Haradh - Diese ständigen Blicke. Als Aliyyah Koloc noch Tennis spielte, war sie ihnen direkt ausgesetzt. Auf den Zuschauerrängen konnte man fast jede ihrer Regungen und Bewegungen genau verfolgen. In einem Lastwagen oder Rallye-Dakar-Auto ist das ganz anders. "Ich mag die Kabine und den Helm", erzählte Koloc. So könne nicht jeder unmittelbar an ihren Gefühlsäußerungen teilhaben - bis auf ihren französischen Co-Piloten Sebastien Delaunay vielleicht.
Koloc ist erst 20, sie startet in diesem Jahr aber schon zum dritten Mal mit Buggyra Racing bei der Rallye Dakar, dem gefährlichsten Offroad-Event der Welt. Rund 7700 Kilometer müssen die Pilotinnen und Piloten durch Saudi-Arabien zurücklegen.
Diagnose: Asperger-Syndrom
"Großartig, unvorhersehbar, beängstigend" sei die Dakar, sagte Koloc, die auf der 48-Stunden-Chrono-Etappe sogar einem Sandsturm trotzte. Und ach ja, sie hat Autismus. Aber tut das was zur Sache?
"Aliyyah war schon immer ein bisschen anders als andere Kinder. Sie hatte keine Freunde, zeichnete stundenlang Mandalas, dachte über erwachsene Themen nach und teilte ihre Gefühle nie mit", erinnerte sich ihr tschechischer Vater Martin Koloc, zweimaliger Truck-Europameister und Teamchef bei Buggyra Racing.
Jede Art von sozialer Interaktion mit unbekannten Menschen sei undenkbar gewesen. Ihre um drei Minuten jüngere Zwillingsschwester Yasmeen hingegen zeigte im Umgang mit anderen Kindern keine Auffälligkeiten. Im Teenager-Alter suchte Martin Koloc dann Rat bei Experten. "Am Ende wurde bei Aliyyah das Asperger-Syndrom diagnostiziert", erzählte er.
Small Talk ist nicht ihre Superkraft
Das Asperger-Syndrom unterscheidet sich von anderen sogenannten Autismus-Spektrum-Störungen in erster Linie dadurch, dass es in der Sprache oder der kognitiven Entwicklung oft keine Entwicklungsverzögerung gibt.
In manchen Teilgebieten haben Menschen mit Asperger-Syndrom sogar eine besonders hohe Intelligenz. Im Fall von Aliyyah Koloc, deren Mutter Jovanah von den Seychellen stammt, wurden von den Experten aber Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion festgestellt.
Small Talk ist nicht ihre Stärke. Aliyyah Koloc sieht Asperger als eine Kraftquelle. "Es hilft mir, mich im Auto besser zu fokussieren", erzählte sie. Im Kopf geht sie bei einem Rennen quasi permanent durch, wo sich Chancen bieten, wo sich Risiken verbergen. "Ich kann Situationen so antizipieren, wahrnehmen und analysieren, dass ich im Rennen das Beste aus allem herausholen kann."
Talent im Fünftonner
Aliyyah Koloc begann mit vier Jahren mit Tennis, obwohl sie es nicht besonders mochte. Talent hatte die in Dubai geborene junge Athletin, sie musste 2018 wegen einer Knieverletzung aber aufhören. Was nun? Der Weg in den Motorsport lag wegen ihres Vaters nahe. Und die Teenagerin bewies auch bei ihrer ersten Schnupperfahrt im Fünftonner Talent. Rennfahren, das wurde ihr damals klar, ist, "was ich liebe und was mich erfüllt", sagte sie.
Heute kämpft Aliyyah Koloc bei der Rallye Dakar gegen Legenden wie Nasser Al-Attiyah, Carlos Sainz senior oder Sebastien Loeb. Und sie macht ihren Job gut. "Ich will beweisen, dass man mit Willen, Kraft und guter Unterstützung fast alles erreichen kann", betonte sie. Koloc kann sogar Naturgewalten trotzen. © Deutsche Presse-Agentur
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