der Klinik in Grenoble gestohlen und die sensiblen Unterlagen verschiedenen Medien für rund 50.000 Euro zum Verkauf angeboten haben.

"Damit ist ein moralischer Tiefpunkt erreicht", sagt der Medienethiker Matthias Rath von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. "Die Krankenakte ist ein intimer Bereich, der niemanden etwas angeht." Zwar ist offenbar bislang noch kein Medium auf das Angebot eingegangen. Doch Rath schließt nicht aus, dass Details aus den Unterlagen an die Öffentlichkeit gelangen werden. "In dem Moment, wo ein Medienhype wie im Fall Schumacher da ist, ist der Anreiz zur Veröffentlichung hoch. Das geschieht nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Aufmerksamkeitskalkül."

Medienethiker: "Verletzung von Recht und gutem Anstand"

Nach Schumachers Skiunfall am 29. Dezember 2013 verloren viele Medien das Augenmaß für eine verantwortungsvolle Berichterstattung. Tag und Nacht drängte sich ein Pulk von Journalisten vor dem Klinikeingang, Schumachers Familie wurde fotografiert, wenn sie das Krankenhaus betreten und verlassen haben. In Live-Tickern wurden Nachrichten produziert, die keine waren. Ein Mann versuchte sogar, als Priester verkleidet zu Schumacher zu gelangen. Zwei andere Personen wollten in sein Zimmer eindringen, um Fotos des prominenten Patienten zu machen.

"Was da passiert ist, ist eine klare Verletzung von Recht und gutem Anstand", sagt Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München. "Es muss auch für Personen von öffentlichem Interesse Räume der Privatheit geben, gerade in Extremsituationen, wenn es um Krankheit oder Tod geht." Schumacher ist eine Person des öffentlichen Interesses – mit diesem Argument rechtfertigen Medien gerne ihre Berichterstattung.

Grenzen der Berichterstattung über Prominente

Was hier übersehen wird: Auch für die Berichterstattung über Prominente gibt es klare Grenzen – sowohl rechtliche als auch moralische. Rechtlich sind sie durch das sogenannte allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt. Das heißt: Berichtet werden darf nur, wenn es ein Informationsinteresse und einen Informationswert gibt – nicht nur, um die bloße Neugier des Publikums zu befriedigen. Im Fall Schumacher informierte seine Managerin, wenn es Neuigkeiten zum Gesundheitszustand gab. Damit hätte es gut sein müssen. Stattdessen versuchten die Medien, immer wieder neue Meldungen zu produzieren, auch wenn es nichts zu berichten gab.

Auch moralisch verhielten sich viele Medien fragwürdig. "Wenn jemand im Krankenhaus liegt und die Angehörigen darum bitten, ihn in Ruhe zu lassen, dann ist mit dieser Nachricht das öffentlichen Interesse befriedigt", sagt Filipović. "In diesem Fall wurde der Wunsch nach Privatheit explizit nicht respektiert." Tatsächlich hatte Schumachers Frau Corinna wenige Tage nach dem Unfall an die Medien appelliert: "Vertrauen Sie bitte den Statements und verlassen Sie die Klinik. Bitte lassen Sie auch unsere Familie in Ruhe." Viele Medien berichteten darüber – und machten munter weiter.

Viele Medien ignorieren Selbstverpflichtung

Was kann man tun in solchen Fällen? Eigentlich gibt es eine Selbstverpflichtung der deutschen Medien. "Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. (...) Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung", heißt es im Pressekodex des Deutschen Presserats. Bei Verstößen dagegen kann dieser Rügen aussprechen – doch diese scheinen die Betroffenen wenig zu beeindrucken.

Die Medienethiker Rath und Filipović sehen darum die Verantwortung vor allem bei den Medienkonsumenten. "Es ist in solchen Fällen an den Lesern und Zuschauern, solches Verhalten abzustrafen, in dem man die Zeitungen nicht kauft oder die Artikel nicht anklickt", sagt Rath. Die Medien seien damit nicht aus der Verantwortung, aber: "Aufmerksamkeit ist heute die Währung. Verwehren wir die, werden solche Fehltritte wie im Fall Schumacher nicht passieren." Sein Kollege Filipović ergänzt: "Letztlich ist es unser aller Voyeurismus, der an diesem Verhalten von Journalisten schuld ist."

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