- Skateboarding ist seit 2021 olympische Sportart und hat in Deutschland eine bewegte Geschichte hinter sich.
- Auf dem Weg zu Olympia 2024 sorgte die WM-Vergabe in die VAE zuletzt für Negativ-Schlagzeilen.
- Kommissions-Vorstand Hans-Jürgen Kuhn gibt im Interview Einblicke in eine Sportart, die in vielerlei Hinsicht speziell ist.
Herr Kuhn, wie schwierig sind Skateboarder im Umgang?
Hans-Jürgen Kuhn: Eigentlich gar nicht schwierig. Aber sie tun sich schwer damit, sich an ein reglementiertes internationales Sportsystem anzupassen und einzufügen. Weil das der Skateboard-Kultur im Original nicht wirklich entspricht.
Haben sie denn dann dort etwas zu suchen?
Das haben wir nicht selbst entschieden. Da waren andere Kräfte im Hintergrund wirksam, als das IOC im Rahmen seiner Agenda, sich zu modernisieren und junge Zuschauer zu gewinnen und TV-Quoten zu machen, entschieden hat, neue Sportarten wie Skateboarding, Surfen oder Bouldern vorübergehend ins Programm aufzunehmen. Diese Sportarten können von ihrer sportkulturellen Einbettung nicht unbedingt dem klassischen Leistungssport zugeordnet werden, denn es gibt immer auch einen kulturellen und lebensweltlichen Kontext.
Skateboarder verstehen sich nicht als Leistungssportler – wie ist das zu verstehen?
Natürlich geht es Skater*innen auch um Leistungen, die zum Beispiel durch Videos in den sozialen Medien gefeiert und gewürdigt werden – das ist die Währung und macht den Ruf der Skater*innen aus. Mit dem Leistungssport, wie er verrechtlicht und geregelt ist, sei es durch zwingende Vereins-Mitgliedschaften, Zugehörigkeit zu einem Bundeskader oder ein klares Reglement, können sich viele Skater*innen nicht identifizieren. Manche begeben sich dann trotz guter Leistungen gar nicht erst in dieses System.
"Konkurrenzstreben ist nicht das zentrale Motiv"
Wie wohl fühlen sich die Skateboarder in so einem System?
Nicht so wohl. Die Profis können sich weiter verwirklichen, das ist aber nur eine ganz kleine Gruppe. Die meisten Skateboarder*innen sind in der Regel gar nicht auf das Gewinnen aus, Konkurrenzstreben ist nicht das zentrale Motiv. Es geht darum, dabei zu sein, Spaß zu haben, die Leistung der anderen wertzuschätzen, und nicht, an irgendwelchen objektiven Standards gemessen der oder die Beste zu sein. Das gilt auch für Olympia.
Skater machen am Tag vor dem Wettbewerb Party oder kiffen auch – wie speziell sind Skateboarder?
Die zwölf geförderten Jugendliche aus dem Bundeskader unterwerfen sich natürlich den Regeln. Aber das Kiffen hat bei den Skater*innen eher mit einem Lebensgefühl zu tun, und nicht mit Doping, im Sinne der Einnahme verbotener Substanzen, um besser skaten zu können. Leistungssport im engeren Sinn erfordert eine ganz andere Herangehensweise: Sich intensiv durch viel Training vorbereiten, fit machen, mit ausgewogener Ernährung, ausreichend schlafen, mit einem Coach trainieren, der alles genau plant – für Skater*innen ist es eher abwegig, sich so auf einen Contest vorzubereiten. So sind zum Beispiel die Deutschen Meisterschaften eine Mischung aus Breitensport-Event und einem Dutzend Skater*innen, die wegen des Preisgelds kommen und dies auch gewinnen wollen.
Wie ist das Skateboarding aufgestellt in Deutschland?
Insgesamt gibt es in Deutschland vielleicht fünf bis zehn Skater*innen, die davon leben können. Es gibt hier keinen Markt, der dies ermöglichen würde. Große Firmen wie Red Bull, Vans, Nike und andere haben ihre eigenen Teams. Was Olympia betrifft, befinden sich zwölf Skater*innen im Bundeskader, die gefördert werden, indem sie eine monatliche Unterstützung von der Deutschen Sporthilfe erhalten, medizinisch betreut werden und die Reisekosten und Startgelder finanziert bekommen.
"Skater*innen planen ihr Leben nur selten nach dieser Sportart, das entwickelt sich eher organisch"
Wie planen Skater dann ihre Karrieren?
