Das deutsche Turnen steht weiter im Brennpunkt. Eine weitere frühere Hoffnungsträgerin meldet sich mit erschreckenden Aussagen zu Wort.
Auch das frühere Top-Talent Kim Janas hat öffentlich Missstände im deutschen Turnen angeprangert. Die heute 25-Jährige kritisierte via Instagram vor allem den Umgang mit Verletzungen, Ernährung und Gewicht während ihrer Karriere, die sie bereits mit knapp 17 Jahren nach drei Kreuzbandrissen Ende November 2016 beendet hatte.
Auch acht Jahre später sei sie "nicht ganz geheilt" von dem, was sie erlebt habe, schrieb Janas. Sie habe aber zumindest "einen Weg gefunden, besser damit umzugehen".
Janas berichtet von Taschenkontrollen
Die Themen Essen und Gewicht hätten auf der Tagesordnung gestanden. "Vom täglichen Wiegen bis hin zur Taschenkontrolle, ob auch ja keine Süßigkeiten drin sind, gab es alles", schrieb die frühere deutsche Jugendmeisterin. Sie wisse noch, wie sie bei Lehrgängen auf dem Bett rumgesprungen sei, "um ein paar Gramm zu verlieren. Aus Angst, dass man beim morgigen Wiegen sonst Anschiss bekommt und mal wieder bloßgestellt wird."
Sie sei "als Dicke dargestellt" worden, weil sie neun Prozent Körperfett aufgewiesen habe. Ihr seien Lebensmittel wie Brot, Aufstriche, Wurst und sogar Wasser verboten worden, berichtete Janas.
Über ihr frühes Karriereende schrieb sie: "Vielleicht hätte es mein Körper geschafft. Aber nicht mein Kopf. Die Ängste waren zu groß. Nicht nur, sich immer und immer wieder zu verletzen und die Schmerzen beim Training aushalten zu müssen. Nein, auch die Angst, mal wieder nicht ernst genommen und fallen gelassen zu werden, weiter trainieren zu müssen, obwohl man nicht weiß, ob man nach dem Absprung zum Doppelsalto überhaupt wieder auf den Beinen oder doch auf dem Kopf landet."
Ehemalige Turnerinnen machten Vorwürfe öffentlich
Janas wurde in Halle an der Saale geboren, trainierte später auch in Stuttgart. Sie ist eine von mehreren früheren Athletinnen, die in den vergangenen Tagen Missstände im deutschen Turnen öffentlich gemacht haben.
Angeführt von den ehemaligen deutschen Auswahl-Turnerinnen Tabea Alt und Michelle Timm wurden vor allem gegen den Stützpunkt in Stuttgart schwere Vorwürfe erhoben. Kritisiert wurden "systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch" sowie katastrophale Umstände. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) und der Schwäbische Turnerbund (STB) sind mit der Aufarbeitung beschäftigt. Zwei Übungsleiter wurden vorläufig bis zum 19. Januar freigestellt.
So reagiert der Deutsche Turner-Bund auf die Vorwürfe
Der DTB bemüht sich nach eigener Aussage weiter darum, die angeprangerten Missstände in seinem Leistungssystem zu beheben. Es gelte "regelmäßig zu hinterfragen, welche Maßnahmen sinnvoll sind und nachhaltig zu einer Veränderung des Systems beitragen und wo es weitere Anpassungen und Verbesserungen geben muss", teilte der Verband auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. "Der angestrebte Kultur- und Strukturwandel wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen."
"Wir haben uns im Jahr 2021 aufgemacht, das System grundlegend zu verändern und sind unseres Erachtens an vielen Stellen auch auf einem guten Weg", erklärte der DTB. "Aber wir müssen feststellen, dass es wohl einerseits noch länger dauern wird, bis wir auf allen Ebenen bis in die Turnhallen durchgedrungen sind und die Maßnahmen flächendeckend greifen und andererseits weitere Maßnahmen notwendig sind."
Am Stützpunkt in Stuttgart seien nach den 2021 von Alt – damals noch intern – erhobenen Vorwürfen die Problemfelder "Umgang mit Verletzungen", "Kommunikation", "pädagogische Steuerung" und "Belastungssteuerung" angegangen worden, so der Dachverband. Unter anderem würden seitdem Planungsgespräche protokolliert und Workshops mit Sportpsychologen absolviert. Zudem würden die Turnerinnen ein System bedienen, anhand dessen die Belastungssteuerung im Training stattfindet.
Diese Woche werden auch Bundestrainer Gerben Wiersma und Nachwuchsbundestrainerin Claudia Schunk Einsätze im Stuttgarter Kunstturnforum übernehmen. "Sie haben dabei keinen Auftrag in Sinne des Aufarbeitungsprozesses, sondern es geht um eine bestmögliche Absicherung des Trainings der Kaderathletinnen", teilte der DTB dazu mit. (dpa/bearbeitet von ms)
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