Lilly Stoephasius zum Beispiel fährt Skateboard, seit sie fünf Jahre alt ist. Mit 13 ist sie in den Bundeskader aufgenommen worden. Sie geht ganz normal zur Schule und hat sicher nicht den Plan, diese abzubrechen, um Profi-Skaterin zu werden. Sie fährt ziemlich gut und hat in der Park-Disziplin berechtigte Chancen, in Paris wieder an den Start zu gehen. Sie wird schauen, ob sie später einen Beruf ergreift, studieren will oder eine Zeit lang auf der Skateboard-Welle schwimmt. Aber Skater*innen planen ihr Leben nur selten nach dieser Sportart, das entwickelt sich eher organisch.
Sie sind Skateboarder der ersten Stunde, haben in Berlin 1977 den ersten Verein hierzulande gegründet. Wie hat sich das Skateboarding entwickelt in Deutschland?
Sehr dynamisch, es wurden schnell Vereine gegründet, die sich dann im Deutschen Rollsport und Inline-Verband (DRIV) organisiert haben. Es hat sich aber damals schon gezeigt, dass der DRIV die Skateboarder sehr argwöhnisch betrachtet und belächelt hat. Deshalb sind aufgrund zahlreicher Konflikte viele Vereine auch schnell wieder aus dem Verband ausgetreten. Was folgte, war eine Zeit, die lange von kommerziellen Events geprägt war und nicht vom organisierten Skaten im Verband. Erst 2015/16, als das IOC Skateboarding bei Olympia aufnehmen wollte, begann sich der DRIV wieder für uns zu interessieren. Denn eine olympische Disziplin ist für einen Verband sehr wertvoll, und die hatte der DRIV bis dato nicht.
Sie sollten die Skateboarder mit der 2016 neu gegründeten und von Ihnen angeführten Skateboard-Kommission im Deutschen Rollsport und Inline-Verband (DRIV) vertreten…
Ja, das haben wir gemacht, aber mit gemischten Gefühlen, weil wir nicht vergessen hatten, welche kulturellen Brüche es zwischen uns und den dort organisierten Sportarten in der Vergangenheit gab. Wir haben uns aber darauf eingelassen und ich wurde zum Vorsitzenden gewählt, um den Spagat zu schaffen zwischen den Anforderungen des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) und dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) als Geldgeber auf der einen und der Skateboard-Kultur auf der anderen Seite. Um dann zu schauen, was passiert.
Und dann lief ziemlich viel schief …
Das kann man wohl sagen. Wir mussten uns anfangs sehr anpassen, um den Erwartungen gerecht zu werden. So gehörte es zum Beispiel zu den Förderbedingungen, einen Bundeskader aufzustellen, Bundestrainer inklusive. Eine Frage, die wir bis dahin nie wichtig fanden. Die Frage, wer die besten zehn Skater*innen in Deutschland waren, konnte niemand beantworten, weil es auch niemanden interessiert hat. Denn Events wie die Deutschen Meisterschaften hatten ja wie erwähnt einen ganz anderen Charakter, was sich zudem auch ändern musste. Es war insgesamt nicht einfach, denn die damalige Verbandsführung fand vieles, was wir gemacht haben, ungewöhnlich und eher anstößig.
"Unverträglichkeiten äußerten sich dann auch im Umgang auf der Führungsebene"
Sie haben den Zwist zwischen Skateboard-Basis und Verband als "sportkulturellen Clash" bezeichnet, ein renommiertes Magazin das Ganze als "Zweck-WG", es hat zwischen Ihnen und dem Verband geknallt – wie schwierig war der Weg?
Die Verbandsführung hatte sich in dieser Zeit nicht wirklich mit unserer Sportart auseinandergesetzt, die waren nur scharf auf uns, weil wir olympisch sind, denn das war ein großer Statusgewinn. Denen ging es nicht darum, uns eine gute Plattform für unser Sportverständnis zu bieten. Als der damalige Präsident 2018 bei einer Deutschen Meisterschaft in Düsseldorf vor Ort war, um sich das anzuschauen, war er ziemlich irritiert. Man merkte, dass es nicht seinen Vorstellungen entsprach, wie wir zu sein haben. Es findet bei solchen Events immer eine große Party statt, und da gehen alle hin, die Lust haben. So am Samstagabend auch die Finalisten, die Sonntag um den Sieg gefahren sind. Dann geht man früh am Morgen schlafen, hat gefeiert, getrunken, weshalb die Finals grundsätzlich erst am Mittag beginnen. Das fanden die Funktionäre völlig daneben. Als dann auch noch zwei, drei Skater*innen anschließend positiv getestet wurden, weil sie zu spät aufgehört haben zu kiffen, war der Skandal groß. Die Unverträglichkeiten äußerten sich dann auch im Umgang auf der Führungsebene.
Sie sind dann gegangen worden …
Ich habe versucht, die Ambivalenz des Skateboard-Sports zu erklären. Das Klischee Pro-Olympia aus Prinzip haben wir nicht bedient, weil es auch genügend Gründe gibt, warum man gegen Olympia sein kann. Und diese Ambivalenz ist in der Skateboard-Szene stark vertreten. Deshalb hat der Verband entschieden, dass ich des Amtes enthoben werde, was einen großen Konflikt auslöste. Am Ende wurde aus lauter Frust vom Verband die ganze Skateboard-Kommission einfach aufgelöst, ein Jahr später aber auch auf Druck aus dem DOSB wieder eingesetzt. Allerdings war da der ganze Verband schon durch den Streit genervt und chaotisiert. Die Folge war ein Cut, der Rücktritt des alten Präsidiums und ein Neuanfang, in dessen Folge es die Skateboard-Kommission seit Ende 2021 nun wieder gibt.
Wie ist es seitdem gelaufen?
Wir haben mit dem Verband eine friedliche Kooperation, wir regeln sportfachliche Dinge eigenständig auf unsere Art und Weise, und es redet uns niemand mehr rein. Alle Beteiligten haben aus der Sache gelernt. Es ist eine Co-Existenz der verschiedenen Welten.
Hat der Sport national jetzt ein Zuhause gefunden?
Ja, aber auch nur, wenn man bedenkt, dass in dem Verband gerade einmal circa 4.700 Skateboarder organisiert sind. Viele haben weiterhin null Bock, einen Verein zu gründen oder in einen Verband einzutreten und Beiträge zu zahlen, wovon sie wenig haben. Wo es nur darum geht, dass man ihre Talente für den olympischen Kader abfischen will. Es gibt sicherlich mehr als eine halbe Million Jugendliche und Erwachsene in Deutschland, die diesen Sport ausüben. Der eigentliche Skateboard-Sport findet außerhalb des Regelwerks von Leistungssport und Spitzenverbänden statt, und zwar auf der Straße. Olympia tangiert uns negativ nicht besonders, bringt uns aber in der Breite auch nicht viel im Positiven.
"Skandalös war zum Beispiel die WM-Vergabe 2022"
Im Nationalen war es schwierig, international ist es mit World Skate noch schlimmer – woran liegt das?
Das ganze Handeln des Weltverbandes ist intransparent und durch eine Gruppe von Funktionären aufgestellt worden, die sehr stark durch amerikanische Strukturen geprägt war und wo es wenig Klarheit gibt, warum gewisse Entscheidungen getroffen werden. Skandalös war zum Beispiel die WM-Vergabe 2022: Da wurde mit dem bereits feststehenden Ausrichter Brasilien ein Streit vom Zaun gebrochen und die WM im Paket für 2023 und 2024 in die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft.
Wie groß ist der Ärger über die WM-Vergabe?
Dort gibt es nur eine kleine Anzahl an aktiven Skateboardern, es ist ein Bruch mit der Kultur, die Skateboarder bei solchen Events suchen. Das war eine rein ökonomische Entscheidung, die auch wenig nachhaltig ist und die Menschenrechtssituation in diesem Land komplett ignoriert. World Skate hatte Bedingungen für die Vergabe solcher Contests diktiert, die sich in Europa keiner mehr leisten kann, denn unter einer Million Euro ist so ein Event nicht mehr durchzuführen. In den Emiraten spielt aber Geld bekanntlich keine Rolle. Das Problem: Es fahren alle hin, um die Punkte für Olympia 2024 zu bekommen. Sie haben eine Meinung zu den Problemen vor Ort, aber sie mussten es ausblenden.
"Demokratiedefizite, die es im Weltsport zuhauf gibt, wie zum Beispiel bei der Fifa und der WM-Vergabe nach Katar"
Die Möglichkeiten sind begrenzt…
Die Sportler*innen sind das schwächste Glied in der Kette. Man müsste auf den Weltverband Einfluss nehmen, aber das ist schwierig, weil die Verbandsstrukturen und Entscheidungsprozesse undurchsichtig sind. Das sind Demokratiedefizite, die es im Weltsport zuhauf gibt, wie zum Beispiel bei der Fifa und der WM-Vergabe nach Katar.
Ist ein Boykott eine Option, um etwas zu verändern?
Das würde auf dem Rücken der Sportler*innen ausgetragen. Hinzu kommt, dass wir in Deutschland eine vom BMI geförderte Sportart sind. Mit der Bedingung, dass die Sportler*innen alles machen, um sich für Olympia zu qualifizieren. Mit einem Boykott würde man die Förderung möglicherweise verlieren. Der DFB hat sich ja zum Beispiel auch nicht getraut, die WM in Katar zu boykottieren.
Wie sind die Skateboard-Weltmeisterschaften sportlich gelaufen?
Wir waren mit Lilly Stoephasius im Park-Bereich sehr erfolgreich. Im Street-Bereich bei den Männern mussten wir sehen, dass hier nur Justin Sommer in Reichweite einer Qualifizierung für Paris liegt. Alle anderen sind weit von dem internationalen Niveau entfernt sind, das wir brauchen, um in Paris eine Chance zu haben. Es war daher eine gute Standortbestimmung.
Wer sind denn die deutschen Hoffnungsträger?
Insgesamt können wir darauf hoffen, dass in Paris drei Deutsche am Start sein werden. Neben Lilly Stoephasius noch Tyler Edtmayer aus München, der auch in Tokio schon am Start war. Und zudem Justin Sommer, der bei der WM eine gute Leistung im Street-Bereich gezeigt hat. Bei ihnen geht es vor allem um die Teilnahme. Bei Lilly sehe ich aber durchaus Chancen, dass sie ins Finale vorstoßen kann.
"Deutschen Skater*innen müssen im Ausland trainieren, um den Anschluss nicht zu verlieren"
Drei aus zwölf Sportlern ist durchwachsen. Wie ist das deutsche Skateboarding aufgestellt?
Wenn man international erfolgreich sein will, muss man trainieren. Heißt: Wir brauchen Wettkampfstätten, auf denen man die Tricks üben kann, die international gefordert sind. Wir haben in Deutschland allerdings keinen einzigen Skate-Park, der international wettkampffähig wäre. Wir haben nur zwei bis drei Orte, an denen wir die Deutschen Meisterschaften austragen können, ohne uns lächerlich zu machen. Die deutschen Skater*innen müssen daher permanent im Ausland trainieren, um den Anschluss nicht zu verlieren. Bedeutet leider auch, dass unsere Skater*innen auf absehbare Zeit gar nicht viel besser werden können.
Woran liegt es, dass die Infrastruktur so brach liegt?
Für den Sportstättenbau sind die Länder und Kommunen zuständig. Vor allem die Kommunen achten darauf, dass eine möglichst große Gruppe von Sportler*innen erreicht wird, weshalb Skateparks häufig unter dem Freizeitaspekt gebaut werden. Also auf einem niedrigschwelligen Niveau, für Breitensport-Aktivitäten geeignet. Was fehlt sind Skateparks, in denen auch leistungssportlich ambitionierte Skater*innen trainieren können. Und natürlich Indoor-Anlagen in Hallen, damit ganzjährig trainiert werden kann. Die Chance wären ein oder zwei Bundesleistungszentren, was aber für uns als vorübergehend olympische Sportart im Moment nicht vorgesehen ist.
Skateboarding war 2021 erstmals bei Olympia vertreten. Was hat es dem Sport gebracht?
Eine gewisse mediale Aufmerksamkeit, die aber nur unmittelbar vorher und nachher bestand. Heute weiß keiner mehr, dass wir auch in Paris dabei sein werden. Es gibt auch keinen Hype, wie zum Beispiel früher im Tennis mit Boris Becker oder Steffi Graf. Die Mitgliedszahlen haben sich durch Olympia nicht erhöht, und es beginnt auch niemand zu skaten, weil er Lilly in Tokio gesehen hat. Für das Frauenskaten gab es eine gewisse Aufwertung und erhöhte Wahrnehmung, aber ob das nachhaltig ist, muss man sehen. Die vielen kleinen Skateparks, die in den letzten drei Jahren in Deutschland entstanden sind, wären vermutlich auch ohne eine Olympiateilnahme gebaut worden, weil die Sportart sich vor allem seit der Corona-Pandemie einer großen Beliebtheit erfreut.
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